Nicht-pathologischer Narzissmus und emotionales Schutzschild

Menschen mit nicht-pathologischem Narzissmus schützen sich hinter einem Panzer, der ihr schwaches und ängstliches Selbst verbirgt. Aber woher kommt ein so zerbrechliches und schattenhaftes Selbst?
Nicht-pathologischer Narzissmus und emotionales Schutzschild
Gema Sánchez Cuevas

Geprüft und freigegeben von der Psychologe Gema Sánchez Cuevas.

Geschrieben von Edith Sánchez

Letzte Aktualisierung: 08. Mai 2023

Der Ausdruck nicht-pathologischer Narzissmus scheint widersprüchlich zu sein. Wir beziehen uns damit jedoch auf “gewöhnliche” Menschen mit narzisstischen Zügen, die gewisse Grenzen nicht überschreiten und nicht an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS) leiden. Es handelt sich um ein häufiges Phänomen, das Betroffene daran hindert, ein erfülltes Leben zu führen, da sie selbstzerstörerisches Verhalten entwickeln.

Man könnte argumentieren, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der nicht-pathologischer Narzissmus vorherrscht. Tatsächlich weisen viele Menschen narzisstische Züge auf. Sie verstecken sich hinter einem emotionalen Schutzschild und gleichzeitig mangelt es ihnen an Empathie.

“Ein typischer Gedanke bei narzisstischen Störungen ist: Es ist einfacher, die Dinge zu kontrollieren, wenn man keine Gefühle hat.”

Pedro Jiménez

Nicht-pathologischer Narzissmus als emotionales Schutzschild
Nicht-pathologischer Narzissmus äußert sich durch einen Mangel an Empathie.

Nicht-pathologischer Narzissmus und sein Ursprung

Der Ursprung des nicht-pathologischen Narzissmus geht auf die frühesten Phasen im Leben eines Menschen zurück. Manche Experten argumentieren, dass er infolge einer mangelhaften Bindung zur Mutter entstehen kann. Dieser Narzissmus steht in der Regel im Zusammenhang mit Erfahrungen in den ersten beiden Lebensjahren, aber auch frühere oder spätere Einflüsse sind häufig.

Die mütterlich-familiäre Bindung entsteht im Normalfall bereits während der Schwangerschaft. Die Mutter ist der Bezugspunkt, auf den das Baby beim Eintritt ins Leben zählt. Zu Beginn des Lebens gibt es kaum jemanden, der sie in der Gefühlskonstellation des Kindes ersetzen kann. Durch die Befriedigung seiner ersten Bedürfnisse beginnt das Ich des Babys Gestalt anzunehmen.

Erhält das Baby hingegen von der Mutter nicht die Zuneigung und den Schutz, den es braucht, kann sich ein falsches Ich entwickeln. Wenn das Baby beispielsweise der Mutter eine Geste macht und sie darauf in einer Weise antwortet, die für das Baby unangemessen oder fremd ist, kann es sich hilflos fühlen.

Wenn sich dies häufig wiederholt, entsteht eine gestörte Bindung, von der das Baby am Ende nichts erwartet. Die Distanz zur Mutter verursacht Schmerz. Gleichzeitig findet dieser Schmerz keinen Weg, sich auszudrücken, da die Mutter selbst als gleichgültig oder bedrohlich empfunden wird. Das Kind beginnt dann, sich der Erfahrung zu verschließen.

Das emotionale Schutzschild

Nicht-pathologischer Narzissmus kann durch die Grunderfahrung der mütterlichen Ablehnung und das daraus entstehende emotionale Schutzschild entstehen. Diese Panzerung äußert sich oft durch die Versteifung der Muskulatur, da sich der Körper im Verteidigungsmodus befindet. Die Blockade geht häufig mit der Tendenz einher, die hervorgerufenen Gefühle zu verleugnen.

Die Entwicklung eines offenen und flexiblen Selbst ist nicht möglich, es entsteht stattdessen ein defensives Selbst: Die Person zieht sich schließlich von der Welt zurück und reduziert sich auf ihr eigenes Ich. Das schützt sie vor den anfänglichen Gefühlen der Leere, wenn die Antwort der Mutter ausbleibt, und vor der Angst, weil sie angesichts der Situation verletzlich ist.

Dieses falsche Selbst vermeidet Gefühle. Ortega y Gasset sagte, dass der Mensch das einzige Wesen ist, das von innen heraus lebt. Die anderen Tiere hingegen bleiben in Erwartung dessen, was draußen passiert. Ihre Aufgabe ist es, Nahrungsquellen zu entdecken und Gefahren zu vermeiden. Mit anderen Worten: Sie leben von außen.

Etwas Ähnliches passiert bei nicht-pathologischem Narzissmus: Er zwingt Betroffene zu einer hypervigilanten Haltung gegenüber der Außenwelt, ein Produkt von Angst und Misstrauen.

Nicht-pathologischer Narzissmus: Mann braucht Therapie
Menschen mit nicht-pathologischem Narzissmus neigen dazu, Gefühle von Hilflosigkeit und Leere zu verbergen.

Das Fehlen von Empathie

Sowohl bei pathologischem als auch bei nicht-pathologischem Narzissmus ist ein ausgeprägtes Fehlen von Empathie festzustellen. Das falsche Selbst reagiert defensiv, geschlossen, aber auch überzogen. Dies ist die Maske, die Betroffene benutzen, um ihre Gefühle der Hilflosigkeit und Leere zu verbergen.

In diesem Zustand ist ein Mensch unfähig, sich selbst zu lieben, er ist von Angst und Leere erfüllt. Dieser Mangel an Selbstwertgefühl wird durch eine ständige und oft verzweifelte Suche nach “Spiegeln der Akzeptanz” kompensiert. Die Betroffene Person hängt von der Zustimmung, Bewunderung, Erhöhung und Akzeptanz anderer ab. Erhält sie diese Aufmerksamkeit nicht, zerbricht ihr Selbst und verfällt in eine Depression.

Erfolg, Ruhm, Macht und Status sind das Ziel, das Menschen mit nicht-pathologischem oder pathologischem Narzissmus anstreben. Ihr emotionales Schutzschild hindert sie daran, sich mit anderen auf eine Weise zu verbinden, bei der ihr Selbst nicht an erster Stelle steht. Eine Psychotherapie ist in diesen Fällen hilfreich, unabhängig von den zugrundeliegenden Ursachen des Narzissmus.


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