Neurotensin: ein Neuropeptid, das schöne Erinnerungen ermöglicht

Neurotensin ist ein wichtiger Akteur bei der Speicherung von Erinnerungen. Es könnte helfen, Menschen mit fehlerhaftem Sozialverhalten zu behandeln. Dieser Weg ist jedoch gefährlich, da wir damit manipulierbarer wären.
Neurotensin: ein Neuropeptid, das schöne Erinnerungen ermöglicht
María Vélez

Geschrieben und geprüft von der Psychologin María Vélez.

Letzte Aktualisierung: 17. Januar 2023

Das Gedächtnis zählt zu den am besten untersuchten kognitiven Funktionen. Es vollbringt erstaunliche Leistungen und ist deshalb für Experten und Laien gleichermaßen faszinierend. 2022 erschien in der Zeitschrift Nature eine Studie, die sich mit der Neurobiologie des Gedächtnisses befasst. Konkret geht es darin um spezifische Substanzen und Bereiche, die daran beteiligt sind, einer Erinnerung eine positive oder negative Wertigkeit zuzuordnen. In diesem Zusammenhang sprechen wir heute über das Neuropeptid Neurotensin und über das Zusammenspiel von Gedächtnis und Emotionen.

Emotionen und Gedächtnis

Diese beiden grundlegenden psychologischen Prozesse sind miteinander verbunden. Im Laufe unseres Lebens erhalten wir eine unüberschaubare Menge an Reizen, die durch einige Filter laufen, bevor wir sie speichern. Unser Gehirn wählt zur Speicherung jedoch nur jene Informationen, die von größerer Bedeutung sind.

Es ist bekannt, dass die Gehirnbereiche, die für das Gedächtnis (Hippocampus) und die emotionale Verarbeitung (Amygdala) zuständig sind, eng miteinander verbunden sind, um die wichtigsten Erfahrungen behalten und schneller abrufen zu können.

Dies geschieht dank der Mechanismen von Belohnung und Bestrafung, die Erfahrungen und Reize mit angenehmen oder unangenehmen Empfindungen verbinden. Dies führt zukünftig wiederum zu einem Annäherungs- oder Vermeidungsverhalten gegenüber diesen Erfahrungen.

Frau denkt darüber nach, welche Rolle Neurotensin für das Gedächtnis spielt
Das Gehirn wählt die bedeutungsvollsten Ereignisse und Daten aus, um Erinnerungen zu schaffen.

Die Merkmale von Emotionen

Was eine Information grundsätzlich von einer anderen unterscheidet, ist die Bedeutung, die ihr beigemessen wird. Das heißt, wie intensiv und angenehm oder unangenehm eine Erfahrung ist. Dazu müssen wir uns zunächst die Merkmale von Emotionen ansehen, die theoretisch in drei Dimensionen eingeteilt werden:

  • Aktivierung: Grad der Stimulation oder Erregung, die sie verursacht. Zum Beispiel erfolgt eine niedrige Aktivierung bei Ruhe.
  • Valenz: Grad der Sympathie oder Abneigung, der von positiv bis negativ reicht. Zum Beispiel die positive Valenz der Freude.
  • Dominanz: Grad der Kontrolle über eine Person. Zum Beispiel herrscht eine geringe Dominanz bei Angst.

Wenn also ein Erlebnis eine hohe Aktivierung und eine positive Valenz hat, wird es wahrscheinlich das Belohnungssystem aktivieren, die Erinnerung daran verstärken und die Person dazu ermutigen, das Erlebnis in irgendeiner Weise zu wiederholen.

Neurotensin und wie Erinnerungen einen Wert erhalten

An dieser Stelle lohnt es sich zu fragen, wie genau bestimmt wird, ob etwas angenehm ist oder nicht, ob es eine positive oder negative Valenz hat. Wie gibst du dem, was eine Erinnerung sein wird, einen Wert? Die gleiche Frage stellte sich eine Forschungsgruppe am Salk Institute in den Vereinigten Staaten. Sie untersuchten in einer Studie drei Fakten:

  • Wenn Lernen mit einer positiven oder negativen Erfahrung verbunden ist, werden die Informationen über verschiedene Wege durch die Amygdala übertragen.
  • In dieser Gehirnregion spielt Dopamin eine Schlüsselrolle, aber es unterscheidet nicht zwischen positiv und negativ.
  • Neurotensin, das in der Amygdala vorkommt, ist sowohl an der Belohnungs- als auch an der Bestrafungsverarbeitung beteiligt und beeinflusst die Langzeitpotenzierung.

Neurotensin ist ein Neuropeptid, das aus 13 Aminosäuren besteht und im Gehirn und in neuroendokrinen Zellen vorkommt. Es hat sehr vielseitige Funktionen und ist unter anderem für die Fettaufnahme im Darm, die Modulation von Fortpflanzungshormonen oder die Regulierung anderer Neurotransmitter zuständig.

Die Schlussfolgerungen der Studie

In ihrer Studie mit Labormäusen eliminierte die Forschergruppe das Neurotensin-Gen selektiv aus den Zellen der Amygdala. Die Mäuse wurden dann einer Aufgabe ausgesetzt, bei der sie den Zusammenhang zwischen einem Ton und einem angenehmen Ergebnis (Zuckerlösung) und einem anderen Ton und einem Lufthauch (unangenehm) lernen mussten.

Das Ergebnis war, dass die Mäuse den Zusammenhang zwischen dem Ton und dem angenehmen Erlebnis nicht lernen konnten. Das heißt, sie waren nicht in der Lage, die positive Wertigkeit der Beziehung zuzuordnen. Im Gegensatz dazu fand das Lernen zwischen dem anderen Ton und dem negativen Stimulus statt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Neurotensin eine Schlüsselrolle bei der Zuordnung von Werten zu zukünftigen Erinnerungen spielt. Vor allem solche, die mit angenehmen Erfahrungen verbunden sind.

Neurotensin
Neurotensin verleiht angenehmen Erinnerungen einen Wert.

Auswirkungen

Obwohl es sich um Ergebnisse aus der Tierforschung handelt, haben die Erkenntnisse eine Reihe von wichtigen theoretischen und klinischen Auswirkungen. Einerseits helfen sie, die neurobiologischen Mechanismen des Gedächtnisses zu verstehen. Die Kenntnis der beteiligten Regionen und Neurotransmitter erleichtert das Verständnis ihrer Beziehung zu anderen Gehirnprozessen und -bereichen. Außerdem erhalten wir aus dieser Forschung wertvolle Daten über die Informationsverarbeitung und die Festigung von Erinnerungen.

In der Praxis wurde Neurotensin aufgrund seiner Beziehung zu Dopamin bereits als Mittel zur Behandlung von Schizophrenie untersucht. Dabei wurden vielversprechende Ergebnisse erzielt. Die Tatsache, dass Neurotensin Erinnerungen einen Wert verleiht, ermöglicht außerdem die Entwicklung von pharmakologischen Behandlungen , die die Intensität und Relevanz negativer Erfahrungen reduzieren können. Damit könnten sehr vielen Menschen mit Angstzuständen, Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen geholfen werden.

Kurzum: Die Wissenschaft hört nie auf, uns zu überraschen und uns neue Wege zu unserem eigenen Wissen zu eröffnen.


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