Tägliche Traurigkeit, ein unbequemer Wegbegleiter

Obwohl Traurigkeit eine dem Leben innewohnende Emotion ist, tolerieren wir sie nicht immer oder verstehen ihre Botschaft. Wenn wir verstehen, was uns dieser unbequeme Reisebegleiter sagen möchte, können wir bessere Entscheidungen treffen und als emotional kompetente Menschen auftreten.
Tägliche Traurigkeit, ein unbequemer Wegbegleiter
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 12. Februar 2022

Die tägliche Traurigkeit füllt die Leinwand unseres Lebens mit kleinen grauen Pinselstrichen. Wir würden sie gerne besser ertragen und diesen Zustand, der Dichter, Komponisten und Schriftsteller inspiriert, ebenfalls nutzen. Der emotionale Schleier wird jedoch selten begrüßt, außerdem neigen wir dazu, seine Präsenz zu verstärken und ihn zu ermächtigen, bis er unsere Gegenwart völlig vernebelt.

Friedrich Nietzsche erwähnte, dass unsere Realität manchmal schrecklich erscheint, allerdings entdecken wir früher oder später, dass sie gar nicht so unerträglich ist; am Ende schaffen wir es, mit ihr umzugehen. Das Multiversum der Emotionen und Gefühle hat die unaufhaltsame Kraft, uns Stärken und Fähigkeiten zu verleihen, die uns selbst erstaunen. Keiner dieser inneren Zustände ist nutzlos, am allerwenigsten die Traurigkeit.

Experten auf diesem Gebiet, unter anderem der US-amerikanische Psychologe Paul Ekman, erklären, dass es nur wenige psychologische Realitäten gibt, die uns so sehr fokussieren wie die Traurigkeit selbst. Jenseits dessen, was wir vielleicht denken, ist sie voller Leben, Kraft und Sinn, denn sie erinnert uns daran, dass es Aspekte gibt, an denen wir arbeiten müssen; Dinge, die unsere Aufmerksamkeit erfordern, um voranzukommen.

Es ist wahr, dass die tägliche Traurigkeit manchmal unerträglich ist. Doch sie ist Teil des Lebens. Du musst nur wissen, wie du sie akzeptieren und ihre Botschaft verstehen kannst, um persönliche Knoten zu lösen. Dadurch wirst du dein Wohlbefinden zurückerlangen.

Trauer bringt Tiefe. Freude bringt Höhe. Trauer bringt Wurzeln. Freude bringt Äste. Freude ist wie ein Baum der sich dem Himmel entgegenstreckt und Trauer ist wie die Wurzeln die in das Erdinnere hineinwachsen. Beides wird benötigt – je höher ein Baum wächst, desto tiefer verwurzelt er sich in der der Erde. So wird die Balance aufrechterhalten.

Osho

Baum, der die alltägliche Traurigkeit darstellt

Tägliche Traurigkeit, wie kannst du damit leben?

Ist es normal, tägliche Momente der Traurigkeit zu empfinden? Die Antwort ist ja. Ist es normal, Tag für Tag ein permanentes Gefühl der Traurigkeit bis hin zur völligen Blockade zu verspüren? Nein, ist es nicht. Vorübergehende Gefühle der Traurigkeit, die uns im täglichen Leben begleiten, sind kein Anlass zur Sorge.

Die tägliche Traurigkeit wird jedoch oft als negativ oder sogar pathologisch wahrgenommen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass wir instinktiv dazu tendieren, unsere Augen und Ohren zu schließen und so wie uns beigebracht wurde, Traurigkeit zu meiden. Schon als Kinder werden wir an die klassische Botschaft „Sei nicht traurig“ gewöhnt, dabei wäre die Frage „Warum bist du traurig?” weitaus sinnvoller. Dies würde uns helfen, diese Emotion auch später besser zu bewältigen.

Wir versuchen, die Traurigkeit automatisch loszuwerden. Die Absicht ist, Ballast abzuwerfen, indem wir uns auf Aktivitäten konzentrieren, die uns ablenken. Wir gehen einkaufen, treffen uns mit Freunden, gehen ins Kino… Und obwohl all das richtig und sogar ratsam ist, vergessen wir, dass die Traurigkeit gehört werden will. Wenn wir sie zum Schweigen bringen, verlieren wir auch unsere Fähigkeit, den Alltag zu genießen.

Tägliche Traurigkeit ist nicht gleich Depression

Wir dürfen Traurigkeit nicht als negative Emotion etikettieren. Traurigkeit ist eine adaptive Emotion, die verschiedene Vorteile hat. Allerdings ist sie in unserer modernen Gesellschaft negativ belastet. Häufig wird sie außerdem mit Depression assoziiert, doch wir sprechen von zwei völlig unterschiedlichen Dimensionen:

  • Traurigkeit ist eine adaptive Emotion und Teil unseres Lebens. Sie entsteht bei Erlebnissen, die mit Enttäuschung, Schmerz oder Verlust verbunden sind, aber auch in Glücksmomenten. Manchmal neigen wir in diesen bedeutsamen und intensiven Momenten dazu, transzendente und erhabenere Aspekte zu schätzen, bei denen oft ein gewisses Gefühl der Traurigkeit auftritt.
  • Stimmungsstörungen wie Depressionen machen uns emotional taub. Was bedeutet das? Tiefe Leere und Apathie machen sich breit. Dieser Zustand geht weit über Traurigkeit, Wut, Schuld, Scham oder Hass hinaus, wobei natürlich diese Emotionen auftreten können.
Frau fühlt sich täglich traurig

Was hat tägliche Traurigkeit mit einem Surfbrett zu tun?

Die tägliche Traurigkeit, die sich jederzeit äußern kann und dann wieder verblasst, muss zwar nicht pathologisch sein, hat jedoch ihren Preis. Wenn es dazu kommt, versuchen sich die meisten abzulenken und nicht daran zu denken. Musik, Freunde, ein gutes Buch, Einkaufen oder Essen sind Möglichkeiten, die Traurigkeit zu verdrängen.

Eine Studie von Dr. Nitika Garg, die an der University of New South Wales (Australien) forscht, weist jedoch darauf hin, dass Traurigkeit wirtschaftliche und gesundheitliche Kosten zur Folge hat. Die meisten Betroffenen gehen einkaufen (und zwar Dinge, die sie gar nicht benötigen) oder versuchen, sich mit ungesunden, fettreichen Lebensmitteln zu trösten.

Diese weitverbreiteten Verhaltensweisen sind kontraproduktiv und außerdem ungesund. Wenn tägliche Traurigkeit auftritt, solltest du dich ihr stellen und nicht zurückschrecken. Nur so kannst du verhindern, dass sie mächtiger oder sogar chronisch wird.

Je größer die Welle, desto wichtiger ist es, Körper und Geist in Einklang zu bringen!

Das Surfbrett: Wie du dich unangenehmen Emotionen stellen kannst

Surfer wissen, dass es insbesondere am Anfang eine enorme Herausforderung ist, sich einer Welle zu stellen. Du freust dich zwar auf die perfekte Welle, doch wenn sie da ist, führt der Nervenkitzel auch zu Angstgefühlen.

Bei Traurigkeit ist es ähnlich: Es handelt sich um einen unbequemen Wegbegleiter, der kommt und geht und uns Sorgen bereitet. Doch es ist sinnlos, ihr auszuweichen oder sie zu verdrängen. Du musst dich deiner Traurigkeit stellen, so als wäre sie eine Welle.

Surfer verwenden  grundsätzlich zwei Techniken:

  • Sie nutzen die Kraft der Welle, um auf dem Surfbrett stehend über das Wasser zu gleiten,
  • oder sie weichen der entgegenkommenden Welle aus, wenn sie aufs Meer paddeln. Diese Technik nennt sich “Duck Dive”.

Bei der ersten Methode ist es wichtig, den richtigen Zeitpunkt zu erkennen und zu nutzen. Wenn die ersten Anzeichen auftreten, musst du handeln. Wenn du dich in diesem Augenblick richtig verhältst, wirst du dein Ziel erreichen.

Allerdings ist die Welle manchmal zu groß. Die Traurigkeit kann immens sein. Ein Surfer verwendet in diesem Fall die Technik des “Duck Dive”. Diese Bewegung erinnert an eine tauchende Ente und ermöglicht es ihm, unter der Welle durchzutauchen.

Wenn es also keine andere Möglichkeit gibt, musst du die Angst des Augenblicks akzeptierenSie wird schließlich früher oder später von selbst verschwinden. Es ist jedoch wesentlich, Widerstand zu leisten und unter Wasser zu atmen, damit du kurze Zeit später ruhig und sicher auftauchen kannst und auch so dein Ziel erreichst.

Die tägliche Traurigkeit ist Teil unseres Lebens, du solltest deshalb lernen, auf intelligente Weise mit ihr umzugehen.


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