Die kognitive Vermeidungstheorie von Borkovec: Wovor läufst du weg?

Manchmal hilft uns die Vermeidung: Sie erspart uns Leid. Wir schieben unangenehme Erfahrungen vor uns her, aber auf Dauer nimmt das Gewicht der Angst zu und damit auch unser Unbehagen. Gibt es einen Mechanismus, um uns von dieser Form der Selbsttäuschung zu befreien?
Die kognitive Vermeidungstheorie von Borkovec: Wovor läufst du weg?
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 08. Januar 2024

Manche Menschen haben Angst vor sozialen Kontakten, andere scheuen sich vor Verpflichtungen oder vor der Arbeit. Oft verbergen sich dahinter hohe Selbstansprüche oder die Angst vor dem Versagen. Sie suchen Ausreden und widmen sich anderen Dingen, um ihre Ängste und Sorgen zu verdrängen. Die Vermeidungstheorie von Borkovec weist jedoch darauf hin, dass die Flucht in die Unterhaltung oder andere Ablenkungen in Wahrheit die Angst nur verstärkt.

Vermeidung verschafft zwar vorübergehend Erleichterung, der Preis ist jedoch hoch. Erfahre heute Interessantes über die Vermeidungstheorie von Borkovec und was du in diesen schwierigen Situationen tun kannst.

Wenn wir unsere Vermeidungsmuster kennen, können wir uns mit den Angstauslösern auseinandersetzen, um damit besser umgehen zu können.

Schülerin an der Tafel referiert über die kognitive Vermeidungstheorie von Borkovec
Menschen gewöhnen sich schon sehr früh an, das zu vermeiden, was ihnen unangenehm ist.

3 Schlüssel zum Verständnis der kognitiven Vermeidungstheorie von Borkovec

Wir würden gerne auf alle Situationen, die uns Angst machen, richtig reagieren, doch das ist ein komplexes Thema. Prokrastination muss nicht unbedingt Faulheit oder Bequemlichkeit bedeuten, sie kann auch durch Angst vor bestimmten Aufgaben auftreten. Es gibt auch Menschen, die zu Alk0hol oder andern Suchtmitteln greifen, um ihrem Leid zu entkommen. Manche sind in ihrem Frust gefangen, andere reagieren sich an ihrem Partner ab. Jede Person reagiert unterschiedlich.

Das Vermeidungsverhalten ist eine sehr häufige Reaktion, denn es gibt uns das trügerische Gefühl der Kontrolle. In Wahrheit verschlimmern wir damit jedoch nur unser Leid. Denn die Emotionen mit negativer Valenz sind immer noch da. Emotionaler Schmerz, Angst und Frustration sind die Schmiede, die negatives und zwanghaftes Denken verstärken.

Die kognitive Vermeidungstheorie von Borkovec erklärt, wie dieser Mechanismus funktioniert und wie wir ihn ausschalten können.

Sorgen und emotionale Störungen stecken hinter unserem Vermeidungsverhalten.

Wenn du denkst, dass alles schief geht

In einer Studie aus dem Jahr 2006 entwickelte der Psychiater und Professor Thoma Borkovec von der Universität von Pennsylvania eine Theorie, die erklärt, was hinter dem Vermeidungsverhalten steckt. Viele kämpfen damit, eine mentale Lösung für ein Problem zu finden, während sie sich noch tiefer in negative oder katstrophale Folgen verstricken.

Zum besseren Verständnis ein Beispiel: Dieses Wochenende musst du einen Vortrag halten und diese Situation macht dich nervös. Du versuchst, darüber nachzudenken, was du tun musst, um erfolgreich zu sein und damit alles gut läuft. Aber du denkst nur daran, dass du Fehler machen und lächerlich dastehen wirst. Du denkst, dass du die Situation nicht bewältigen kannst und entscheidest dich dafür, die Situation zu meiden und dich krankzumelden.

Angst und negative Gedanken, die bestimmte Vorstellungen verstärken, lassen uns glauben, dass wir bestimmte Situationen nicht kontrollieren können. Diese Wahrnehmung steigert die Angst, deshalb vermeiden wir diese Situationen. Diese psychologische Erfahrung ist die Grundlage für Angststörungen.

Emotionale Störungen und somatische Empfindungen

Das Gehirn mag zwei Dinge: Sicherheit und den Gedanken, dass es alles unter Kontrolle hat. Doch das Leben ist ungewiss: Zwar können wir viele Bereiche kontrollieren, doch andere sind unvorhersehbar und unkontrollierbar. Wir müssen lernen, zwischen Gewissheiten und Ungewissheiten zu navigieren, um unser Wohlbefinden zu fördern.

Die kognitive Vermeidungstheorie von Borkovec offenbart jedoch noch einen zweiten Aspekt. Es gibt eine Rückkopplung zwischen negativ bewerteten Emotionen und dysfunktionalen Gedanken. Einerseits gibt es Angst, Scham und Besorgnis, aber andererseits sind auch katastrophale Vorstellungen vorhanden, die diese emotionalen Zustände noch verstärken.

Je intensiver dieser Kreislauf der Sorgen wird, desto häufiger treten auch somatische Störungen auf (Kopfschmerzen, Muskelverspannungen…). All das führt zu einem noch intensiveren und lähmenden Leidensmuster. Das Vermeidungsverhalten verstärkt sich, um dieses körperliche Unbehagen zu verringern.

Du weißt beispielsweise, dass du mit deiner Abschlussarbeit beginnen musst, doch allein der Gedanke daran bereitet dir Bauchschmerzen. Du glaubst, dass du nicht dazu fähig bist und fühlst dich schlecht. Also prokrastinierst du und tust etwas anderes, um dich besser zu fühlen: Vielleicht schaust du dir eine TV-Serie an oder gehst mit Freunden aus. Je länger du deine Verpflichtung aufschiebst, desto weniger Zeit hast du, um sie zu erledigen – in der Folge hast du immer mehr Angst.

Hinter dem Vermeidungsverhalten verbergen sich Realitäten, die wir ansprechen und lösen müssen.

Mann dankt über die Vermeidungstheorie von Borkovec nach
Sorgen fördern auch die Entwicklung von somatischen Störungen. All das verstärkt das Vermeidungsverhalten noch weiter.

Was du tun kannst

Der Psychiater Carl G. Jung wies darauf hin, dass das, was du akzeptierst, dich verwandelt, während das, was du leugnest, dich unterdrückt. Das ist das Mantra, das wir verinnerlichen sollten, um unser Flucht- und Verleugnungsverhalten abzulegen. Deshalb betont die kognitive Vermeidungstheorie von Borkovec die Tatsache, dass wir alle Fluchtverhaltensweisen haben, die wir überprüfen, erkennen und konfrontieren sollten.

Um Angst und Stress abzubauen, shoppen wir manchmal unnötige Dinge oder vergeuden unsere Zeit mit dem Handy. Natürlich gibt es auch diejenigen, die in kontraproduktive Verhaltensweisen wie Süchte oder Essstörungen verfallen.

Hinter dem Vermeidungsverhalten stehen Furcht, Angst, Unglück, Traumata und eine Vielzahl unbequemer Realitäten, die wir nicht ansprechen. Diese Dimensionen sind durchlässig und durchdringen unsere Gedanken, was zu chronischen Sorgen, dysfunktionalen und irrationalen Ideen führt.

Was also tun angesichts einer solch widrigen psychologischen Landschaft? Diese inneren Erfahrungen müssen bearbeitet werden, um die äußeren besser kontrollieren zu können. Weglaufen löst nichts, es vergrößert den Abgrund des Leidens nur. Du solltest unbedingt psychologische Hilfe in Anspruch nehmen, wenn du dich in dieser Situation befindest.


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