Wie zuverlässig ist die Erinnerung eines Zeugen?

Die Verlässlichkeit des Gedächtnisses von Zeugen muss genau untersucht werden, da es oft die einzige Quelle für Informationen über ein Verbrechen oder ein Ereignis ist. Genau darum geht es in der Psychologie des Zeugnisses.
Wie zuverlässig ist die Erinnerung eines Zeugen?
Loreto Martín Moya

Geschrieben und geprüft von der Psychologe Loreto Martín Moya.

Letzte Aktualisierung: 18. Oktober 2022

In der Rekonstruktion eines Verbrechens sind die Informationen von Zeugen in den meisten Fällen grundlegend. Manchmal handelt es sich um die einzige Informationsquelle, die den Ermittlern zur Verfügung steht. Deshalb stellt sich die Frage, wie zuverlässig das Gedächtnis eines Zeugen ist oder unter welchen Umständen es zu Verzerrungen kommen kann.

Begehen Zeugen, wie andere Menschen auch, kognitive Fehler und werden Opfer ihrer eigenen Voreingenommenheit? Sind Polizeibeamte immer faire Zeugen oder ist das nur ein Mythos? Wir geben heute Antworten auf diese und ähnliche Fragen.

Wie zuverlässig ist die Erinnerung eines Zeugen?

Das Gedächtnis eines Zeugen: zwei Irrtümer

Münsterberg (1863-1916), ein deutsch-amerikanischer Psychologe prägte den Begriff Psychologie der Zeugenaussage. Er war davon überzeugt, dass Richter in ein fremdes Gebiet eindringen, für das sie nicht qualifiziert sind, wenn sie feststellen wollen, ob ein Zeuge lügt oder nicht.

Das Gedächtnis wird von den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften erforscht und ist auch ein Teilgebiet der Psychologie. Es gibt heute Sachverständige, die Zeugenaussagen analysieren, um Klarheit in dieser Angelegenheit zu schaffen. Die Psychologie der Zeugenaussagen basiert auf den zwei Arten von Fehlern, die am häufigsten im Gedächtnis von Zeugen beobachtet werden: Santos, Hernangómez und Taravillo (2018) beschreiben Fehler durch das Vergessen von Details und Erinnerungslücken, die Zeugen unbewusst mit Details füllen, die niemals stattgefunden haben.

Welche Variablen beeinflussen die Genauigkeit von Zeugenaussagen?

Die Erinnerungen der Zeugen werden durch zahlreiche Faktoren beeinflusst. Autoren wie Migueles und García (2014) weisen darauf hin, dass es einfacher ist, sich an Ereignisse zu erinnern als an Personen. Viele sind in der Lage, Details der Situation zu beschreiben, tun sich jedoch bei der Personenbeschreibung eines Verdächtigen schwer. Außerdem beeinflussen Variablen wie das Geschlecht des Zeugen oder Stereotype die Genauigkeit der Aussage.

Die Gewalttätigkeit von Verbrechen

Autoren wie Clifford und Hollin argumentieren, dass ein sehr hohes Maß an Erregung die Erinnerung von Zeugen negativ beeinflussen kann. Daher ist es schwieriger, sich an sehr gewalttätige Verbrechen zu erinnern. Das ist ungünstig, da gerade gewalttätige Ereignisse präzise Zeugenaussagen erfordern.

Geschlechterspezifische Unterschiede

Wenn zwei Zeugen vorhanden sind, jedoch nur einer in den Zeugenstand gerufen werden kann, bevorzugen Psychologen Frauen. Es stimmt zwar, dass sich Männer in der Regel genauer an gewalttätige Ereignisse erinnern (Clifford und Hollin, 1978), Frauen scheinen jedoch präzisere Erinnerungen an gewaltfreie Ereignisse zu haben.

Im Allgemeinen sind die Aussagen von Frauen zuverlässiger in der Personenbeschreibung. Sie erinnern sich besser an die Gesichtszüge, die Kleidung und körperliche Merkmale – unabhängig davon, ob der Verdächtige männlich oder weiblich ist. Allerdings erkennen Männer Stimmen besser, was vorteilhaft ist, wenn in einem Fall nur Tonmaterial vorhanden ist.

Kinder sind keine guten Zeugen

Auch das Alter spielt eine Rolle im Hinblick auf die Zuverlässigkeit. Kinder sind viel unzuverlässiger als Jugendliche und Jugendliche sind unzuverlässiger als Erwachsene. Die Zuverlässigkeit des Gedächtnisses scheint sich im Alter von 17 Jahren aber zu stabilisieren (Dent, 1978, in Santos et al., 2018).

Außerdem werden Kinder stark von den gestellten Fragen beeinflusst. Egal, ob es sich um einen Richter, einen Anwalt oder einen Polizeibeamten handelt, je nach Art und Richtung der Fragen können diese das Gedächtnis des Kindes verändern.

Polizeibeamte haben nicht das beste Gedächtnis

Einige Studien legen nahe, dass Polizeibeamte die besten Zeugen sind, weil sie ein besseres Erinnerungsvermögen haben als Zivilisten, doch das ist nicht der Fall.

Santos et al. (2018) argumentieren, dass Polizeibeamte zwar genauer sind, wenn es darum geht, Aspekte wie das äußere Erscheinungsbild, verwendete Waffen usw. zu beschreiben, aber diese Erinnerungen sind nur von kurzer Dauer. Tatsächlich machen Polizeibeamte langfristig mehr Fehler als Zivilisten, da sie die Ereignisse oft mit anderen Fällen verwechseln und unbewusst Lücken mit “Tatsachen” füllen, die nicht stattgefunden haben.

Glaubwürdigkeit der Erinnerung des Zeugen

Wells und Lindsay (1983) schlagen ein Modell der Glaubwürdigkeit vor, das Erkenntnisse aus dem Metagedächtnis präsentiert, um festzustellen, ob Zeugenaussagen richtig sind oder nicht. Sie untersuchten drei Arten von Informationen in Zeugenaussagen:

  • Bedingte Informationen: Die Forscher gehen davon aus, dass die Bedingungen der Person zum Zeitpunkt der Straftat sehr relevant sind: individuelle Unterschiede, Stimulusvariablen usw. Der Prüfer muss bewerten, woran er sich in der Situation des Zeugen erinnern könnte. Zu den bedingten Informationen gehören auch die Vorurteile und Überzeugungen über das Gedächtnis, die wir im letzten Abschnitt beschreiben.
  • Intersubjekt- und Intrasubjekt-Übereinstimmung: Manzanero und Diges (1993) stellen fest, dass die von einem Subjekt gelieferten Informationen eine gewisse interne Konsistenz über die gesamte Aussage hinweg beibehalten müssen (Intrasubjekt-Übereinstimmung). Allerdings muss auch eine gewisse Übereinstimmung mit Details gegeben sein, die andere Subjekte beschrieben haben (Intersubjekt-Übereinstimmung).
  • Voreingenommenheit bei Zeugenaussagen: Menschen neigen dazu, immer in dieselbe Richtung zu identifizieren oder auszusagen, unabhängig von objektiven Variablen der Genauigkeit. Der Nachteil ist, dass die Erinnerungsfehler von den Prüfern schlecht erkannt werden und sie sich von Details wie Füllwörtern, Satzpausen usw. beeinflussen lassen, obwohl diese nichts aussagen müssen.
Zeugen vor Gericht

Mythen über Zeugen

Abschließend nennen wir einige intuitive, jedoch falsche Vorstellungen, die Mira (1989) beschreibt:

  • Zeugen können eine Person, die sie einen Augenblick lang gesehen haben, auch nach langer Zeit noch detailliert identifizieren.
  • Die Hypnose ist eine Technik, die von Polizeibeamten eingesetzt wird, da damit spektakuläre Ergebnisse erzielt werden. Außerdem garantiert die Hypnose die Glaubwürdigkeit der Zeugen.
  • Die Erinnerungen von Polizisten sind besonders präzise.
  • Die Bedrohung mit einer Waffe hat keinen Einfluss auf die Qualität der Zeugenaussage.
  • Bei einem Unfall erinnert man sich am besten an den Zustand des Fahrzeugs. Tatsächlich scheint nur der Unfallort unverzerrt zu bleiben.
  • Frauen sind schlechtere Zeugen als Männer.

Das Gedächtnis eines Zeugen spielt oft eine entscheidende Rolle bei der Urteilsfindung. Wir wissen immer mehr über das Gedächtnis und können so auch die Methoden verfeinern, mit denen die Zeugeninformationen auf ihre Wahrheit überprüft werden können. Sie helfen, verzerrte Erinnerungen zu erkennen und ein realistisches Bild des Ereignisses zu erstellen.


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  • Manzanero, A. y Diges, M. (1993). Evaluación subjetiva de la exactitud de las declaraciones de los testigos: la credibilidad. Anuario de Psicología Jurídica, 3, 7-27.
  • Manzanero, A. (1991). Realidad y Fantasía: Credibilidad, Metamemoria y Testimonio. Universidad Autónoma de Madrid, España.
  • Migueles, M. y García, E. (2014). ¡Esto es un atraco! Sesgos de la tipicidad en la memoria de testigos. Studies in Psychology, 25(3), 331-342.
  • Santos, J., Hernangómez, L. y Taravillo, B. (2018). Manual CeDe de Preparación PIR. Psicopatología. Madrid, España, CeDe.

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