Peter Sloterdijk, der umstrittenste und kreativste deutsche Philosoph

Peter Sloterdijk bietet uns mit seinem Denken eine polemische und erneuerte Vision der heutigen Welt, in der er versucht, die Rolle der neuen Technologien in das menschliche Leben zu integrieren.
Peter Sloterdijk, der umstrittenste und kreativste deutsche Philosoph
Matias Rizzuto

Geschrieben und geprüft von dem Philosophen Matias Rizzuto.

Letzte Aktualisierung: 12. April 2023

Peter Sloterdijk, ein Kind aus der Nachkriegszeit, das 1947 zur Welt kam, ist heute einer der umstrittensten und kreativsten deutschen Denker. Dieser Philosoph ist schwer in eine Schublade zu stecken. Er versucht mit seinem Denken in die Probleme der Gegenwart einzutauchen und die Rolle der neuen Technologien zu überdenken und kritisiert die Unfähigkeit von Akademikern, zufriedenstellende Antworten auf die aktuellsten Fragen zu geben.

Sloterdijk hat einen untypischen intellektuellen Hintergrund. Nach seinem Studium der Philosophie, Geschichte und Germanistik begab sich der Philosoph auf eine Reise nach Indien, wo er Bhagwan Shree Rajneesh (besser bekannt als Osho) traf. Dieser umstrittene Guru beeinflusste den Denker in seiner frühen Jugend, später distanzierte er sich jedoch von seiner Philosophie.

Zurück in Europa hielt sich Sloterdijk, der dem Weg anderer Intellektueller nicht folgen wollte, von der akademischen Welt fern und moderierte viele Jahre lang eine Fernsehsendung mit dem Titel Das philosophische Quartett. Sloterdijk ist derzeit Professor für Ästhetik und Philosophie an der Hochschule für Gestaltung in seiner Heimatstadt Karlsruhe.

Seine Gedanken finden in seiner regen literarischen Tätigkeit Ausdruck, darunter sein erstes Buch, Kritik der zynischen Vernunft¹, und seine Trilogie Sphären². Sloterdijk schreibt in einer Prosa voller Bilder und literarischer Bezüge. Stark beeinflusst von Nietzsche und Heidegger, führt seine Philosophie einen provokanten Dialog mit den Denkern der Vergangenheit und sucht einen Bruch mit der europäischen philosophischen Tradition.

Gedanken von Peter Sloterdijk

Die Suche nach einem immunisierten Denken

Um zu verdeutlichen, wie die Philosophie mit den heutigen Problemen umgehen sollte, verwendet Sloterdijk eine alte Idee aus der Medizin: Der Arzt muss an dem erkranken, was er heilen will. Wenn uns etwas krank macht und unser Gleichgewicht stört, versucht der Körper, die Krankheitserreger zu beseitigen, indem er Antikörper bildet. Genauso müssen sich die Denker mit der Krankheit unserer Zeit impfen, die Sloterdijk in den Medien findet.

Sloterdijk steht den neuen Technologien jedoch nicht pessimistisch gegenüber , sondern sieht in ihnen den grundlegenden Modus der menschlichen Existenz. Seit jeher haben sich die Menschen Werkzeuge, Sprache, Schrift und eine lange Reihe technischer Errungenschaften zunutze gemacht, um ihr Leben zu verbessern und sich an die Welt anzupassen.

Die Philosophen der Gegenwart können sich den vorherrschenden Technologien ihrer Zeit nicht verschließen. So wie alte Technologien, unter anderem die Schrift und der Buchdruck, integriert und für den Fortschritt des Wissens genutzt wurden, muss der Philosoph neue Technologien annehmen.

Die Medien, die sozialen Netzwerke und alle technischen Innovationen unserer Zeit müssen dazu dienen, Kraft zu schöpfen und neue Perspektiven auf die Welt um uns herum zu eröffnen. Die Jahre, in denen Sloterdijk eine Fernsehsendung moderierte, sind beispielhaft für sein Denken.

“Die Medien können alles geben, weil sie den Ehrgeiz der Philosophie, das Gegebene auch zu verstehen, restlos haben fallen lassen. Sie umfassen alles, weil sie nichts erfassen; sie bringen alles zur Sprache und sagen über alles nichts.”

Peter Sloterdijk

Sloterdijk und die Welt der Sphären

Obwohl Peter Sloterdijk behauptet, ein systemischer Denker zu sein, könnte man den Großteil seines philosophischen Projekts in seinem Werk Sphären² wiederfinden. Mit der Metapher der Sphären versucht er, die Art und Weise zu erklären, in der wir Menschen Perspektiven einnehmen. Durch die Konstruktion von Sphären lernen wir, miteinander zu leben, durch intime Beziehungen, die eine große vernetzte Gemeinschaft hervorbringen.

Das Bild der Sphäre bezieht sich auf die Art und Weise, wie Kulturen entstehen. Alles, was in unseren Kulturkreis fällt, nehmen wir als unser Eigentum an. Aber auch das, was außerhalb unseres Zugehörigkeitsgefühls liegt, nimmt die kugelförmige Topologie an. Alle anderen Glaubenssysteme werden uns als eine geschlossene Einheit präsentiert, die für unser Denken undurchdringlich ist.

Für Sloterdijk gibt es drei Arten von sphärischen Strukturen:

  • Blasen
  • Globen
  • und Schäume.

Individuen in Blasen

Das Individuum ist eine Blase, wie eine Seifenblase, die durch eine dünne Schicht von ihrer Umgebung getrennt ist. Ihre Intimität ist so gestaltet, dass sie die Integration bestimmter Elemente in sich selbst zulässt und Fremdes draußen lässt. Familie, Kultur, Glaube… Alles ist Teil eines sicheren Raums, in dem wir uns vor dem schützen, was unsere etablierte Ordnung verändern könnte.

Für Sloterdijk ist die Konfiguration, die die Menschheit seit Beginn ihrer Geschichte angenommen hat, durch eine Tatsache gekennzeichnet, die so ursprünglich ist wie die biologische Entwicklung. Wir wachsen und entwickeln uns in einer Blase seit wir uns als Fötus im Mutterleib entwickeln. Wir werden in ein geschlossenes familiäres Umfeld hineingeboren, das in der Regel über Jahre hinweg stabil ist und ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, zu einer Reihe von Institutionen oder zu einer Nation vermittelt. Diese Verbindung zwischen den Blasen führt uns zur zweiten Ebene der Sphären: den Globen.

Der Globus als Einheit zwischen den Individuen

Das Bild des Globus entsteht aus der Erkenntnis, dass wir nicht wirklich zu einer Familie oder Provinz gehören, sondern zu einem Planeten, der uns vereint. Die Art und Weise, wie wir uns als Menschheit sehen, wurde durch die Schifffahrt und die Entdeckung der Seewege, die den Globus verbinden, radikal verändert. Dieses neue Bewusstsein führte dazu, dass wir unseren Platz in der Welt und unser Wissen in Form von universellen Zielen betrachteten.

Die Globalisierung löste alte Traditionen und regionale Lebensweisen auf, sie verwischte die Grenzen unserer Kultur und leitete eine Revolution ein, die noch immer im Gange ist. Der Versuch, zu globalisieren, ist fast immer mit einer Form von Macht verbunden, die versucht, die Grenzen dessen, was sie beherrschen will, festzulegen oder zu klären.

Die verstandene globale Einheit ist jedoch weit davon entfernt, unsere Existenz zu homogenisieren. Im Gegenteil, die Beziehung zwischen Individuen wird von Sloterdijk als eine Vielzahl von miteinander verbundenen Blasen wahrgenommen, die Schäume bilden.

Schäume und Kommunikationsnetzwerke

Sloterdijk spricht von “Schäumen” im Plural, da der Begriff das bezeichnen soll, was eine innerlich unterschiedliche, aber miteinander verbundene Menge zusammenhält. Diese Vielzahl mehr oder weniger geschlossener Sphären bildet das soziale Gefüge oder den “polysphärischen Schaum”.

Jede Einheit, jede einzelne Zelle, bildet einen Kontext, der in sich abgeschlossen ist, aber vielfältige Beziehungen hervorbringt, die eine interaktive Einheit bilden.

Der Autor sieht in unseren Gesellschaften diese morphologische Konfiguration. Die Blasen, die zu Schaum geworden sind, haben die meiste Zeit fast nichts gemeinsam, aber gelegentlich laufen sie auf Achsen zusammen, die sie vereinen. Soziale Netzwerke könnten ein perfektes Beispiel für dieses Phänomen sein, bei dem Individuen verschiedener Ethnien, Nationen und Familien durch gemeinsame Interessen verbunden sind.

Sloterdijk spricht über die Globalisierung
Unsere Gesellschaft besteht aus miteinander verbundenen Pluralitäten.

Die Geschichte der Kultur verstehen

Peter Sloterdijks Gedanken helfen uns mit mentalen Bildern, die Geschichte der Kultur zu verstehen. Wie wir gesehen haben, ist der Autor nicht pessimistisch, was technologische Innovationen angeht, obwohl er kritisch gegenüber den Herrschaftsversuchen derjenigen bleibt, die versuchen, die Existenz zu globalisieren.

Sloterdijks Philosophie lädt uns dazu ein, uns selbst als Schäume zu betrachten. Genauso wie Neuronen Synapsen bilden, haben wir die Fähigkeit, neue Beziehungen zu knüpfen, wodurch die Möglichkeit eines ständigen dezentralen und organischen Wandels entsteht. Diese Netzwerke von Verbindungen, die durch Kommunikationssysteme verstärkt werden, können miteinander kollidieren oder zum Wohle der Menschheit als Ganzes wirken. Es liegt an uns, das Ergebnis zu bestimmen.

▶ Literaturempfehlung

  1. Kritik der zynischen Vernunft, Peter Sloterdijk, Suhrkamp 1983
  2. Sphären, Peter Sloterdijk, Suhrkamp 2004
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  • Cordua, C. (2011). “ESFERAS. El proyecto filosófico de Peter Sloterdijk” en Cuadernos de Teoría Social, Año 2, Nº4.
  • Rocca, A. V. (2008). “Peter Sloterdijk: espumas, mundo poliesférico y ciencia ampliada de invernaderos” en Nómadas. Revista Crítica de Ciencias Sociales y Jurídicas, Nº 18.
  • Rocca, A. V. (2009) “Sloterdijk y el imaginario de la Globalización; mundo sincrónico y conciertos de transferencia” en AISTHESIS Nº 45, pp. 167-180.

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