Weltschmerz, die tiefe Traurigkeit über Ungerechtigkeit und Missstände

Anstatt uns von Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht anstecken zu lassen, sollten wir aktiv werden und uns für Gerechtigkeit einsetzen.
Weltschmerz, die tiefe Traurigkeit über Ungerechtigkeit und Missstände
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 21. Januar 2023

Der bekannte Psychiater und Neurologe Viktor Frankl wies darauf hin, dass soziale Ungerechtigkeit mehr schmerzt als körperliches Leid. Im Konzentrationslager von Auschwitz erlebte er unerträglichen Schmerz, denn Ungerechtigkeit ist ein Angriff auf unsere Werte, Prinzipien und unser menschliches Dasein.

Das Gefühl, dass ethische, moralische und gerechte Grundlagen verloren gehen, erzeugt Hoffnungslosigkeit, seelischen Schmerz oder auch Wut. Wenn wir erleben, dass in unserer Welt Ungerechtigkeit und Missstände vorherrschen, entwickeln wir schmerzhafte Melancholie und Traurigkeit, die oft mit Pessimismus und Resignation einhergehen. Der deutsche Schriftsteller Jean Paul prägte für diesen Zustand am Anfang des 19. Jahrhunderts den Begriff Weltschmerz.

Wir reagieren auf Ungerechtigkeit jedoch nicht alle gleich: Manche Menschen sind besonders empfindlich, da die subjektive Sichtweise und Wertvorstellungen dabei eine wesentliche Rolle spielen. Wenn sich die Realität immer mehr vom Idealzustand entfernt, den wir uns wünschen, und wir das Gefühl haben, nichts daran ändern zu können, ist der Weltschmerz besonders belastend. Es entsteht das Gefühl, dass jede Anstrengung vergeblich ist, da das Leben keine fairen Chancen bietet und wir nichts tun können.

“Ungerechtigkeit, wo immer sie auftritt, ist eine Bedrohung für die Gerechtigkeit als Ganzes.”

Martin Luther King

Mann denkt über Ungerechtigkeit nach und empfindet Weltschmerz
Weltschmerz gibt uns das Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht, da sich die Realität immer mehr von unserem Idealzustand entfernt.

Überempfindliche Reaktion auf Ungerechtigkeit und Missstände

Wir alle sind frustriert, wenn Systeme, die geschaffen wurden, um Gleichheit, Respekt und Koexistenz zu garantieren, versagen. Der tägliche Blick in die Nachrichten stellt unser Vertrauen in die Welt infrage. Realitäten wie Diskriminierung, Missbrauch, Unwahrheit, soziale Ungleichheit, Chancenlosigkeit und Konflikte im Kleinen wie im Großen empören uns.

Wir nähren uns von Hoffnung, Gerechtigkeit, Respekt, Güte und Vertrauen. Diese Säulen geraten immer wieder ins Schwanken, doch wir bemühen uns und blicken hoffnungsvoll in die Zukunft. Manche Menschen reagieren Ungerechtigkeit gegenüber jedoch besonders empfindlich. Sie leiden intensiv, wenn sie soziale Benachteiligung oder andere Missstände erleben.

In einer Welt, in der wir jeden Tag über Kriege, Armut und Klimawandel hören, ist die allgemeine Stimmung pessimistisch – empfindliche Personen leiden bei diesen schrecklichen Nachrichten ganz besonders.

Die Millennial Survey 2019 gibt zu erkennen, dass sich Millennials besonders große Sorgen über den Zustand der Welt machen.

Wie äußert sich das?

Eine Studie der Universität Bonn zeigt, dass Frauen gegenüber Ungerechtigkeit empfindlicher reagieren. Ihre neurologische Reaktion ist intensiver. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass auch Männer folgende psychologische Realitäten erfahren:

  • Empörung und Frustration über fehlende Ungerechtigkeit
  • Gefühle der Hoffnungslosigkeit
  • Konzentrationsschwierigkeiten und Grübelei, da der Geist mit den Ungerechtigkeiten und Missständen beschäftigt ist
  • Die Wahrnehmung, dass die Welt ein zunehmend feindlicher Ort ist
  • Zukunftsangst, Angst zum Opfer von Ungerechtigkeiten zu werden
  • Vertrauensverlust in Institutionen oder Menschen im Allgemeinen
Mujer preocupada por la Hipersensibilidad a la injusticia
Untersuchungen haben ergeben, dass Frauen in der Regel empfindlicher auf Ungerechtigkeit reagieren.

Warum leiden wir durch Ungerechtigkeit?

Manche Menschen werden von einem Freund betrogen und kommen innerhalb weniger Wochen über die Enttäuschung hinweg. Andere vergessen nie. Es gibt Menschen, die ihr Leben einsetzen, um Gerechtigkeit zu erzielen. Andere hingegen gehen davon aus, dass die Welt von Natur aus ungerecht ist und man das akzeptieren muss.

Sehr empfindliche Personen erleben Ungerechtigkeit so intensiv, dass es ihnen schwerfällt, ein normales Leben zu führen. Sie stranden in Unbehagen und Unzufriedenheit. Sie betrachten die Welt und ihr Mitmenschen mit einer gewissen Angst und mit Misstrauen. Diese Personen haben kein Vertrauen, weder in Institutionen noch in andere Menschen.

In der Psychologie versuchen wir den Menschen zu vermitteln, dass das Leben manchmal nicht fair ist. Menschen sind fehlbar und manchmal fallen viele der Dinge, die wir für selbstverständlich halten, auseinander. All das bringt Leid mit sich, aber wir müssen es akzeptieren, um voranzukommen. Es gibt jedoch Menschen, denen es schwerfällt, diesen Schritt zu tun. Folgende Gründe könnten dafür verantwortlich sein:

Neurologischer Ursprung

Personen, die besonders intensiv auf Ungerechtigkeit reagieren, weisen eine neuroanatomische Besonderheit auf. Sie haben ein größeres Volumen in der grauen Substanz des bilateralen medialen insularen Kortex. Dies ist ein einzigartiges und auffälliges Merkmal, das unter anderem in einer Studie der Universität Bern festgestellt wurde.

Persönlichkeitsstile

Menschen mit größerer kognitiver Empathie weisen auch eine höhere Sensibilität gegenüber Ungerechtigkeit auf. Das erklärt sich durch eine ganz besondere Eigenschaft: Manche Menschen haben eine ausgeprägtere Kompetenz als andere, die Perspektiven anderer zu verstehen.

Sie gehen über die einfache affektive Empathie (emotionale Verbindung) hinaus und verbinden sich mit den einzigartigen Bedürfnissen und Realitäten anderer Menschen. Eine andere Persönlichkeitseigenschaft, die ebenfalls mit diesem Faktor korreliert, ist die Hochsensibilität.

Hochsensible Menschen leiden bei Ungerechtigkeit besonders stark. 

Die Möglichkeit, zu einer gerechteren Welt beizutragen

Die besonders starke Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten kann ein Problem sein, wenn sich daraus das Gefühl der Ohnmacht entwickelt. Viele ziehen sich in ihren Weltschmerz zurück und sind unfähig, dieser Blockade zu entkommen.

Was wäre jedoch, wenn wir alle sensibel auf Ungerecht reagieren würden: Anstatt uns von Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht anstecken zu lassen, könnten wir aktiv werden und uns für Gerechtigkeit einsetzen. Die bewusste Entscheidung, einen Beitrag zu leisten, um gerechtere Szenarien zu fördern, hilft dir, dem Gefühl der Machtlosigkeit zu entkommen. Das Engagement für unsere Mitmenschen beginnt im kleinen Umfeld, kann jedoch Großes bewirken.

Literaturempfehlung


Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.


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  • Bondü R, Inerle S. Afraid of injustice? Justice sensitivity is linked to general anxiety and social phobia symptoms. J Affect Disord. 2020 Jul 1;272:198-206. doi: 10.1016/j.jad.2020.03.167. Epub 2020 Apr 28. PMID: 32553359.
  • Bondü R, Sahyazici-Knaak F, Esser G. Long-Term Associations of Justice Sensitivity, Rejection Sensitivity, and Depressive Symptoms in Children and Adolescents. Front Psychol. 2017 Sep 12;8:1446. doi: 10.3389/fpsyg.2017.01446. PMID: 28955257; PMCID: PMC5601073.

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