Carl G. Jung über die Gelassenheit im hektischen Alltag

Das Leben ist, wie Carl G. Jung sagte, ein ständiges Paradoxon. Es überrascht uns mit Freuden und Leid, mit Höhen und Tiefen, die wir überwinden müssen.
Carl G. Jung über die Gelassenheit im hektischen Alltag
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 08. April 2024

Der österreichische Wissenschaftler Wolfgang Ernst Pauli war einer der Pioniere der Quantenphysik. Er erhielt 1945 den Nobelpreis für Physik in Würdigung seiner Theorie des Ausschließungsprinzips. Pauli war einer der brillantesten Köpfe des 20. Jahrhunderts auf dem Gebiet der Physik, aber sein persönliches und emotionales Leben war ein einziges Chaos. Deshalb begann er 1932 eine Therapie bei Carl G. Jung.

Aus dieser Begegnung entwickelte sich eine einzigartige und sehr produktive Freundschaft. In seinem Buch 137: C. G. Jung, Wolfgang Pauli und die Suche nach der kosmischen Zahl¹ beschreibt Arthur I. Miller die Treffen des Schweizer Psychiaters mit dem Physiker im gotischen Herrenhaus am Ufer des Zürichsees. 

Carl G. Jung half Menschen, ihre Innenwelt zu erkunden. Sein Ziel war es, seine Patienten und Freunde anzuleiten, die dunkelsten Räume zu verlassen, indem sie sich an konkrete Richtlinien halten.

“Selbst ein glückliches Leben kann nicht ohne ein gewisses Maß an Dunkelheit sein, und das Wort glücklich würde seine Bedeutung verlieren, wenn es nicht durch Traurigkeit ausgeglichen wäre. Es ist viel besser, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, mit Geduld und Gleichmut.”

Carl G. Jung

Carl G. Jung über die Gelassenheit im hektischen Alltag
Carl G. Jung hat uns gelehrt, dass wir das Chaos des Lebens akzeptieren müssen. Wir müssen uns jedoch immer daran erinnern, wer wir sind und was unsere Essenz ist.

Ruhe und Gelassenheit im hektischen Alltag

In dem Buch Atom and Archetype: The Pauli/Jung Letters, 1932-1958² finden wir den Briefwechsel zwischen den beiden Persönlichkeiten. Pauli durchlebte stressige Zeiten und versuchte, sich durch Alkohol zu beruhigen. Seine Beziehungen scheiterten und er erlitt turbulente Albträume. Carl G. Jung half dem Physiker, diese schwierige Lebensphase zu überwinden. Daraus entwickelte sich eine enge Freundschaft, die auch auf intellektueller Ebene sehr produktiv war. Sie entwickelten beispielsweise das Konzept der Synchronizität, das zeitlich korrelierende Ereignisse beschreibt, die nicht über eine Kausalbeziehung verknüpft sind.

Heute konzentrieren wir uns jedoch darauf, wie der Vater der analytischen Psychologie seine Patienten dazu anleitete, Gelassenheit und Ruhe zu praktizieren.

“In allem Chaos ist Kosmos und in aller Unordnung geheime Ordnung.”

Carl G. Jung

1. Akzeptiere das Chaos als Teil des Lebens

Die Akzeptanz von Unbeständigkeit, Widrigkeiten und Stress ist schwierig. Jung wies darauf hin, dass Chaos für viele – auch für ihn selbst – eine furchterregende und lähmende Sache ist. Es ist nicht einfach zu akzeptieren, dass wir nicht immer die Kontrolle über unsere Zukunft haben. Doch Unvorhersehbarkeit und Chaos sind Bestandteile unserer Existenz. Sich dagegen zu wehren, führt vermehrt zu Stress und Ängsten. Wir müssen lernen zu vertrauen, denn jeder Sturm geht vorüber.

Wenn wir zurückblicken und sehen, welche Widrigkeiten wir bereits überwunden haben, finden wir einen Sinn in unserer Existenz. Es gibt eine gewisse Ordnung im Chaos, auch wenn wir sie oft nicht wahrnehmen.

2. Achte auf deine Wahrnehmung, wenn du das Ereignis interpretierst

“Es hängt alles davon ab, wie wir die Dinge sehen, und nicht davon, wie sie sind.”

Carl G. Jung

In den Briefen³ von Carl G. Jung entdecken wir die Korrespondenz des Schweizer Psychiaters mit seinen Patienten. Einer von ihnen fragte ihn metaphorisch, wie man “den Fluss des Lebens überquert”. Darauf antwortete Jung, dass es in Wirklichkeit keinen richtigen Weg zu leben gibt. Wir beschränken uns darauf, so zu leben, wie wir können; mit dem, was das Schicksal uns bringt. 

Um in Tagen der Angst ruhig zu bleiben, empfahl er, darauf zu achten, wie wir Erfahrungen interpretieren. Doch genau hier liegt das Problem: Viele navigieren auf dem Fluss des Lebens mit ungeheilten und verdrängten Erlebnissen. Wenn wir uns von der Trägheit unserer Triebe und unseres Schattens mitreißen lassen, ist das Leben voller Hindernisse. Wir ertrinken in den Gewässern des Alltags.

Wir müssen Licht in unseren Schatten bringen – wie Jung sagen würde -, um unser Selbstvertrauen zurückzugewinnen und die Dinge so wahrzunehmen, wie sie sind und nicht durch die Linse unserer Ängste.

3. Lass dich nicht mitreißen, erinnere dich daran, wer du sein willst

“Ich bin nicht das, was mir passiert ist, ich bin, was ich beschließe zu werden.”

Carl G. Jung

Um in Zeiten der Instabilität und des endlosen Drucks ruhig zu bleiben, schaue nach innen und nicht so sehr auf deine Umgebung. Dort liegen alle Wahrheiten, dort schlummern unsere Stärken. Jung schrieb in einem seiner Briefe, dass der Weg nie vorgeschrieben ist, sondern sich von selbst ergibt, wenn wir einen Fuß vor den anderen setzen.

Individuation ist ein Schlüsselbegriff bei Jung: Er beschreibt die Fähigkeit, eine starke und unabhängige Psyche aufzubauen, zu entdecken, wer wir sind, und selbst ein kreatives Wesen zu sein. Das ist ein weiteres Ziel, auf das wir jedes Mal hinarbeiten müssen, wenn wir einen Schritt nach vorn gehen. Wir sind das, was wir jeden Tag tun, nicht das, was wir in der Vergangenheit waren. Denke daran, dass du selbstbewusst bist und großes Potenzial hast. Du musst dich an deine Essenz erinnern, um Ruhe und Gelassenheit zu finden, wenn alles schief zu gehen scheint.

C. G. Jung über Ruhe und Gelassenheit
Die aktive Imagination kann durch Meditation, Schreiben, Tanzen, Musik usw. geübt werden.

4. Aktive Imagination zum Abbau von Ängsten

“Leider lebt niemand in der Welt, wie sie wünschenswert wäre, sondern in der wirklichen Welt.”

Carl G. Jung

Carl G. Jung wies darauf hin, dass Neurosen verschwinden, wenn wir eine breitere und freiere Persönlichkeit entwickeln. Wir sind so besessen davon, uns anzupassen, nach Ansehen und Akzeptanz zu streben, dass ein Teil von uns krank wird. Wir müssen dem Geist Sauerstoff geben, um ihn flexibler zu machen, was uns wiederum erlaubt, breitere Perspektiven einzunehmen.

Zu diesem Zweck prägte Jung den Begriff der aktiven Imagination, um mit einem spontaneren, spielerischen und vor allem kreativen Selbst in Kontakt zu kommen. Aktivitäten wie Kunst in all ihren Formen sowie Mediation sind Praktiken, die der Schweizer Psychiater zu empfehlen pflegte. Sie bauen nicht nur Stress ab, sondern ermöglichen auch den Selbsterfahrungsprozess und die Persönlichkeitsentwicklung.

In Zeiten von Chaos, Unbehagen oder Stress sind diese Strategien hilfreich. Das Erbe von Carl G. Jung kommt nie aus der Mode.

Literaturempfehlung

  1. 137: C. G. Jung, Wolfgang Pauli und die Suche nach der kosmischen Zahl, Arthur I. Miller, DVA 2011
  2. Atom and Archetype: The Pauli/Jung Letters, 1932-1958, Carl Gustav Jung (Autor), C.A. Meier (Herausgeber), Princeton University Press 2014
  3. Briefe. Erster Band: 1906-1945, Carl G. Jung (Autor), Aniela Jaffé (Herausgeber), Gerhard Adler (Herausgeber), Walter-Verlag 2001

Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.


  • Dunne, Claire (2012). Carl Jung. Psiquiatra pionero, artesano del alma. Biografía ilustrada con fragmentos de sus escritos, cartas y pintura. Barcelona: Editorial Blume
  • Hannah, Barbara (2019). Jung. Vida y obra. Una memoria biográfica Barcelona. Editorial Escola de Vida.
  • Jung, Carl (2014) Atom and Archetype: The Pauli/Jung Letters, 1932-1958. Princeton University Press.
  • Jung, Carl (2014) Selected Letters of C.G. Jung, 1909-1961 (Bollingen Series, 184) Princeton University Press.
  • Miller, I. Arthur (2009) Deciphering the Cosmic Number: The Strange Friendship of Wolfgang Pauli and Carl Jung. W. W. Norton & Company
  • Kaswin Bonnefond, Danielle (2006). Carl Gustav Jung. Madrid: Editorial Biblioteca Nueva.
  • Vallejo, B., & Perez, A., (2016). Estrés vital. Variables psicológicas y sociodemográficas predictoras del malestar emocional. Acción psicológica, ISSN 1578-908X, Vol. 13, Nº. 1. págs. 159-178 https://dialnet.unirioja.es/servlet/articulo?codigo=5691927

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