Karl Friston und die Theorie der freien Energie

Ist es möglich, dass sich das Gehirn "an die Zukunft erinnert"? Das ist die Behauptung der Theorie der freien Energie, die besagt, dass das Gehirn Realitäten vorwegnimmt, bevor wir sie wahrnehmen. Erfahre mehr darüber.
Karl Friston und die Theorie der freien Energie
Gema Sánchez Cuevas

Geprüft und freigegeben von der Psychologe Gema Sánchez Cuevas.

Geschrieben von Edith Sánchez

Letzte Aktualisierung: 09. Juni 2023

Karl Friston ist Neurowissenschaftler und Begründer der Theorie der freien Energie, von der Experten glauben, dass sie die Gehirnforschung revolutionieren könnte. Bevor er dieses theoretische Konzept entwickelte, hatte Friston bereits eine leistungsfähige Technik zur Analyse von Bildgebungsergebnissen des Gehirns entwickelt und verschiedene Aspekte der kortikalen Aktivität im Gehirn entschlüsselt.

Friston gilt als der wichtigste Hirnforscher der letzten 25 Jahre. Im März 2010 stellte er während der Brain Awareness Week des Europäischen Parlaments überraschend das Prinzip der freien Energie vor.

“Neuronen sind Zellen mit zarten und eleganten Formen, die geheimnisvollen Schmetterlinge der Seele, deren flatternde Flügel, wer weiß, ob sie nicht eines Tages Licht in das Geheimnis des geistigen Lebens bringen werden.”

Santiago Ramón y Cajal

Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Theorie der freien Energie die Schaffung einer großen einheitlichen Theorie des Gehirns ermöglicht, die in einem mathematischen Gesetz ausgedrückt wird. Es muss gesagt werden, dass derzeit viele Fortschritte bei der Kartierung des Gehirns gemacht worden sind, aber es ist immer noch nicht klar, wie die Integration der Teile des Gehirns stattfindet. Die Theorie von Friston scheint in diesem Zusammenhang wesentlich zu sein.

Das Gehirn und die Theorie der freien Energie

Bayessche Statistik

Die Bayessche Statistik ist ein Modell, das auf Wahrscheinlichkeiten basiert. Sie wurde von einem englischen Priester namens Thomas Bayes im 18. Jahrhundert postuliert, aber das ist ein komplexes Thema, das wir nicht im Detail besprechen werden. Die Bayessschen Prinzipien sind jedoch ein grundlegender Teil der Theorie der freien Energie, deshalb erwähnen wir sie kurz.

Es gibt ein Experiment , das die Bayessche Statistik didaktisch veranschaulicht. In einem Raum stehen mehrere Wahlurnen, von denen drei Viertel rot und ein Viertel blau sind. Die roten Urnen enthalten 80 % rote Kugeln und 20 % blaue Kugeln. In den blauen Urnen sind 80 % blaue Kugeln und 20 % rote.

Die Teilnehmer an diesem Experiment werden geblendet, und sehen deshalb eine Wahlurne nicht richtig. Sie werden dazu aufgefordert, Kugeln herauszunehmen. Die Person muss erraten, welche Farbe die Urne hat, aus der sie Kuglen nimmt. Im Großen und Ganzen geht aus diesem Experiment hervor, dass Menschen a priori eine Schlussfolgerung ziehen, z. B.: “Es ist wahrscheinlicher, dass ich eine rote Wahlurne bekomme, weil es mehr rote Urnen gibt.”

Diese im Voraus gezogene Schlussfolgerung wird dann getestet, wenn die Person Kugeln herausnimmt. Wenn sie also mehr blaue Spielsteine zieht als rote, wird sie wahrscheinlich ihre Meinung ändern: “Da ich mehr blaue Kugeln herausgenommen habe, ist es wahrscheinlich, dass die Wahlurne blau ist.Dies wird als Likelihood-Funktion bezeichnet . Die Theorie der freien Energie von Friston besagt, dass das Gehirn auf diese Weise funktioniert.

Die Theorie der freien Energie

Professor Karl Friston vom Wellcome Trust Zentrum für Neuroimaging stellte 2010 seine Theorie der freien Energie vor. Sie soll erklären, wie das Gehirn funktioniert und basiert auf zwei Grundprinzipien. Das erste Prinzip besagt, dass das Gehirn ständig Vorhersagen über die Welt macht.

Das zweite Prinzip besagt, dass das Gehirn Bayessche Schlussfolgerungen anwendet, um diese ständigen Vorhersagen zu treffen. Das heißt, es nimmt Erfahrungen vorweg (A-Priori-Inferenz) und passt dann seine Vorhersagen an, basierend auf dem, was es in der Praxis beobachtet und verifiziert. Laut Friston gibt es bei all dem nur ein Ziel: Überraschungen so weit wie möglich zu vermeiden.

Es ist nicht so, dass das Gehirn keine Überraschungen mag, sondern dass es durch die Vermeidung Energie sparen kann. Das Unerwartete zwingt es dazu, härter und mit größerem Einsatz zu arbeiten. Wenn wir also “vorhersagen”, was sein oder passieren wird, können wir uns das Gelernte zunutze machen und müssen nicht mehr Energie als nötig aufwenden.

Mentale Prozesse und die Theorie der freien Energie

Ein Experiment

Ein Forscherteam des Fachbereichs Psychologie der Universität Glasgow (Schottland) und des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt führte ein Experiment durch, das die Theorie der freien Energie zu bestätigen scheint. Sie gingen von der Idee aus, dass das Gehirn tatsächlich “Vorhersagen” trifft, um Energie zu sparen.

Um es an einem einfachen Beispiel zu verdeutlichen: Wenn eine Person bei der Arbeit an ihren Schreibtisch geht, hat sie bereits ein Bild davon im Kopf. Sie muss nicht jeden Gegenstand ansehen, um zu wissen, dass er da ist. Fast ohne hinzuschauen wird sie eine Hand ausstrecken und den Stift aufnehmen, den sie immer in einer der Schubladen verwahrt. Sie wird ihre Aufmerksamkeit nur aktivieren, wenn es etwas Neues oder Ungewöhnliches gibt.

Um diese Idee zu testen, haben die Forscher 12 Freiwillige eingesetzt. Jede Person wurde gebeten, auf einen Computerbildschirm mit einem Bild zu starren, während sie von einem Scanner überwacht wurde. Unter und über dem festen Punkt erschienen und verschwanden jedoch zwei bewegliche Punkte. Außerdem führten sie einen weiteren Punkt ein, der zufällig über den Bildschirm lief.

So fanden sie heraus, dass die Gehirnaktivität geringer ist, wenn es vorhersehbare Elemente gibt (das Standbild und die beiden Punkte darüber und darunter), während sie intensiver wird, wenn ein unvorhersehbarer Reiz (der zufällige Punkt) erscheint. Damit wäre die Grundthese der vielversprechenden Theorie der freien Energie bewiesen.


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  • Aponte, E. A. (2015). ¿Es el principio de la energía libre una teoría normativa o descriptiva de la cognición? Pensamiento y Cultura, 18(1), 6-45.


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