Verlegenheit: Welche Arten gibt es und welchen Einfluss haben sie auf uns?
Es gibt verschiedene Arten von Verlegenheit. Obwohl sie meistens die gleichen körperlichen Auswirkungen haben, unterscheiden sie sich in Bezug auf die kognitive Verarbeitung und die Umstände, die sie hervorrufen. Lies einfach weiter und erfahre, warum wir uns oft verlegen, beschämt oder peinlich berührt fühlen!
Kürzlich hat der namhafte amerikanische Psychoanalytiker Joseph Burgo vier verschiedene Arten von Verlegenheit definiert, die er als grundlegend betrachtet. Er sagt, dass die Menschen heutzutage eher dazu bereit sind, darüber zu sprechen, was sie verlegen macht und wofür sie sich schämen. Gleichzeitig erklärt er, wie sich diese vier Arten der Verlegenheit auf uns auswirken.
In seinem Buch, das im Jahr 2018 erschienen ist, präsentiert er vier Perspektiven, aus denen wir dieses Phänomen betrachten können. Aber bevor wir näher auf die Unterschiede eingehen, wollen wir dir zunächst sagen, was diese Perspektiven gemeinsam haben:
- Erröten von Gesicht, Hals oder Nacken
- Verlangen, Situationen zu entkommen oder sie zu vermeiden
- Drang, zu verschwinden oder den Ort wechseln zu wollen
- Unfähigkeit, dem anderen Menschen in die Augen zu sehen
- Vorübergehende geistige Verwirrung
Allerdings scheint sich die Meinung der Experten über diesen psychophysischen Zustand von der Wahrnehmung der meisten Menschen zu unterscheiden.
Ist Verlegenheit immer negativ?
Viele Menschen haben ein sehr negatives Bild von Verlegenheit oder dem Gefühl der Peinlichkeit. Allerdings sehen diejenigen, die diesen Zustand erforschen, ihn als vielfältiger an und beurteilen auch die sich daraus ergebenden Konsequenzen als moderater und weniger drastisch.
Auf die eine oder andere Weise ist Verlegenheit ein relativ häufiger Aspekt unseres täglichen Lebens, der sich nur schwer vermeiden lässt. Dennoch ist er nicht so toxisch oder negativ, wie du vielleicht vermuten würdest. Burgo hat einige sehr interessante Vorschläge in seinem Buch gemacht. Basierend auf mehr als 35 Jahren klinischer Beobachtungen wies er auf den Zusammenhang hin, der zwischen Verlegenheit und Selbstwertgefühl besteht.
Daher ist er auch der Ansicht, dass die positiven Lernerfahrungen, die du durch die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Stadien der Verlegenheit gewinnen kannst, den negativen hemmenden Effekt verhindern können, der durch sie verursacht wird. Die Botschaft, die uns der Autor hier vermittelt, ist optimistisch und zugleich entmystifizierend.
Nur selten halten wir inne und denken über die unterschiedlichen Aspekte unserer Verlegenheit nach. Stattdessen neigen wir sehr häufig dazu, unsere Schamgefühle und unsere Verlegenheit zu verbergen, weil wir sie als sehr unangenehm empfinden. Dieses Verhalten kann sich auf unterschiedliche Arten manifestieren:
- Sucht und Abhängigkeiten
- Perfektionismus
- Selbstmitleid
- Promiskuität
- Narzissmus
Arten von Verlegenheit und ihre Auswirkungen auf uns
Einer der Gründe, warum es heute einfacher ist, dieses Thema anzusprechen, ist, dass Menschen weniger Angst davor haben, das auszusprechen, was sie unangenehm oder peinlich berührt. Grundsätzlich sind die Menschen wesentlich eher dazu bereit, darüber zu sprechen als früher.
Verlegenheit beeinflusst unzählige Persönlichkeitsmerkmale und psychologische Abwehrmechanismen.
In unserer heutigen Gesellschaft werden wir dazu ermutigt, unser wahres Ich zu zeigen. Wir befolgen Ratschläge, die uns sagen, dass wir in Harmonie mit unseren Qualitäten und unserem Verstand leben sollten. Daher sind auch viele Menschen eher dazu bereit, sich mit sich selber zu beschäftigen und preiszugeben, was sie verlegen macht. Die heutzutage weit verbreitete positive Psychologie ermutigt dich, deine weniger erstrebenswerten Eigenschaften mit Optimismus zu akzeptieren.
Für Burgo gehört die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Formen der Verlegenheit zu seiner täglichen Beschäftigung. Es ist ein psychologischer Prozess, der sich während der täglichen Aktivitäten im Leben der Menschen manifestiert. Aus diesem Grund ist der Umgang damit völlig normal und akzeptabel.
Wie wir bereits erwähnt haben, unterscheidet der Autor vier verschiedene Arten von Verlegenheit.
1. Unerwiderte Liebe
Vielleicht hast du jemanden geliebt, aber diese Liebe wurde nicht erwidert oder der von dir geliebte Mensch hat dich zurückgewiesen. Vielleicht hat du auch das Gefühl, dass er dich im Stich gelassen hat. In vielen derartigen Situationen wird Verlegenheit zur Demütigung.
Darüber hinaus wissen wir, dass Kinder schon sehr früh in ihrem Leben diese Art von Verlegenheit bzw. Verletzung erfahren können. Wenn Babys von ihren Müttern nicht die Liebe bekommen, die sie brauchen, obwohl sie viele Versuche unternommen haben, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, dann erleben sie etwas, das der Verlegenheit sehr ähnelt. Man bezeichnet dies als “einseitige Liebe”.
In der psychologischen Praxis haben Experten beobachtet, dass Menschen, die auf diese Weise aufgewachsen sind – mit Müttern, die nicht genügend Empathie in der Beziehung mit ihrem Kind gezeigt haben – als Folge dieser “einseitigen Liebe” offensichtliche Verletzungen erlitten haben. Dies wirkt sich negativ auf die normale Entwicklung der Person aus.
“Die Bücher, die die Welt als unmoralisch bezeichnet, sind die Bücher, die der Welt ihre eigene Schande aufzeigen.”
-Oscar Wilde-
2. Verlegenheit durch unfreiwillige und unerwünschte Exposition
Dies ist eine Situation, die nicht ganz so häufig auftritt. Wenn Menschen andere Menschen in der Öffentlichkeit herabwürdigen, oder wenn jemand beispielsweise einen Raum betritt und du stehst nackt vor ihm.
Da diese Art von Verlegenheit oder Peinlichkeit nicht so häufig vorkommt und meistens auch nicht wirklich schwerwiegende Konsequenzen hat, sind die Auswirkungen meist nur vorübergehend und nicht wirklich schädlich für das psychische Wohlbefinden eines Menschen.
Allerdings können auch diese Situationen in bestimmten Fällen dazu führen, dass die betroffene Person ein Trauma erlebt oder negativ davon beeinflusst wird. Diese Auswirkungen hängen von der Veranlagung der Person und auch von der Intensität der erlebten Emotion ab.
3. Die Nicht-Erfüllung von Erwartungen und Enttäuschung
In diesem Fall sprechen wir über die Art der Verlegenheit, die entsteht, wenn du versucht hast, ein Ziel zu erreichen und dabei gescheitert bist. Du fühlst dich verlegen oder peinlich berührt, weil du weder deine eigenen Erwartungen an dich noch die Erwartungen anderer Menschen erfüllen konntest.
Aber auch diese Form der Verlegenheit ist, ähnlich wie die vorherige, nicht extrem schwerwiegend und wird vermutlich keine dramatischen Auswirkungen haben. Einige alltägliche Beispiele für Situationen, die derartige Gefühle erzeugen könnten, sind folgende:
- Wenn du mit deiner Arbeit nicht so vorankommst, wie es dein Arbeitgeber von dir erwartet.
- Das Auslaufen einer freundschaftlichen Beziehung.
- Das Scheitern einer Beziehung.
4. Verlegenheit oder Schamgefühl durch Ausgrenzung oder Marginalisierung
Als soziales Wesen ist es ganz normal, dass du dich einer Gruppe zugehörig fühlen möchtest. Dieses Prinzip trifft auf nahezu alle Bereiche deines Lebens zu: Arbeit, Beziehungen, Freundschaften usw. Allerdings gibt es Zeiten, in denen dieses Zugehörigkeitsgefühl bedroht werden kann…
In diesen Fällen würde ein starkes Selbstbewusstsein und die Fähigkeit, valide Annahmen zu treffen, dazu beitragen, sich gegen die negativen Auswirkungen dieser Verlegenheit zu schützen. Außerdem wäre eine gute Einstellung folgende: “Meine Freunde haben mich heute nicht zum Grillen eingeladen, weil sie wissen, dass ich sehr viel arbeite. Daher haben sie vermutlich gedacht, dass ich sowieso keine Zeit haben werde und wollten mich nicht stören. Der Grund ist nicht der, dass sie keine Zeit mit mir verbringen wollen.”
Verlegenheit und Schamgefühle haben ganz unterschiedliche Auswirkungen
Verlegenheit und peinliche Gefühle können sehr anstrengend sein und dich manchmal auch zur Verzweiflung bringen. Die Auswirkungen sind manchmal so schwerwiegend, dass sie dein emotionales Gleichgewicht und deine persönliche Entwicklung negativ beeinflussen. Tatsächlich hängen einige negative Persönlichkeitsmerkmale wie Narzissmus oder Selbstverletzung damit zusammen, dass Menschen nicht über die Ressourcen verfügen, um angemessen mit ihrer Verlegenheit umgehen zu können.
Wenn du “nein” zu deinem Kind sagst, wird das eine sehr milde Form der Verlegenheit hervorrufen, denn mit deinem Nein behinderst du das natürliche Bedürfnis von Kindern, Dinge zu entdecken und zu erforschen. Dennoch hält diese Art der Verlegenheit normalerweise nicht sehr lange an und wird in der Regel auch keine langfristigen Auswirkungen haben.
“Es ist beschämender, Freunden zu misstrauen, als von ihnen getäuscht zu werden.”
-François de La Rochefoucauld-
Daher werden kleinere Verlegenheiten, die sich möglicherweise angesammelt haben, keine dauerhaften negativen Auswirkungen haben. Aus diesem Grund ist es auch völlig in Ordnung, wenn Eltern nicht jedem Wunsch ihrer Kinder nachgeben.
Abschließende Gedanken
Wenn wir aber mit einer Person zu tun haben, deren Kindheit von Missbrauch, Vernachlässigung oder traumatischen Erfahrungen geprägt war, können die Auswirkungen allerdings schwerwiegender sein.
Es gibt Menschen, die durch Verlegenheit oder Schamgefühle ernsthafte Beeinträchtigungen in ihrem Leben erfahren. Wenn sich diese Menschen dazu entscheiden, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen – etwas, das wir unbedingt empfehlen – muss der behandelnde Therapeut sehr behutsam vorgehen. Nachdem er das Vertrauen des Patienten gewonnen hat, wird er mit dem Patienten nach und nach dessen vergangene Erfahrungen aufarbeiten und dessen persönliche Abwehrmechanismen ergründen.
Der Aufbau einer vertrauensvollen Bindung erfordert Zeit und Mühe. Dies trifft auf Menschen zu, die tiefe Gefühle von Verlegenheit, Scham und Demütigung in sich tragen. Daher kann es für sie sehr schwer erträglich sein, wenn andere Menschen sie be- und verurteilen. Es kann sogar sein, dass sie Angst davor haben, dass ihr Therapeut sie beurteilt.
Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.
- Burgo, J. (2018). Shame : Free yourself, find joy and build true self-esteem. Londres: Watkins Media.
- Gilbert, P. (2002). Body Shame: Conceptualisation, research and treatment. Sussex: Brunner-Routledge.
- Hutchinson, P. (2008). Shame and philosophy. Londres: Palgrave MacMillan.
- Marina, A. (2017). Vergüenza, orgullo y humillación: contrapuntos emocionales en la experiencia de la migración laboral femenina. Estudios Sociológicos, 35(103), 65-89.