Das Gefühl von Unterlegenheit und was du dagegen tun kannst

Schwierige Erfahrungen können sich tief verankern und ernste Folgen haben. Wir betrachten nachfolgend mögliche Auslöser für das Gefühl von Unterlegenheit und auch hilfreiche Bewältigungsstrategien.
Das Gefühl von Unterlegenheit und was du dagegen tun kannst
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 18. Oktober 2022

Selbstzweifel und das Gefühl von Unterlegenheit verstecken sich manchmal hinter einem selbstbewussten, lässigen Auftreten, in anderen Fällen ist die Unsicherheit bereits auf den ersten Blick zu erkennen. Alfred Adler führte den Begriff Minderwertigkeitskomplex in der Psychologie ein, wir wissen jedoch inzwischen, dass es um eine sehr komplexe Dimension handelt, die unsere Aufmerksamkeit erfordert.

Das Gefühl von Unterlegenheit kann unter anderem zu selbstverletzendem Verhalten oder Hass führen. Betroffene entwickeln individuell verschiedene Verhaltensmuster und Strategien, um mit dieser Situation umzugehen. Auch Isolation und Depression können die Folge sein.

Kind hat das Gefühl von Unterlegenheit

Das Gefühl von Unterlegenheit

Wer mit dem Gefühl lebt, inkompetent, fehlbar und anderen unterlegen zu sein, ist sich selbst der größte Feind. Der innere Dialog und negative Erfahrungen zerstören das Selbstwertgefühl mit Aussagen wie “Ich kann das nicht”, “Ich versuche es am besten gar nicht” oder “Andere machen das besser”.

Der österreichische Arzt Alfred Adler ging davon aus, dass alle Kinder an einem Minderwertigkeitskomplex leiden, da sie in fast allen Bereichen (Größe, Alter, Machtgefühl) unterlegen sind. Er bemerkte auch, dass das Gefühl von Unterlegenheit als Anreiz und Impuls wirken kann; als ein Bedürfnis, sich selbst zu übertreffen.

Heute wissen wir, dass sich nicht alle Kinder unterlegen fühlen. So ist unter anderem bei tyrannischen Kindern oder Kindern mit dem Kaisersyndrom genau das Gegenteil der Fall. Gordon Allport wies darauf hin, dass das Gefühl der Minderwertigkeit durch schlechte Erfahrungen zu jeder Zeit entstehen kann. Entscheidend ist dabei, wie wir diese Erfahrungen interpretieren.

Schwierige Erfahrungen können sich tief verankern und ernste Folgen haben. Wir betrachten nachfolgend mögliche Auslöser für das Gefühl von Unterlegenheit und auch hilfreiche Bewältigungsstrategien.

Minderwertigkeitskomplexe, die ihren Ursprung in der Kindheit haben

Kinder, die nur selten positive Verstärkung erhalten, entwickeln häufig ein negatives Selbstkonzept. Es kann beispielsweise auch vorkommen, dass ein Geschwisterkind bevorzugt wird, was das Selbstwertgefühl ebenfalls tief verletzen kann.

Was können wir in solchen Fällen tun?

  • Reframing, Distanzierung und Neuformulierung. Nach einer von Mangel geprägten Kindheit müssen anerzogene Überzeugungen und Gedanken neu formuliert und verändert werden. Es handelt sich um das kontinuierliche Bemühen, Gedanken umzustrukturieren. Wenn eine Mutter ihr Kind davon überzeugt hat, dass es für dies oder jenes nicht gut genug ist, muss das Kind später im Erwachsenenalter daran arbeiten, um diese Überzeugung zu ändern.
  • Selbstwirksamkeit. Wenn sich eine Person unterlegen und minderwertig fühlt, muss sie sich auf kleine Ziele und Aufgaben konzentrieren, die ihr helfen, ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Sie müssen sich selbst zeigen, wozu sie fähig sind.

Das Gefühl von Unterlegenheit aufgrund von missbräuchlicher Verletzung

Eine Beziehung mit einem Narzissten kann tiefe Spuren hinterlassen. Abhängigkeit und ein zerstörtes Selbstkonzept sind häufige Folgen. Betroffene leiden größtenteils an Ängsten und Minderwertigkeitskomplexen.

Was können wir in diesen Fällen tun?

  • Keine Schuldzuweisungen. Betroffene müssen lernen, dass sie nicht für diese Situation verantwortlich sind. Sie müssen Negativität und Verachtung ablegen und ihre emotionalen Wunden heilen. Dies ist ein komplexer Prozess, der viel Zeit erfordert.
  • Selbstermächtigung. Betroffene müssen ihre Ziele neu definieren, Pläne machen und neue Menschen kennenlernen, die sie achten und respektieren. Die Unterstützung der Familie ist in diesem Prozess grundlegend, denn es ist nicht einfach, neuen Mut zu fassen.
  • Aufbau des Selbstwertgefühls. Veränderungen sind nötig, damit die betroffene Person mit sich selbst ins Reine kommt, an Selbstvertrauen gewinnt und die eigenen Fähigkeiten neu entdeckt. Während dieses Prozesses ist es sehr hilfreich, Kurse zu machen, einen anderen Job zu beginnen oder neue Projekte in Angriff zu nehmen.

Das Gefühl von Unterlegenheit aufgrund von Rasse, Erscheinungsbild, Behinderung, oder spezifischen Einschränkungen

Soziale, physische, kulturelle oder andere einschränkende Aspekte verursachen in sehr vielen Fällen Minderwertigkeitskomplexe. Eine andere Hautfarbe, eine Autismus-Spektrum-Störung, eine Behinderung… All diese Faktoren können sich sehr negativ auf das Selbstwertgefühl auswirken.

Was können wir in solchen Fällen tun?

  • Vermeidung von selbsterfüllenden Prophezeiungen. Gefühle der Unsicherheit und Unzulänglichkeit führen unweigerlich zu selbsterfüllenden Prophezeiungen. Mit anderen Worten: Wenn du davon ausgehst, dass du zum Beispiel einen Job nicht bekommen wirst, weil du einer anderen Religion angehörst, übergewichtig bist oder andere Gründe vorliegen, dann schränkst du dich damit selbst ein und schließlich erfüllt sich diese Prophezeiung.

Menschen mit geringem Selbstwertgefühl erwarten wenig von sich selbst und nichts von ihrer Umgebung. Sie müssen dies ändern, um sich selbst Chancen zu geben.

  • Stärkung des Selbstwertgefühls. Minderheitsgefühle führen dich in einen negativen Kreislauf, der dich gefangen hält. Du musst dich mit niemandem vergleichen, du selbst bist die beste Referenz für dich. Definiere deine Ziele und konzentriere deine Bemühungen darauf, sie zu erreichen.
Frau empfindet das Gefühl der Unterlegenheit

Minderwertigkeitsgefühle und psychische Störungen

Es gibt noch einen letzten Aspekt, den wir nicht außer Acht lassen dürfen: Minderwertigkeitsgefühle treten auch bei vielen psychischen Störungen auf. Studien wie die von Dr. Stephen Moritz an der Universität Hamburg zeigen zum Beispiel, dass Minderwertigkeitsgefühle oft auch bei Patienten mit Schizophrenie vorkommen.

Andererseits zeigen sie sich auch bei Menschen mit einer abhängigen Persönlichkeitsstörung oder einer vermeidenden Persönlichkeitsstörung. Das Gefühl von Unterlegenheit kann auch hinter selbstverletzendem Verhalten oder sogar Essstörungen stecken.

In diesen Fällen ist es wichtig, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das ständige Gefühl, nicht gut genug oder unnütz zu sein, schränkt die Lebensqualität auf erdrückende Weise ein. Eine Psychotherapie kann dir helfen, dein Selbstwertgefühl zu heilen und dein Selbstkonzept zu stärken.


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  • Steffen Moritz, Ronny Werner & Gernot von Collani (2006) The inferiority complex in paranoia readdressed: A study with the Implicit Association Test, Cognitive Neuropsychiatry, 11:4, 402-415, DOI: 10.1080/13546800444000263

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