Warum konzentriert sich unser Gehirn auf Negatives?

Einfache Glücksformeln funktionieren oft nicht, da unser Gehirn auf Negatives programmiert ist, um unser Überleben zu sichern.
Warum konzentriert sich unser Gehirn auf Negatives?
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 15. November 2021

Wir sehen Probleme, jedoch keine Lösung, wir erinnern uns an traumatische Ereignisse, vergessen jedoch angenehme Augenblicke, konzentrieren uns auf Bedrohungen, anstatt Chancen zu erkennen… Unser Gehirn ist darauf programmiert, sich auf Negatives zu konzentrieren. 

Unser katastrophisches Gehirn bevorzugt Gefahren und Schwierigkeiten und ist permanent auf der Suche nach Problemen. Aus evolutionärer Sicht handelt es sich um einen Automatismus, der für das Überleben des Menschen von großer Bedeutung war, um Gefahren und Bedrohungen zu erkennen. Auch heute noch hilft uns diese Fähigkeit, in Notsituationen schnell zu reagieren.

Es ist ein Irrtum zu denken, dass wir unsere Gedanken kontrollieren. Unser Gehirn tendiert zu negativen Gedankenmustern, die unser Verhalten maßgeblich beeinflussen.

Im Sinne der Darwin´schen Evolutionstheorie, die uns lehrt, dass nur die am besten angepassten Individuen überleben, wissen wir, dass Erfolg nur möglich ist, wenn wir auf unsere Angstinstinkte hören und flexibel reagieren, um uns an die Umwelt anzupassen. Unser Gehirn ist nicht auf Negatives ausgerichtet, um uns zu blockieren oder zu immobilisieren. Es ermöglicht uns damit, auf Herausforderungen schnell zu reagieren und einen Aktionsplan zu erstellen, um unser Überleben zu sichern.

Wir sind evolutionär darauf programmiert, negativen Erfahrungen mehr Wert beizumessen als positiven, um bei Gefahren schneller handeln zu können.

Warum konzentriert sich unser Gehirn auf Negatives?

Warum sich unser Gehirn auf Negatives konzentriert

Es wäre wunderbar, wenn wir Kommentare wie “Konzentriere dich auf Positives und denke nicht ständig an traurige Dinge” ganz einfach umsetzen könnten. Sicherlich wäre es von Vorteil, wenn wir unsere Blicke nach einer schwierigen Erfahrung auf die hoffnungsvolle Zukunft richten und Negativität überwinden könnten. Unser Gehirn folgt diesen Mustern jedoch nicht. Es kümmert sich nicht darum, ob wir glücklich sind oder nicht, da es einzig und allein auf unser Überleben programmiert ist. 

Stelle dir vor, du fährst am Morgen mit deinem Auto zur Arbeit und musst an einer Kreuzung unerwartet rasch reagieren, um einen Zusammenstoß mit einem anderen Auto zu verhindern. Auch wenn nichts passiert, wird dir diese Erfahrung in Erinnerung bleiben. Du wirst versuchen, umsichtiger zu handeln, um Risiken bewusst zu vermeiden. 

Eine Forschungsarbeit der Ohio State University bestätigt, dass sich unser Gehirn auf Negatives konzentriert anhand eines Experiments: Studienteilnehmer konnten sich besser an ein Foto eines verletzten Paars in einer schwierigen Lage erinnern, als an ein Foto, das ein küssendes Paar zeigte. Bei negativen Ereignissen wird eine größere elektrische Aktivität im Gehirn registriert, was sich auch auf das Gedächtnis auswirkt.

Sich auf Negatives konzentrieren, um zu lernen

Zwar kannst du aus positiven Erfahrungen lernen, doch besonders prägnant sind negative Ereignisse, die es dir ermöglichen, dich weiterzuentwickeln. Wenn dir etwas Schmerzen bereitet, wirst du mit allen Mitteln versuchen, diese zu vermeiden. Eine Erfahrung, die mehr Kosten als Nutzen bringt, wird dein Verhalten besonders stark prägen. Du musst deshalb mehr Energie aufbringen, um dein Verhalten und deine Entscheidungen in dieser Situation richtig zu lenken.

Das Gehirn ist programmiert, sich auf Negatives zu konzentrieren, da es sich an eine immer komplexer werdende Umgebung anpassen muss. Wir haben diesen Instinkt von unseren Vorfahren geerbt, die sich einer Vielzahl aversiver Reize stellen mussten, um ihr Überleben zu sichern. 

Vom Überlebensinstinkt zum Negativitätsbias

Die University of Pennsylvania führte Anfang des Jahres 2000 eine interessante Studie durch. Dabei zeigte sich, dass der klassische Überlebensinstinkt, der in der Vergangenheit grundlegend war, seine Zwecke heute nicht mehr gleich effektiv erfüllt. Wir sind nicht mehr so vielen Gefahren ausgesetzt, doch unser Gehirn ist trotzdem noch immer darauf programmiert.

Der Negativitätsbias, das heißt also, dass sich negative Gedanken oder Erlebnisse stärker auswirken als positive, lässt uns oft Risiken und Bedrohungen wahrnehmen, die gar nicht vorhanden sind. Unser Gehirn ist sehr sensibel und nicht immer in der Lage, zwischen neutralen und gefährlichen Reizen zu unterscheiden. Aus diesem Grund sind wir gefährdet, Sorgen, Stress oder Angstzustände zu entwickeln.

Der Negativitätseffekt prägt sozial ängstliche Menschen besonders stark, denn sie konzentrieren sich auf vermeintliche Fehler und negative Reaktionen, unterschätzen ihre eigenen Leistungen und fällen falsche Werturteile über sich selbst und andere.

Warum hält die Amygdala an der Angst fest?

Die Maschinerie, die einen guten Teil unserer Emotionen und Motivationen reguliert, basiert auf einer kleinen Gehirnregion, der Amygdala. Der Neuropsychologe Rick Hanson, der an der University of California lehrt und forscht, weist darauf hin, dass diese Struktur etwa zwei Drittel der Neuronen verwendet, um Negativität zu erkennen und sie dann schnell im Langzeitgedächtnis zu speichern.

Die Energie, Ressourcen und Strukturen, die das Gehirn nutzt, um negative Reize und Erfahrungen zu verarbeiten, ist bemerkenswert.

Vieles von dem, was wir erleben und beobachten, wird im Gehirn gespeichert, damit wir unter allen Umständen handeln können. In vielen Fällen beginnt dieses lebenswichtige Lernen jedoch mit negativen Ereignissen.

Warum konzentriert sich unser Gehirn auf Negatives?

Wie können wir den Negativitätseffekt durchbrechen?

Wir wissen, dass das Gehirn darauf programmiert ist, sich auf Negatives zu konzentrieren. Doch ist es möglich, diese Negativität zu deaktivieren oder uns umzuprogrammieren, um uns nicht vorwiegend auf irrationale Gefahren zu konzentrieren? Können wir lernen, das Katastrophendenken abzuschalten, das Angst und Stress nährt?

Die Antwort auf diese Frage ist kompliziert. Der Negativitätsbias hat eine spezifische Funktion, nämlich das Überleben zu sichern. Es ist wichtig, im Alltag Risiken zu erkennen und unser Verhalten entsprechend auszurichten, um auf die verschiedensten Ereignisse vorbereitet zu sein.

Der Schlüssel liegt jedoch im Gleichgewicht. Wenn du dich nur auf die Angst konzentrierst und dich ständig in Gefahr siehst, kannst du dein Leben nicht genießen. Du solltest deshalb lernen, deine Aufmerksamkeit auf positive Dinge zu konzentrieren, die dir Genugtuung verschaffen. Lasse dich von jenen Gedanken, die dich nicht weiterbringen, nicht mitreißen. Versuche, sie ins Positive zu lenken und deine Ängste zu überwinden.

Du weißt, dass dein Gehirn Negatives liebt, doch du kannst die destruktiven Denkmuster durchbrechen. Trainiere positives Denken, bis es für dein Gehirn zur Routine wird!


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