Leon Tolstoi: Das Lob der Güte

"Güte ist für die Seele dasselbe, was Gesundheit für den Leib ist. Sie ist unmerklich, wenn du sie besitzt; sie zeitigt den Erfolg aller Arbeit." Entdecke eines der wichtigsten Werke von Leo Tolstoi, der nicht nur ein großer Schriftsteller, sondern auch ein bemerkenswerter Friedensaktivist war.
Leon Tolstoi: Das Lob der Güte
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 25. April 2023

Vor seinem Tod wollte Tolstoi zugunsten der Armen auf seinen gesamten Besitz verzichten. Dieser Wunsch wurde von seiner Familie nicht respektiert, und so beschloss der berühmte Romancier, sein Haus mitten im Winter zu verlassen. “Auf der Erde gibt es Millionen von leidenden Menschen: Warum kümmert ihr euch nur um mich?” In seinen Schriften drückte er seine Verärgerung und Empörung darüber aus, dass sein Wille nicht erfüllt wurde.

Doch schon zu Lebzeiten gelang es ihm, die Saat des Guten zu säen, die er so gerne um sich herum verbreiten wollte. Tolstoi verzichtete auf alle Arten von Luxus und richtete Schulen für die Kinder der Bauern und Bäuerinnen ein. Er unterrichtete sie selbst, schrieb und redigierte die Bücher seiner Schüler. Die Lehre, die er ihnen vermittelte, war sehr einfach und kraftvoll zugleich: sich selbst und andere zu respektieren.

Eines der erhabensten Projekte des russischen Schriftstellers war jedoch Tolstois Kalender der Weisheit¹ (1912). Für dieses Werk sammelte er in den Tagen seiner Krankheit über mehrere Jahre hinweg die besten Zitate großer Denker und kommentierte sie mit besonderer Sensibilität. Auch heute gibt diese Sammlung unserem Leben einen Sinn. Sich an das Lob der Güte zu erinnern, ist dringender denn je.

“Ein Buch zu schreiben, das für die Massen, für Millionen von Menschen bestimmt ist, ist viel wichtiger und fruchtbarer, als einen Roman zu verfassen, der ein paar Mitglieder der privilegierten Klassen für kurze Zeit unterhält und dann völlig in Vergessenheit gerät.”

Leon Tolstoli

Leon Tolstoi beim Schreiben
Das persönlichste Buch von Leo Tolstoi war Tolstois Kalender der Weisheit. Er benötigte dafür 17 Jahre.

Leo Tolstoi: ein Geschenk an die Menschheit

Tolstois Kalender der Weisheit war, wie der Schriftsteller selbst sagte, das Buch seines Lebens. Es war ein Geschenk an die Menschen, eine Quelle des Wissens und der täglichen Inspiration. Der Meister zeigt uns damit, die Welt und die weisen Persönlichkeiten der Geschichte zu verstehen. Am Ende jedes wöchentlichen Kapitels erfreut uns Tolstoi mit seiner persönlichen Reflexion.

Interessanterweise wurde die russische Ausgabe nach der Oktoberrevolution (1917) verboten. Sein Buch wurde als zu spirituell und nicht im Einklang mit den Idealen des Sowjetregimes gebrandmarkt. In Wirklichkeit ging es Tolstoi nur darum, die Bevölkerung intellektuell zu bereichern. Erst 1995 erblickte sein Werk über das Lob des Guten in Russland wieder das Licht der Welt – und es wurde zu einem Bestseller. Weise Worte haben kein Ablaufdatum, sie sind immer willkommen.

Tolstoi hatte nach seinen Jahren auf dem Schlachtfeld das Gefühl, am Abgrund angelangt zu sein. Die Erziehung zu Güte und Weisheit war seiner Meinung nach die einzige Rettung für die Menschheit. Dieser Gedanke ist sein Geschenk an die Menschheit, das wir in seinem wertvollen Buch finden.

1. Was auch immer geschieht, reagiere mit Güte

Wenn du auf das Böse, das dir angetan wird, mit Güte reagierst, zerstörst du bei einem bösen Menschen die Freude, die er aus dem Bösen zieht.

Der Krimkrieg hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf den Autor von Krieg und Frieden². Er erschütterte seine Wertvorstellungen und stürzte ihn in eine tiefe persönliche Krise, die in der Folge zu einer persönlichen Revolution führte. Tolstoi war ein Verfechter des gewaltlosen Widerstands, eine Sichtweise, die später Persönlichkeiten wie Gandhi und Martin Luther King inspirierte.

In seiner Ideologie und seinem Empfinden vertrat er die Notwendigkeit, auf aggressive Handlungen stets mit Güte zu reagieren. Respekt, Toleranz und Integrität sind die Standards, die das Böse daran hindern, seine Macht fortzusetzen.

2. Wahre Liebe

Liebe ist nur dann echt, wenn ein Mensch sich für einen anderen aufopfern kann. Nur wenn man sich selbst um eines anderen willen vergisst und für dieses Geschöpf lebt.

Zu lieben heißt, sich zu kümmern, zu respektieren und den Egoismus zurückzustellen, der so tief im Menschen verwurzelt ist. Wahre Liebe war für Leo Tolstoi die Fähigkeit, sich für die Menschen vor uns zu interessieren und sich für sie einzusetzen. Er praktizierte sie selbst, indem er Bedürftige unterstützte und auf ein Leben in Luxus verzichtete, um anderen das Beste von sich zu geben.

3. Güte macht uns hellhörig

Güte bereichert unser Leben; mit Güte werden mysteriöse Dinge klar, schwierige Dinge werden einfach und langweilige Dinge werden fröhlich.

Sind Güte und Intelligenz miteinander verbunden? Mehr als die Intelligenz ist es die Weisheit, die eng mit freundlichem Verhalten verbunden ist. Eigenschaften wie gutes Urteilsvermögen, Gelassenheit, einfühlsames Denken und ethisches Verhalten sind die Grundlage.

Sicher ist, dass Leo Tolstoi nicht Unrecht hatte, als er darauf hinwies, dass Güte es uns ermöglicht, die Realität klarer zu sehen. Durch das Prisma der Menschlichkeit, der Ehrlichkeit oder der Toleranz weitet sich die Weisheit und lässt Interessen und Egoismus zurück.

verschränkte Hände symbolisieren die Freundlichkeit, von der Tolstoi sprach
Wir alle können unser höchstes Maß an menschlicher Moral erreichen, wenn wir in der Lage sind, täglich Güte zu praktizieren.

4. Biete an, was du zu empfangen suchst

Um das Gute zu leben, versuche, es zu praktizieren.

Die meisten von uns wissen sehr genau, was wir von anderen erhalten wollen: Respekt, Verständnis, Anerkennung, Zuneigung…. Manchmal vergessen wir jedoch, dass wir nicht verlangen können, was wir selbst nicht geben. Leon Tolstoi betont in Tolstois Kalender der Weisheit, dass es sinnlos ist, das Gute zu loben, wenn wir nicht wissen, wie wir es praktizieren können.

Er erinnert uns daran, dass das Gute nur dann zu jedem Menschen kommt, wenn wir alle in der Lage sind, es täglich zu praktizieren und es in unsere Herzen zu integrieren. Für große gesellschaftliche Veränderungen braucht es nur den Funken, mit dem sich jeder von uns einer ganz einfachen Sache bewusst wird: Güte kostet nichts und wenn wir sie praktizieren, kann sie unsere gesamte Realität verändern.

Tolstoi widmete 17 Jahre seines Lebens dem Schreiben dieses Buches. Es war sein ganz besonderes Projekt, ein zeitloses Geschenk für didaktische Zwecke, das der Menschheit als Leitfaden und Inspiration dienen sollte. Ein Vermächtnis, das von Ruhe, Weisheit, Zärtlichkeit und Glück genährt ist und das es wert ist, wiedergefunden zu werden.

▶ Lese-Tipps

  1. Tolstois Kalender der Weisheit, Leon Tolstoi, Peter Sekirin (Hrsg.), btb 2001
  2. Krieg und Frieden, Leon Tolstoi, dtv 2001

Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.


  • Tolstoi, Leon (2017) Calendario De La Sabiduría. MARTINEZ ROCA
  • Porché, François (1958). Tolstói: retrato psicológico. Buenos Aires: Losada.
  • Rolland, Romain (2010). Vida de Tolstói. Acantilado.

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