Wie beeinflusst Hofstedes Theorie der Kulturdimensionen die Gesellschaft?

Wie beeinflusst Hofstedes Theorie der Kulturdimensionen die Gesellschaft?
Roberto Muelas Lobato

Geschrieben und geprüft von dem Psychologen Roberto Muelas Lobato.

Letzte Aktualisierung: 14. Februar 2023

Alle Gesellschaften umfassen Regeln, Werte und Symbole, die sie von anderen unterscheiden. Deshalb sagen wir, dass verschiedene Gesellschaften unterschiedliche Kulturen pflegen. Und wenn es um das Studium von kulturellen Unterschieden geht, ist es unmöglich, Gerard Hendrik Hofstede nicht zu erwähnen. Er war der Forscher, der das Modell der fünf Kulturdimensionen entwickelte.

Hofstede zeigte, dass Menschen regionale und nationale Eigenschaften haben. Er belegte auch, dass diese Eigenschaften über die Zeit stabil bleiben und ihr Verhalten beeinflussen. Diese kulturellen Muster nannte er Kulturdimensionen.

Die fünf Kulturdimensionen sind Machtdistanz, Individualismus vs. Kollektivismus, Maskulinität vs. Femininität, Unsicherheitsvermeidung und Langzeitperspektive vs. normative Kurzzeitperspektive. Jede kulturelle Dimension hat zwei Seiten. Eine Gesellschaft kann in jeder Dimension einen hohen oder niedrigen Wert vertreten, was zu unterschiedlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen führt. 

Machtdistanz in verschiedenen Gesellschaften

Machtdistanz ist die Art, wie eine Gesellschaft mit der Macht ihrer Institutionen und Organisationen umgeht. Länder mit einer geringen Machtdistanz sind normalerweise dezentralisiert organisiert. Andererseits gibt es in Ländern mit großer Machtdistanz meistens eine zentrale Autorität.

Bei dieser Dimension geht es zudem darum, wie jene Mitglieder der Gesellschaft, die am wenigsten Macht haben, diese höhere Macht akzeptieren und ob sie erwarten, dass eine gleichmäßigere Verteilung der Macht erfolge. Grundsätzlich geht es also darum, wie eine Gesellschaft der Ungleichheit zwischen der Macht seiner Mitglieder begegnet.

Menschen in Gesellschaften mit großer Machtdistanz akzeptieren die hierarchische Ordnung. Für sie ist es in Ordnung, dass jeder seinen Platz hat, und keine Erklärungen sind nötig. In Gesellschaften mit geringer Machtdistanz hingegen versuchen die Menschen, die Machtverteilung gleichwertig zu gestalten. Wenn es Ungleichheiten in Bezug auf Macht gibt, verlangen sie eine Rechtfertigung.

Beispiele für Länder mit hoher Machtdistanz sind Malaysia, Guatemala und Panama, denen Länder wie Österreich, Dänemark und Israel gegenüberstehen.

Ein indischer Junge

Individualismus vs. Kollektivismus

Hinsichtlich dieser Dimension können wir Individualismus als Vorliebe für ein unstrukturiertes gesellschaftliches Umfeld definieren. Die Menschen kümmern sich vorrangig um sich selbst. Kollektivismus bedeutet das Gegenteil, heißt, dass eine Vorliebe für ein stark strukturiertes soziales Umfeld besteht. Hier müssen sich die Menschen keine Sorgen machen, dass ihre Verwandten oder die Mitglieder ihrer Familie sich nicht um sie kümmerten. Als Gegenleistung wird absolute Loyalität verlangt.

Wir sehen die Unterschiede zwischen diesen zwei Dimensionen, wenn wir uns das Selbstbild der Menschen ansehen: Die einen definieren sich selbst als ein “ich”, während die anderen sich als “wir” sehen. 

Individualismus und Kollektivismus sind zugleich jene Kulturdimensionen, die uns sehen lassen, wie sehr die Bürger ihre Unabhängigkeit schätzen und wie wichtig ihnen das Befolgen der gesellschaftlichen Regeln und die Loyalität ihrer Gruppe gegenüber ist. Individualistische Menschen kümmern sich um sich selbst, bewerten persönlichen Erfolg und Unabhängigkeit hoch und setzen ihre eigenen Interessen an erste Stelle – zuweilen über die Regeln der Gesellschaft hinweg. Im Gegensatz dazu haben kollektive Menschen das starke Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein. Kollektive Interessen sind dabei wichtiger als persönliche Ziele, die Beziehungen zu anderen Menschen sehr wichtig.

Laut Studien zu dieser Dimension sind die individualistischsten Länder die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und Australien. Sehr kollektive Länder sind Japan, China und Panama.

Frauen auf Stelzen in traditionellen Gewändern

Maskulinität vs. Femininität

Maskulinität bedeutet, dass eine Gesellschaft auf Leistung, Heldentum, Durchsetzungskraft und materielle Belohnung für Erfolge ausgerichtet ist. Solche Gesellschaften sind eher wettbewerbsorientiert als die von Femininität geprägten. Femininität bedeutet vermehrte Kooperation, Bescheidenheit, Sorge um die Schwächeren und Lebensqualität. Solche Gesellschaften bewerten den Konsens höher. Aufgrund der genannten Eigenschaften und der Unabhängigkeit derselben vom Geschlecht werden manchmal auch die Begriffe “harte Kulturen” und “weiche Kulturen” verwendet.

Der Begriff “Maskulinität” hat aber durchaus mit einer Gesellschaft zu tun, in der die Geschlechterrollen klar verteilt sind. Männer sollen bestimmt, hart und erfolgreich sein, Frauen bescheiden, sensibel und fürsorglich. Der Begriff “Femininität” beschreibt hingegen Gesellschaften, in denen die Geschlechterrollen fließend sind. In solchen Gesellschaften mögen sowohl Männer als auch Frauen die zuvor beschriebenen Charaktere aufweisen.

In dem Sinn gehören Japan, Ungarn und Österreich zu den maskulinen Ländern. Schweden, Norwegen und Holland sind sehr feminine Länder.

Eine mit Henna bemalte Hand

Unsicherheitsvermeidung

Unsicherheitsvermeidung ist die Dimension, die aufzeigt, wie gut die Menschen in einer Gesellschaft mit Unsicherheit oder Unklarheit umgehen können. Hauptsächlich geht es hier darum, wie eine Gesellschaft der Tatsache begegnet, dass die Zukunft immer ungewiss ist. Sollte man versuchen, die Zukunft zu kontrollieren oder den Dingen einfach ihren Lauf lassen?

Gesellschaften mit hoher Unsicherheitsvermeidung haben sehr strikte Regeln dafür, wie ihre Mitglieder denken und handeln dürfen. Diese Gesellschaften akzeptieren kein Verhalten und auch keine Gedanken, die außerhalb dieser Regeln liegen. Dahingehend sind Gesellschaften mit niedriger Unsicherheitsvermeidung sehr viel entspannter. Pragmatismus ist ihnen viel wichtiger als Prinzipien.

So zeigt ein niedriger Wert in dieser Dimension, dass die Menschen in einem Land eher selbstmotiviert und risikofreudiger sind, aber auch weniger unabhängig. Länder mit einem hohen Unsicherheitsvermeidungsindex sehen da ganz anders aus: In ihnen zählen Stabilität, Regeln und soziale Normen. Deshalb versuchen sie, Risiken so weit wie möglich zu minimieren – was wiederum ein weiteres Risiko birgt, nämlich das des langsameren Fortschritts.

Die Länder mit dem höchsten Unsicherheitsvermeidungswert sind Griechenland, Portugal und Guatemala. Länder mit einem niedrigen Index sind Dänemark, Jamaika und Singapur.

Eine indische Tänzerin

Langzeitorienrtierung vs. normative Kurzzeitorientierung

Alle Gesellschaften müssen die Bindung zu ihrer Vergangenheit pflegen und gleichzeitig mit den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft umgehen. Aber verschiedene Gesellschaften ordnen diesen zwei Zielen meistens eine sehr unterschiedliche Priorität zu. Gesellschaften mit Kurzzeitorientierung versuchen im Allgemeinen, ihre gut gepflegten Traditionen und Regeln zu bewahren. Soziale Veränderungen sind ihnen eher suspekt. Andererseits sind Gesellschaften mit Langzeitorientierung wesentlich praktischer ausgerichtet. Sie bemühen sich viel mehr, in eine moderne Ausbildung zu investieren. Das machen sie, weil sie sie als einen Weg verstehen, um sich auf die Zukunft vorzubereiten.

Langzeitorientierung konzentriert sich also auf Werte, die mit zukünftigen Vorteilen einhergehen. Die Menschen sind bereit, gesellschaftlichen Erfolg oder sogar emotionale Befriedigung kurzfristig zurückzustellen, um sich auf die Zukunft vorzubereiten. Gesellschaften mit dieser kulturellen Einstellung schätzen Durchhaltevermögen, Beharrlichkeit, Sparsamkeit sowie Anpassungsfähigkeit.

Normative Kurzzeitorientierung konzentriert sich auf die Vergangenheit und Gegenwart und begreift diese als wichtiger als die Zukunft. Eine Gesellschaft mit Kurzzeitorientierung legt Wert auf Traditionen, bestehende soziale Hierarchien und die Erfüllung gesellschaftlicher Verpflichtungen. Sofortige Befriedigung ist in diesen Gesellschaften wichtiger als die Langzeitzufriedenheit.

Die Länder mit der höchsten Langzeitorientierung sind China, Hong Kong und Taiwan. Venezuela, Uruguay und die Vereinten Arabischen Emirate sind am stärksten kurzzeitorientiert.

In welcher Art Land lebst du?

Vielleicht möchtest du jetzt die Werte deines Landes herausfinden. Nun, Hofstede hat diese englischsprachige Seite ins Leben gerufen, auf der du nachsehen und deine Situation mit der von anderen vergleichen kannst. Aber selbst wenn ein Land bezüglich bestimmter Kulturdimensionen hohe Wert erzielt, heißt das nicht, dass das auf jeden Bürger zuträfe. Individuen können sich immer von ihrer Gruppe unterscheiden – das heißt, sie könnten bei diesen kulturellen Dimensionen ganz andere Wert erzielen.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.