Kindesmissbrauch: Das schmerzliche Schweigen der Opfer

Kindesmissbrauch erfolgt in den meisten Fällen im sozialen Nahraum. Die Opfer leiden ihr ganzes Leben an den Folgen, viele ziehen sich in ihr schmerzliches Schweigen zurück.
Kindesmissbrauch: Das schmerzliche Schweigen der Opfer
Gorka Jiménez Pajares

Geschrieben und geprüft von dem Psychologen Gorka Jiménez Pajares.

Letzte Aktualisierung: 17. März 2023

Kindesmissbrauch verletzt den Körper und die Seele des Opfers für immer, doch in den meisten fällt es Betroffenen extrem schwer, die Schweigemauer zu durchbrechen. Schuldgefühle, Scham, Loyalitätskonflikte oder Angst durch Bedrohung halten sie oft jahre- oder jahrzehntelang in ihrem schmerzlichen Schweigen gefangen. Wut, Traurigkeit und das Gefühl der Verlassenheit sind häufige Folgen. Die Opfer fühlen sich schwach, schlecht und unfähig.

Strategien wie Vermeidung, Verleugnung oder Verdrängung helfen ihnen nur kurzfristig, denn die aversive emotionale Intensität prägt die Erfahrung für immer in ihr Gedächtnis ein. Sie leiden an Konzentrationsschwierigkeiten, schwacher schulischer Leistung oder psychosomatischen Symptomen. Auch dissoziative Episoden sind häufig: Die Opfer versuchen damit unbewusst, sich von der Welt abzukoppeln, die ihnen nicht die nötige Sicherheit bietet.

Die Forschung hat außerdem gezeigt, dass sexueller Missbrauch und seine Folgen vererbt werden können. Lernt ein Kind, dass Missbrauch “normal” ist, weil es diesen immer wieder erlebt, entwickelt es mit großer Wahrscheinlichkeit einen unsicheren Bindungsstil. Häufig kommt es dadurch zu selbstzerstörerischem Verhalten.

“Die Auswirkungen von sexuellem Kindesmissbrauch beschränken sich nicht nur auf das Opfer, sie wirken sich auch auf die Familie, die Gemeinschaft und die Gesellschaft als Ganzes aus.”

Jody Raphael

Kindesmissbrauch: Das schmerzliche Schweigen der Opfer
Sexueller Kindesmissbrauch führt dazu, dass das Opfer das Vertrauen in die Erwachsenen verliert.

Kindesmissbrauch: Hoffnungslosigkeit und Schweigen

Kindesmissbrauch erfolgt in den meisten Fällen im sozialen Nahraum: Verwandte, Vertrauenspersonen oder gute Bekannte werden zu Tätern. Handelt es sich um sehr nahestehende Personen, ist es besonders schwierig, sich aus dieser Machtstruktur zu lösen. Das kindliche Opfer verliert jedes Vertrauen und stellt sich schließlich selbst infrage. Es entwickelt Scham- und Schuldgefühle und mit dieser Schuldumkehr spielen die erwachsenen Täter, die perfide Strategien verwenden, um sich selbst zu schützen.

Sie drohen, lügen und setzen Gewalt ein, um ihre Opfer zu missbrauchen und willig zu machen. Die Täter geben den Opfern oft das Gefühl, jemand besonderer zu sein, erwachsener als andere und besser. Gleichzeitig drohen sie ihnen, damit sie ihr Schweigen nicht brechen. Sie machen die Opfer zu Komplizen und führen sie in eine tiefe Isolation. Das Opfer vertraut keinem mehr, es traut sich nicht, über die Vorfälle zu sprechen, schämt sich, hat Schuldgefühle und zieht sich in schmerzhaftes Schweigen zurück. 

Wir dürfen nicht vergessen, dass Kindesmissbrauch auch vermehrt im virtuellen Raum stattfindet: Cybergrooming (Kontaktaufnahme mit Minderjährigen über Internet mit sexuellen Absichten) und missbräuchliches Sexting (Verbreitung sexueller Fotos oder Videos) sind Methoden, die immer häufiger zum Einsatz kommen.

Statistiken zufolge war bereits jeder siebte bis achte Erwachsene in Deutschland in seiner Kindheit Opfer von sexuellem Missbrauch.

Mann denkt an Kindesmissbrauch
Wenn der Täter aus dem Nahraum des Kindes kommt, sind die Folgen von Kindesmissbrauch besonders drastisch.

Das schmerzliche Schweigen

Kindliche Opfer schweigen, weil sie sich schämen. Sie wollen vergessen, was ihnen widerfährt, sie sind verwirrt oder normalisieren Missbrauch, weil sie nichts anderes kennen. Manche Kinder schweigen, da ihre Sprachkompetenz aufgrund des Traumas gestört ist. Sie verbergen dahinter ihre Ängste und Sorgen:

  • Kindliche Opfer haben meistens Panik vor der Reaktion des Täters: “Er hat mir gesagt, er werde meinen Bruder umbringen, wenn ich etwas sage.”
  • Sie gehen davon aus, dass andere ihnen nicht glauben werden. Dazu kommen Schuld- und Schamgefühle, die sie daran hindern, über den Missbrauch zu sprechen.
  • Viele Opfer glauben, nicht mehr geliebt zu werden, wenn sie etwas erzählen. Auch bei Erwachsenen ist dieses Gefühl nach einer Vergewaltigung weitverbreitet.
  • Sie glauben, dass dasselbe auch anderen Kindern passiert, die nicht darüber sprechen. Sie sind hoffnungslos und verwirrt, ihre Angst bringt sie zum Schweigen.
  • Insgeheim hoffen sie, dass es jemand bemerkt, denn es scheint offensichtlich zu sein.

“Die lebensrettende Funktion der Verdrängung in der Kindheit verwandelt sich später beim Erwachsenen in eine lebenszerstörende Macht.”

Alice Miller

Literaturempfehlung


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