Neurokriminologie: eine notwendige Disziplin
Primitiv, wild und unfreiwillig: So beschrieb Cesare Lombroso im 19. Jahrhundert Kriminelle. Die umstrittenen Theorien dieses italienischen Arztes und Kriminologen assoziierten sogar bestimmte Körpermerkmale mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für gewalttätiges und kriminelles Verhalten. Inzwischen hat sich auf diesem Gebiet viel getan und es hat sich eine neue Disziplin entwickelt: die Neurokriminologie, die wir heute etwas näher betrachten werden.
Adrian Raine, Professor für Kriminologie und Psychiatrie an der Richard Perry University, zögerte nicht, Dr. Lombroso in seinem berühmten Buch “Als Mörder geboren: Die biologischen Wurzeln von Gewalt und Verbrechen” zu verteidigen. Wenn wir die Variablen des zugrundeliegenden Rassismus und die veraltete Theorie der Phrenologie entfernen, gibt es etwas, wofür wir dem Begründer der positivistischen Kriminologie danken können: Das k riminelle Verhalten hat biologische Wurzeln, über die wir Bescheid wissen müssen.
Außerdem werden kriminelles Verhalten und Gewalt weltweit zunehmend zu bedeutenden Problemen der öffentlichen Gesundheit. Wir haben es mit einem biopsychosozialen Phänomen zu tun, bei dem wir zwar psychologische und soziale Faktoren nicht ausschließen können, bei dem es aber einen Aspekt gibt, der es wert ist, näher untersucht zu werden: den neurologischen.
Was ist Neurokriminologie?
Wenn wir über Kriminalität sprechen, denken viele von uns an Figuren wie Ted Bundy, John Wayne Gacy (Pogo der Clown) oder Jeffrey Dahmer (der Schlächter von Milwaukee). Die Wahrheit ist, dass kriminelles und gewalttätiges Verhalten jede Sekunde überall auf der Welt und auf vielfältige Weise geschieht. Nicht jeder Überfall, jede Kriminalität oder jedes psychopathische Verhalten erscheint in den Medien oder ist Gegenstand einer Netflix-Serie.
Gewalt war, ist und bleibt eines der größten Probleme in unserer Gesellschaft. An dieser Stelle kommt die Wissenschaft ins Spiel. So wird die Neurokriminologie als eine Disziplin definiert, die eine Reihe von Methoden und Untersuchungstechniken anwendet, die darauf abzielen, Gewalt und Kriminalität zu verstehen, vorherzusagen, zu behandeln und sogar zu verhindern.
Diese Absicht ist nicht frei von bestimmten ethisch-juristischen Problemen. Ein Beispiel: Dr. Adrian Raine weist darauf hin, dass wir in Zukunft einen Punkt erreichen könnten, an dem sich alle Männer ab 18 Jahren Gehirnscans und DNA-Tests unterziehen, um das Risiko für gewalttätiges Verhalten vorherzusagen.
Der Fokus auf das männliche Geschlecht ist kein Zufall, denn auf eine weibliche Mörderin kommen neun männliche Mörder.
Die Entwicklung von Gewalt und die neurobiologischen Grundlagen
Die Biologie ist nicht die einzige Erklärung für die Ursachen von kriminellem Verhalten. Das Umfeld, Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung sind signifikante Risikofaktoren. Es gibt auch Raum für Aspekte, die mit der Schwangerschaft zusammenhängen, wie z. B. Drogenkonsum während der Schwangerschaft. Ebenso wenig können wir den Kontext ausschließen, wie Philip Zimbardo in dem berühmten Gefängnisexperiment an der Stanford University gezeigt hat.
Die Fortschritte in der Neurobildgebung und die Möglichkeit, die Gehirnaktivität zu beobachten, haben jedoch entscheidend dazu beigetragen, gewalttätiges Verhalten besser zu verstehen. Heute ist die Neurokriminologie neben den sozialen und umweltbedingten Aspekten ein unbestreitbares Puzzleteil.
So zeigen Arbeiten wie die von Luis Moya Albiol, Professor für Psychobiologie an der Universität Valencia, dass es ein ganzes komplexes neuronales System und chemische Substanzen gibt, die gewalttätiges Verhalten regulieren können.
Neurobiologische Grundlagen von Gewalt
Dieses Netzwerk, das nach der Neurokriminologie an gewalttätigem Verhalten beteiligt sein soll, umfasst Strukturen wie die folgenden:
- Die weiße Substanz des präfrontalen Kortex.
- Die Amygdala, die eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung von aggressivem Verhalten spielt.
- Der Hypothalamus, der für den Ausdruck von Emotionen wichtig ist.
- Der Neurotransmitter, der am stärksten mit gewalttätigem Verhalten in Verbindung gebracht wird, ist Serotonin (je niedriger der Serotoninspiegel, desto größer ist das Risiko für aggressives Verhalten).
- Noradrenalin ist auch ein Teil der neurobiologischen Grundlage von Aggression.
- Andererseits sind auch Stoffe wie Katecholamine, GABA, Glutamat, Acetylcholin, Stickstoffmonoxid, Vasopressin,
Substanz P, Histamin und endogene Opioide beteiligt.
Neurokriminologie und Neuroethik
Wie bereits eingangs erwähnt, führt der Fortschritt der Neurokriminologie als Disziplin auch zu einer gewissen ethisch-rechtlichen Herausforderung. Gewaltverbrecher können etwa als Opfer einer Hirnstörung angesehen werden. Ein Defizit bei der Verarbeitung von Emotionen oder bei der Empathie kann Zweifel daran aufkommen lassen, ob diese Täter für die begangenen Taten verantwortlich sind oder nicht.
Wie Dr. Moya in dem oben erwähnten Artikel erklärt, öffnet die Neurokriminologie also neue Fronten, über die es sich nachzudenken lohnt: Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus der Vorhersage zukünftigen kriminellen Verhaltens ziehen? Könnte ihre Anwendung für die Gesellschaft nützlich sein?
Verbrechen und Genetik
Auch die Beziehung zwischen Gewalt und Genetik ist ein Thema, das Aufmerksamkeit erhält und nicht unumstritten ist. Es wurden zwar Zusammenhänge zwischen bestimmten Genen und der Entwicklung neurologischer Erkrankungen, die zu Impulsivität und antisozialem Verhalten führen, festgestellt, aber ein signifikanter Zusammenhang bleibt mit den derzeit verfügbaren Mitteln eine Illusion.
Positive Neurokriminologie
Es stimmt zwar, dass die Neurokriminologie darauf abzielt, gewalttätiges Verhalten zu verstehen, zu behandeln und zu verhindern, aber es gibt auch einen interessanten und bereichernden Ansatz innerhalb dieser Disziplin. Psychologie und Kriminologie können zusammenarbeiten, um ganzheitlicher zu intervenieren und über das negative oder problematische Verhalten selbst hinauszugehen.
Eine Möglichkeit, gewalttätiges Verhalten zu rehabilitieren und sogar zu verhindern, wäre auch, an den positiven Aspekten des Verhaltens zu arbeiten. Dazu gehören Emotionen, Empathie, prosoziales Verhalten, Altruismus, die Verringerung der Impulsivität und die Verstärkung positiver Erfahrungen sowie menschliche Stärken wie Freundlichkeit und Glück.
Abschließend lässt sich sagen, dass die Biologie uns zwar nicht zu 100 % bestimmt, aber ein Risikofaktor ist, den wir verstehen müssen. Die Neurokriminologie ist eine wachsende Disziplin, die es uns in nicht allzu ferner Zukunft ermöglichen könnte, Gewalt effektiver zu verhindern.
Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.
- A., Raine, The Anatomy of Violence (Random House LLC, 2013)
- A. Raine, Reduced Prefrontal Gray Matter Volume and Reduced Autonomic Activity in Antisocial Personality Disorder (2000). Arch Gen Psychiatry. Available at
- Moya A, L., Sariñana G, P., Vitoria E, S., & Romero M, Á. (2017). La neurocriminología como disciplina aplicada emergente. Vox Juris, 33(33), 15–20. Retrieved from https://dialnet.unirioja.es/descarga/articulo/6058766.pdf
- Moya-Albiol, L. (2015). Neurocriminología. Psicobiología de la violencia. Madrid: Pirámide.
- Brewer, J. GENES AS A DEFENSE TO HOMICIDE: TRENDS IN NEUROCRIMINOLOGY.