Künstliche Intelligenz und Schönheit nach Kant
In jüngster Zeit hat die künstliche Intelligenz bedeutende Fortschritte erzielt, die im Alltag sichtbar werden. Generative Modelle schaffen künstlerische Kompositionen, die so gut sind, dass sie einen Marktwert haben und als schön wahrgenommen werden. Dies hat eine Debatte darüber ausgelöst, ob von künstlichen Intelligenzsystemen geschaffene Werke als Kunst bezeichnet werden können oder nicht.
Die Philosophie hat im Laufe der Geschichte versucht, Schönheit zu definieren und ist zu verschiedensten Ergebnissen gekommen. In diesem Artikel analysieren wir, welche begrifflichen Hilfsmittel uns der Philosoph Immanuel Kant anbietet, um mechanische Kunst von schöner Kunst zu unterscheiden.
Was ist Schönheit für Kant?
Wenn wir einen Gegenstand – sei es ein Kunstwerk, eine Blume oder eine Landschaft – betrachten und ihn nach seinen ästhetischen Werten beurteilen, bezeichnen wir ihn oft als schön. Für Kant ist die Schönheit jedoch kein Teil des Objekts, sondern ein Gefühl, das das Subjekt empfindet. Das, was wir als schön empfinden, löst in uns ein freies Spiel zwischen Vorstellung und Verstand aus, das uns bei der Betrachtung Freude bereitet.
Anders als der Geschmack, der völlig subjektiv sein kann, hat die Schönheit jedoch den Anspruch, universell zu sein. Wenn uns eine Mahlzeit schmeckt, erwarten wir nicht, dass alle dasselbe Urteil fällen. Handelt es sich jedoch um etwas Schönes, glaubt Kant, dass wir diese Erwartung haben. Er versteht Schönheit jedoch als subjektives Gefühl mit universellen Ansprüchen.
Die Subjektivität basiert auf die Freude oder Ablehnung des einzelnen Betrachters, auf das individuelle Geschmacksurteil. Die Universalität bezieht sich auf die Norm, auf die gemeinsamen Ansichten über die Kunst. Wir glauben zwar nicht, dass jeder Schönheit auf dieselbe Weise empfinden muss, projizieren jedoch die Vorstellung, dass unser eigenes Urteil universell ist.
Schönheit und das Gefühl des uneigennützigen Vergnügens
Da Schönheit einem Gefühl in uns entspringt, kann sie nicht von unserem Interesse an der Existenz des Objekts abhängen. Angenommen, ein Botaniker beobachtet eine Blume: Sein Interesse besteht darin, die Eigenschaften dieser Pflanze zu untersuchen. Er wird unter anderem die Bestäubung und Befruchtung analysieren, kann jedoch nicht die Natur ihrer Schönheit bestimmen.
Kant argumentiert also, dass ästhetische Urteile von der Beziehung zwischen der Existenz des Objekts und der in unserem Geisteszustand erzeugten Neigung abhängen, aber kein Interesse an dem Objekt voraussetzen. Dass Urteile interesselos sind, bedeutet, dass es keine persönliche Bedingung gibt, die unser Urteil beeinflusst.
Angenommen, wir beurteilen einen Kunstwettbewerb, bei dem einer der Teilnehmer ein Verwandter ist. Damit unser Urteil rein ist, sollten wir das Kunstwerk unseres Verwandten nicht aufgrund unserer Beziehung zu ihm bewerten. Wir wollen vielleicht, dass er Erfolg hat, dass er den Wettbewerb gewinnt, dass seine Arbeit berühmt wird, aber diese Interessen haben nichts mit der ästhetischen Beurteilung zu tun. Die Befriedigung, die Schönes auslöst, muss völlig unabhängig entstehen, denn Schönheit ist unmittelbar und zweckfrei.
Die Schönheit von Kunst und Natur
Nach Kant können wir schöne Dinge sowohl in der Natur als auch in künstlerischen Schöpfungen finden. Blumen und Landschaften repräsentieren die natürliche Schönheit. Diese Schönheit erfüllt allerdings keine objektive Funktion. Kant erklärt, dass wir keine Endgültigkeit voraussetzen können, wir müssen in der Schönheit die Endgültigkeit ohne Ende erkennen.
Das Schöne in der Kunst muss die gleichen Anforderungen erfüllen wie natürliche Schönheit. Der Künstler darf nicht danach streben, dem Publikum zu gefallen oder sich an irgendwelche Regeln zu halten. Für Kant ist derjenige, der sich an diese Kriterien hält, ein Genie. Der Künstler setzt die Maßstäbe für die Kunst, es gelingt ihm, sich auf die gleiche Weise auszudrücken wie die Natur. Im Gegensatz dazu konzentriert sich die mechanische Kunst auf Technik und Wiederholung, auf die Suche nach Regeln und Mustern.
Schönheit und künstliche Intelligenz
In den vergangenen Jahren sind Modelle der künstlichen Intelligenz auf den Markt gekommen, die alle Arten von ästhetischem Material schaffen, das sich oft nicht von menschlichen Werken unterscheiden lässt. Künstliche Intelligenz komponiert völlig neue Musikwerke im Stil von Bach oder der Beatles sowie Gemälde, die von berühmten Malern stammen könnten.
Künsliche Intelligenz ist jedoch nicht in der Lage, den Stil, den sie nachahmt, selbst zu schaffen. Sie kann komponieren wie Bach oder malen wie Picasso, aber sie kann (noch) keine neuen Stile kreieren. Sie erkennt Muster, nach denen sie neue Werke in einem bestimmten, bereits vorhandenen Stil schafft. Aber können wir diese Werke als schön bezeichnen? Wie können wir diese Frage beantworten, wenn wir Kants Definition von Schönheit berücksichtigen?
Was würde Kant über die von künstlicher Intelligenz geschaffene Schönheit denken?
Obwohl wir noch nicht wissen, wie die Zukunft der künstlichen Intelligenz aussehen wird, ist sie im Moment nur in der Lage, Regeln anzuwenden oder zu lernen. Andererseits kann künstliche Intelligenz zwar Gefühle erkennen oder bestimmte Emotionen nachahmen, aber sie besitzt keine mentalen Zustände, die als Gefühle klassifiziert werden können. Die Sichtweise der Maschine kann mithilfe von Gesetzen beschrieben werden; sie ist also rein objektiv.
In diesem Sinne wäre es schwierig zu behaupten, dass ein Modell der künstlichen Intelligenz das Konzept der kantischen Schönheit erfüllt. Schönheit ist keine objektive Eigenschaft, sondern ein subjektives Gefühl, das die Fähigkeit des Menschen voraussetzt, etwas durch das Gefühl der uneigennützigen Freude als schön zu empfinden. Auf der anderen Seite kann es keine Regel geben, die bestimmt, was Schönheit ist. Daher wäre eine künstliche Intelligenz nicht in der Lage, eine ästhetische Erfahrung zu machen oder ein Geschmacksurteil zu fällen.
Es spricht nichts dagegen, Modelle der künstlichen Intelligenz in Zukunft mit einer körperlichen Unterstützung auszustatten, die unseren Gefühlen ähnlich ist. Manche glauben, dass die Simulation eines homöostatischen Gleichgewichts das dem unseren ähnelt, als Grundlage für die Schaffung von Protosensibilität in Maschinen dienen könnte. Wir sind jedoch weit davon entfernt, diese Möglichkeit zu bestätigen.
Andere Theorien der Schönheit
Es gibt andere Ansätze zur Definition von Schönheit, die zu der Idee passen, dass ein algorithmisches Modell Schönheit verstehen kann. Für Hume zum Beispiel entsteht unser Wissen über Schönheit aus einer Reihe von Regeln, die aus der Erfahrung abgeleitet werden. Damit könnten wir behaupten, dass künstliche Intelligenz ein gewisses Wissen über das Schöne haben kann, zumindest in einem empirischen Sinne.
Als schön wahrgenommene Gegenstände und deren Muster führen zur Schaffung neuer Werke, die der Bewunderung würdig sind. Diese Form der von Kant definierten Schönheit.
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