Unsere Familiengeschichte - sind wir durch sie zum Scheitern verurteilt?

Früher oder später kommt der Punkt, an dem wir feststellen, dass die Dinge, die wir an unseren Eltern nicht mögen, auch ein Teil von uns selbst sind.
Unsere Familiengeschichte - sind wir durch sie zum Scheitern verurteilt?
Angela C. Tobias

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Angela C. Tobias.

Letzte Aktualisierung: 09. April 2023

Es gibt nichts Schlimmeres, als die Unzulänglichkeiten unserer Eltern in uns selbst zu erkennen. In gewisser Weise ist es verrückt sich vorzustellen, wie schrecklich es war, mit diesen Mängeln umzugehen. Und plötzlich, ob wir es nun mögen oder nicht, sind sie auch ein Teil unser selbst.  Ist dies womöglich ein Teil von etwas Größerem, wie unserer Familiengeschichte?

Das Unbehagen, das diese Ähnlichkeit verursacht, ist so groß, dass es oft nichts anderes zu tun gibt, als sie zu leugnen. Diese Ablehnung führt jedoch dazu, dass wir solche Unzulänglichkeiten anderen auferlegen. In der Psychoanalyse ist dieses Verhalten als Projektion bekannt.

Es ist durchaus üblich, die Muster deiner Familiengeschichte in anderen Beziehungen zu wiederholen. Was du als Heranwachsender in deiner Familie gelernt hast, ist dir bis heute eigen. Wenn dir dies schließlich klar wird, fragst du dich möglicherweise: „Bin ich durch meine Familiengeschichte tatsächlich zum Scheitern verurteilt?“ oder „Werde ich nun die gleichen Fehler machen, die meine Eltern gemacht haben?“

Warum ist unsere Familiengeschichte so wichtig?

Deine Familiengeschichte geht über genetische Studien hinaus. Du hast nicht aufgehört zu lernen, seit du aus dem Mutterleib geboren wurdest. Tatsächlich hattest du bereits vor deiner Geburt ein paar Dinge gelernt.

Es ist völlig normal, das nachzuahmen, was dir jeden Tag vorgelebt wird. Im Handumdrehen drückst du dich so aus, wie es die Menschen um dich herum tun. Dur lernst sogar, mit deinen Emotionen so umzugehen, wie deine Nächsten es tun. In gewisser Weise werden diese Menschen zu deinen Vorbildern.

Die Familiengeschichte geht über genetische Studien hinaus.

Tatsächlich gibt es ein Entwicklungsstadium, in dem Kinder ihr eigenes Wesen nicht von dem ihrer Bezugspersonen unterscheiden können. In späteren Stadien entwickelt das Kind dann sein „Selbst“ und versteht, dass es unabhängig von seinen Bezugspersonen ist. Diese Phase macht sich besonders in der Jugend bemerkbar, wenn der Einzelne beabsichtigt, sein „Selbst“ zu bekräftigen und seine Familiengeschichte zu leugnen.

Kinder idealisieren ihre Eltern so sehr, dass es nach psychoanalytischen Theorien eine Verliebtheit in die Eltern gibt, die als Ödipus- oder Electrakomplexe bekannt sind.

Werde ich die gleichen Fehler machen wie meine Familie?

Nein, deine Familiengeschichte verurteilt dich nicht zum Scheitern. Wenn du dich von deiner Familie abheben möchtest, wirst du es tun. Alle Muster, die du in deiner Familie gesehen oder gelernt hast, ziehen sich durch deine Persönlichkeit. Aus diesem Grund kannst du sie manchmal in dir selbst erkennen. Bedenke jedoch, dass deine Bezugspersonen nicht die einzigen Vorbilder sind, die du hast. Denn auch deine Lebenserfahrungen strukturieren diesen gesamten Rahmen!

Die neuen Beziehungen, die du aufbaust, ob romantisch, freundschaftlich oder brüderlich, verändern alle Muster, die du in dir trägst.

In diesem Sinne kannst du deine Familiengeschichte als eine Belastung betrachten. Es ist jedoch auch etwas Kostbares, das sich durchsetzen muss, um deine Generation zu erhalten. Ob du es glaubst oder nicht, es ist sogar möglich, deine Familiengeschichte zu perfektionieren und zu verbessern.

Anna Freud, die Tochter des berühmten Psychiaters Sigmund Freud, leistete mit ihren Theorien zu Abwehrmechanismen grundlegende Beiträge zur Psychiatrie. Wie du siehst, setzte Anna Freud das Erbe ihres Vaters fort und ging sogar noch einen Schritt weiter.

Anna Freud setzte das Erbe ihres Vaters fort und ging sogar noch einen Schritt weiter.

Schreibe deine Familiengeschichte neu

Es ist wichtig, deine Familiengeschichte zu verstehen, um zu erkennen, wie sich deine Bezugspersonen im Laufe der Jahre auf dich ausgewirkt haben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass du das wiederholen musst, was deine Familienmitglieder getan haben. Denke daran, dass du keine Handlungen wiederholen oder nachahmen musst, mit denen du nicht einverstanden bist.

Eine der Psychotherapien, die sich mehr auf diese Perspektive konzentriert, ist die Familientherapie. Sie versucht mit Präzision, deine aktuelle familiäre Position und sogar vorherige Generationen, zu erläutern. Dies ermöglicht es der Person, eine aktive Rolle in diesen unbewussten vertrauten Mustern zu übernehmen, die sich ständig wiederholen und Schmerzen verursachen.

Letztendlich bist du ein Erbe deiner Familienmitglieder, sowohl für die positiven Dinge, auf die du stolz bist, als auch für das Vermächtnis der Dinge, die dir Unbehagen bereiten. Du solltest dich jedoch immer daran erinnern, dass es an deiner Existenz liegt, diese Geschichte zu verbessern und den besten Teil deiner selbst an die nächste Generation weiterzugeben.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.