Olive Oatman, die Frau mit der blauen Tätowierung und der doppelten Gefangenschaft
Olive Oatman ist bekannt als die mysteriöse Frau mit dem blauen Tattoo am Kinn. Als Kind von den Yavapai-Indianern entführt, später von den Mohave-Indianern aufgenommen und schließlich von dort befreit, verwandte sie einen Teil ihres Lebens darauf, um über das Überleben und die Stärke des Menschen zu sprechen, ohne zu bemerken, wie zerbrochen ihr Geist und sogar ihre Identität war.
Es ist möglich, dass man die Geschichte von Olive Oatman schon gehört hat. Zweifellos ziehen das gelassene Gesicht der Protagonistin, ihr Blick und vor allem dieses einzigartige Tattoo, das ethnische und wilde Aspekte vereint, die Aufmerksamkeit der westlichen Gesellschaft auf sich, da sie kaum in deren Bild vom neunzehnten Jahrhunderts passen, das anständige Damen in zurückhaltender Position umfasst.
Olive Oatman erlitt in ihrem Leben zwei Tragödien, die sie auf Lebenszeit prägen sollten: zuerst den Verlust ihrer biologischen Familie durch den Angriff der Yavapais und dann ihre Befreiung aus ihrer zweiten Familie.
Olive Oatman war jedoch nicht wie jede andere Dame aus dem Arizona jener Zeit. Sie war eine Frau, die ihr Leben lang Traumata erleben musste, jemand, der versucht hat, sich anzupassen und jeden Rückschlag zu überstehen, mit dem ihn das Schicksal herausforderte. Und sie hat überlebt, darin besteht kein Zweifel, denn sie war etwas Bewundernswertes, wie Geschichte von Olive Oatman, die in den Büchern Captivity of the Oatman Girls (zu Deutsch: Gefangenschaft der Oatman-Mädchen, nicht auf Deutsch verfügbar) und The Blue Tattoo: The Life of Olive Oatman (zu Deutsch: Die blaue Tätowierung: Das Leben von Olive Oatman, nicht auf Deutsch verfügbar) von Margot Miffin beschrieben ist, ganz deutlich zeigt.
Es gibt jedoch etwas, über das in all diesen Jahren nicht gesprochen wurde. Olive Oatman fühlte sich niemals wieder so frei wie in jenen Tagen, als sie mit den Mohave zusammengelebt hat. Tatsächlich wurde fast 100 Jahre später eine kleine Stadt nach ihr benannt, ein Ort, an dem das junge Mädchen in der Gesellschaft der Eingeborenen lebte, wo sie seltsamerweise glücklicher war als je zuvor.
Die Geschichte von Olive Oatman – Jahre der Gefangenschaft, Jahre der Freiheit
Wir befinden uns im Jahr 1850 in den trockenen, aber immer majestätischen Ländern des Colorado, in den Vereinigten Staaten. Entlang eines einsamen, steinigen Wegs können wir einen Konvoi von Siedlern erkennen, die mit ihren Tieren, ihren Karren und ihren unendlichen Hoffnungen vorbeiziehen, um sich dort niederzulassen, was man damals die „neue Welt“ nannte. Diese Welt war aber bereits bewohnt: Sie hatte legitime Besitzer, die nicht dem Wunsch einer Gruppe von Ausländern nachgeben würden, die vorhatten, dieses Land ihr Eigen zu machen.
Unter den Siedlern befand sich auch die Oatman-Familie, Mormonen, die auf unvorsichtige Weise umherzogen, dem Fanatismus ihres geistlichen Führers, Pastor James C. Brewster, folgend. Es war jener Mensch, der sie unweigerlich in die Katastrophe führte. Sie wussten nichts von diesen Ländern, doch sie wollten auch nicht auf Warnungen hören. Ihr Vorhaben war so fest und ihr Glaube so blind, dass sie nicht begriffen, dass dieses Land von einer für ihre Begriffe wilden und ziemlich gewalttätigen Gruppe bewohnt war, von den Yavapai.
Die Indianer brachten beinahe alle Pioniere, die diese Expedition angeführt hatten, um. Nach dem Gemetzel entschieden sie sich, zwei weiße Mädchen als Sklaven zu nehmen, Olive Oatman, die damals 14 Jahre alt war, und ihre Schwester Mary Ann, 8 Jahre alt. Nach diesem Drama erwartete die beiden kleinen Mädchen etwas, das leider nicht viel besser war, als ihr voriges Leben: Sie mussten fast ein Jahr des Missbrauchs, der Vernachlässigung und der ständigen Erniedrigung durch die Eingeborenen, die den weißen Mann so sehr verachteten, durchstehen.
Doch das Blatt wendete sich, als ein benachbarter Stamm von der Geschichte der Mädchen erfuhr.
Dieser Stamm waren die Mohave. Sie waren es, die beschlossen, sie zu retten, indem sie den Yavapai einen Tausch anboten: Sie lieferten im Austausch für die weißen Mädchen mehrere Pferde und Decken. Die Abmachung wurde besiegelt und Olive und ihre jüngere Schwester begannen ein neues Leben, ein Leben, das eine 180º-Wendung in Bezug auf die bittere Armut bedeutete, die sie zuvor erlitten. Sie wurden von der Familie Espanesay und Aespaneo adoptiert, aufgenommen in einem Land voller Schönheiten, mit Weizenfeldern und Pappelwäldern, wo sie jeden Abend in Gesellschaft eines ihnen freundlich gesinnten Volkes schlafen konnten.
Um ihre Vereinigung mit der Gemeinschaft zu demonstrieren, erhielten sie das traditionelle Tattoo des Stammes. Diese Tätowierung garantierte ihre Vereinigung mit anderen Stammesmitgliedern im Jenseits, es handelte sich also um ein religiöses Symbol der Gemeinschaft der Mohave. Es waren relativ ruhige Jahre, in denen Olive die Gelegenheit hatte, den Verlust ihrer Eltern zu betrauern und die Beziehungen zu ihr und ihrer neuen Familie zu stärken.
Es gab jedoch auch schwierige Zeiten, Dürreperioden und Hungersnöte, in denen die Menschen litten und viele Kinder sterben mussten, einschließlich Mary Ann, Olives Schwester. Man erlaubte, sie nach den Traditionen ihrer eigenen Religion zu begraben und man gab ihr sogar ein Stück Land, auf dem Olive einen Garten mit wilden Blumen anlegte.
Das unsichtbare Tattoo von Olive Oatman
Olive Oatman war fast 20 Jahre alt, als ein Bote aus Fort Yuma in der Siedlung der Mohave ankam. Dort hatte man von der Anwesenheit einer weißen Frau erfahren und forderte ihre Rückkehr. Es muss gesagt werden, dass dieser Stamm das junge Mädchen nie gefangen hielt, sie sagten ihr immer, dass sie frei sei, zu gehen, wann immer sie es wünschte, aber Olive hatte kein besonderes Interesse daran, zu dem zurückzukehren, was die Weißen eine Zivilisation nannten. Es ging ihr gut. Sie fühlte sich gut.
Doch alles änderte sich, als sie herausfand, dass derjenige, der sie zurückholen wollte, Laurence war, ihr kleiner Bruder, von dem sie gedacht hat, er sei bei dem brutalen Angriff der Yavapai getötet worden, bei dem sie auch den Rest ihrer Familie verlor. So entschied sie, zu gehen, zu ihresgleichen zurückzukehren. Die Mohave akzeptierten ihre Entscheidung schweren Herzens. Doch die ihre war eine Entscheidung, die Olive später bedauern würde.
Die Frau mit der blauen Tätowierung
Olive wurde die “Frau mit der blauen Tätowierung” genannt. Die viktorianischen Kostüme, mit denen sie gekleidet wurde, um ihre Vergangenheit mit den Indianern zu verdecken, konnten jedoch das Tattoo, das ihr Kinn schmückte, nicht verbergen. Was jedoch nicht jeder wusste, war, dass auch ihre Arme und Beine mit auffälligen Tattoos verziert waren, die nie wieder das Sonnenlicht und den Wind des Colorado spüren sollten.
Nach ihrer Rückkehr in die Zivilisation verlief alles sehr schnell für Olive Oatman. Es wurde ein Buch über ihre sie geschrieben, wobei ein Teil der Tantiemen ihr für ihren persönlichen Gebrauch angeboten wurden, was sie auch nutzte. Das Geld verhalf ihr dazu, an der Universität zu studieren und die Ausbildung ihres Bruders Laurence zu finanzieren. Später begann sie, Vorträge zu halten, um über ihre Erfahrungen zu sprechen, so wie über die Yavapai und die Mohave.
Was jedoch in dem Buch über sie erzählt wurde und was die Menschen in ihren Vorträgen hörten, waren Anekdoten über die Wildheit der Indianer, über ihre Ignoranz und Unmenschlichkeit. Olive wurde unter Druck gesetzt, zu lügen, um in dieser Stadt zu überleben, in der sie nun eine neue Phase ihres Lebens verbringen sollte.
Im Jahr 1865 heiratete sie einen reichen Viehzüchter. Einen Mann, der sie nur um Folgendes bat: ihre Vergangenheit zu vergessen, die Vorträge bleiben zu lassen und, wenn sie das Haus verließ, einen Schleier über das Tattoo zu legen. Also tat sie genau das und ließ die Zeit vergehen, Stunde für Stunde. Jahr für Jahr war sie der vielleicht schlimmsten Unterwerfung ihres Lebens ausgesetzt und so entstand in ihr ein neues Tattoo: Das Tattoo des Schmerzes und der Erinnerung an jene Jahre, die sie mit den Mohave verbrachte, in denen ihre Existenz befriedigend, frei und glücklich war.
Olive Oatman verbrachte einen Großteil ihres Lebens mit intensiven Kopfschmerzen, Depressionen und Aufenthalten in Kliniken in Kanada, um ihre Sehnsucht nach ihrer Familie, den Mohave, zu heilen. Sie starb im Alter von 65 Jahren.