Wenige soziale Beziehungen: Notwendigkeit und persönliche Entscheidung

Weniger ist mehr, denn eine Freundschaft benötigt Zeit für Vertrautheit, Gespräche, Ehrlichkeit und gemeinsame Erlebnisse.
Wenige soziale Beziehungen: Notwendigkeit und persönliche Entscheidung
Cristina Roda Rivera

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Cristina Roda Rivera.

Letzte Aktualisierung: 01. Januar 2023

Der Wunsch eines Menschen, nur wenige soziale Beziehungen zu pflegen, ist eine persönliche Entscheidung. Viele glauben, dass ein großer Bekanntenkreis ein Zeichen für Erfolg ist. Doch eine Bekanntschaft ist keine Freundschaft und eine Freundschaft braucht Zeit für Vertrautheit, Gespräche, Ehrlichkeit und gemeinsame Erlebnisse.

Von vielen Menschen umgeben zu sein, bedeutet nicht unbedingt Erfolg: Du kannst dich trotzdem einsam fühlen. Manche Menschen haben außerdem nicht das Bedürfnis, viele soziale Kontakte zu unterhalten. Sie bevorzugen ausgewählte Freundschaften, die in die Tiefe gehen und Verantwortung bedeuten.

Freundinnen im Gespräch bevorzugen wenige soziale Beziehungen
Tiefgehende Freundschaften sind wichtiger als viele Bekanntschaften, die nur gepflegt werden, um einen besseren sozialen Status zu erzielen. 

Das Bedürfnis nach Beliebtheit kann negative Folgen haben

In sozialen Netzwerken zeugt die Zahl der Freundschaften von der Reichweite und Beliebtheit einer Person. Die Realität ist allerdings etwas anders: Eine neue im Journal of Personality and Social Psychology veröffentlichte Studie zeigt, dass zu viele Freunde nachteilig sein können. 

In einer Reihe von Experimenten zeigen die Autoren, dass wir in der Regel lieber mit Personen befreundet sind, die im Vergleich zu uns selbst weniger Freunde haben. Die Studie konnte das Freundschaftsparadoxon nachweisen: Wir glauben, dass wir mehr Freunde gewinnen, wenn wir beliebter sind, aber gleichzeitig sind wir mehr daran interessiert, uns mit anderen anzufreunden, wenn wir wissen, dass sie sich in einer kleinen Freundschaftsgruppe bewegen.

Das Freundschaftsparadoxon

Soziale Bindungen sind offensichtlich wichtig. Wie die Autoren der Studie schreiben, sind sie die Bausteine unserer Gesellschaft. Mehr dieser Verbindungen bedeuten einen größeren sozialen Wert und in vielen Fällen auch mehr Ressourcen.

Daher liegt die Vermutung nahe, dass wir uns lieber mit jenen anfreunden, die viele Freunde haben. Allerdings sind soziale Beziehungen nur dann nützlich, wenn sie auf Gegenseitigkeit beruhen. Dies ist wiederum ein Grund dafür, wenige Freunde zu bevorzugen.

Freundschaft geht mit bestimmten Verpflichtungen und Erwartungen einher. Menschen mit vielen Freunden können diesen Verpflichtungen vielleicht nicht nachkommen, deshalb leidet die Qualität der Beziehung. Wenn du zu viele Freunde hast, kannst du kein wahrer Freund sein, deshalb haben andere weniger Interesse an einer Freundschaft mit dir.

Du musst deinen sozialen Wert nicht unter Beweis stellen

Du bist kein Influencer, deshalb musst du deinen sozialen Wert nicht anhand der Anzahl deiner Freundschaften beweisen. Es gibt Zeiten, in denen du weniger oder mehr Freunde hast, doch dies sagt nichts über deine Person und deinen Wert aus. Wenn du das ständige Bedürfnis nach Bestätigung hast, solltest du den zugrunde liegenden Ursachen auf die Spur gehen.

Freunde können auch eine Ablenkungsstrategie darstellen, die dich davon abhält, dich um dich selbst zu kümmern oder Innenschau zu halten. Wenn sich dahinter ein Trauma versteckt, solltest du professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. 

Qualität vor Quantität

Im Jahr 2015 zeigte eine Studie in der Zeitschrift Psychology and Aging, dass der Freundschaftskreis mit zunehmendem Alter in der Regel schrumpft. Das liegt an den sich ändernden Lebensgewohnheiten und der demografischen Entwicklung. Mit der Zeit wird jedoch auch Qualität wichtiger als Quantität.

Das Glück im mittleren Alter lässt sich durch zwei Dinge vorhersagen: die Quantität der Freunde in den 20ern und die Qualität der Freundschaften in den 30ern. In gewisser Weise wird dein 50-jähriges Ich sowohl von endlosen Partyrunden in der Jugend als auch von langen Gesprächen mit engen Freunden ein Jahrzehnt später profitieren.

Angesichts der Zunahme von Angstzuständen und Depressionen unter jungen Erwachsenen, die als “Epidemie” bezeichnet wird, ist ein kleiner Kreis enger Freunde weitaus hilfreicher als ein großer Bekanntenkreis.

Wenige soziale Beziehungen, dafür jedoch tiefergehende
Mit den Jahren schrumpfen unsere sozialen Kreise.

Wenige soziale Kontakte: ein Zeichen von Unabhängigkeit

Ein kleiner sozialer Kreis kann auch ein Indikator dafür sein, dass du Maßnahmen ergriffen hast, um dich von Menschen zu trennen, die dich nicht gut behandeln; und dass du stark und unabhängig genug bist, um das zu tun.

Die falschen Freunde können deine psychische Gesundheit schädigen, dein Selbstbild verändern und dich daran hindern, dein Potenzial auszuschöpfen. Vielleicht vermisst du die Menschen, die früher ein zentraler Teil deiner Freundesgruppe waren, aber der Kampf um die psychische Gesundheit drängt dich dazu, loszulassen.

Du kannst introvertiert sein und eine andere Arten von Beziehungen pflegen

Weniger soziale Kontakte bedeutet nicht unbedingt, dass du introvertiert bist. Introvertierte Personen bewegen sich zum Teil auch in großen sozialen Kreisen. Wenn du jedoch nur einen kleinen Freundeskreis hast, dich bei großen gesellschaftlichen Zusammenkünften unwohl fühlst und dazu neigst, zu Hause zu bleiben, um dich neu zu sammeln, dann bist du wahrscheinlich introvertiert (und das ist in Ordnung).

Wenige soziale Beziehungen: Ist das normal?

Es ist normal, einen kleinen inneren Freundeskreis zu haben. Manche Beziehungen sind Zeit und Mühe nicht wert, es ist besser, darauf zu verzichten. Es ist kein Vorteil, 100 Bekannte zu haben, jedoch keine engen Freunde.


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  • Carmichael, Cheryl. With a Little Help From My Friends: Long-term Self-perceived Health, Neuroendocrine, and Well-being Correlates of Early Adult Social Activity. Psychology and Aging
  • Kao Si, Xianchi Dai y Robert Wyer. “La paradoja del número amigo”. 30 de abril de 2020. Journal of Personality and Social Psychology.

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