Kognitive Verzerrung: Wenn wir annehmen, dass wir keine Fehler machen

Kognitive Verzerrung: Wenn wir annehmen, dass wir keine Fehler machen
Roberto Muelas Lobato

Geschrieben und geprüft von dem Psychologen Roberto Muelas Lobato.

Letzte Aktualisierung: 10. April 2023

Jeden Tag treffen wir viele Entscheidungen. Und die meisten von ihnen treffen wir in Lichtgeschwindigkeit, ohne großartig nachzudenken. Selten ziehen wir die Konsequenzen jeder möglichen Option in Betracht. Wir wählen beinahe blind aus einer Reihe möglicher Lösungen.

Andere Male, vor allem wenn es um Entscheidungen geht, die wir als wichtig betrachten, werten wir alle verfügbaren Informationen aus, um die bestmögliche Lösung zu finden. Dabei werden die Entscheidungen, die wir treffen, und die Lösungen, die wir wählen, von vielerlei Parametern beeinflusst. Und oft denken wir über wesentliche Einflüsse gar nicht nach, nämlich über Heuristiken und kognitive Verzerrungen.

Heuristiken und kognitive Verzerrungen können gefährlich sein, weil sie uns dazu verleiten können, unrealistische Erwartungen zu haben und schlechte Entscheidungen zu treffen. Jedoch sind sie an sich nicht schlecht. Tatsächlich könnten wir sagen, dass sie mentale Abkürzungen sind. Abkürzungen, die uns sicherlich in schwieriges Gelände bringen können. Oder schneller ans Ziel. Wir beschreiben sie als Abkürzungen, weil wir sie nutzen, um geistige Energie und kognitive Ressourcen zu sparen.

Stellen wir uns vor, dass du in eine Bar gehst und eine halbe Stunde intensiv darüber nachdenkst, welches Getränk du dir bestellst. Du ziehst den Geschmack und Preis jedes Getränks in Betracht und nimmst dir die notwendige Zeit, die beste Alternative zu wählen. Nachdem du all diese geistige Energie aufgebraucht hast, bist du müde. Du hast Zeit verschwendet, die du besser in andere Dinge investiert hättest. Heuristiken und kognitive Verzerrungen beschleunigen dein Denken und weitere Prozesse in deinem Geist. Sie sichern Ressourcen, die du für andere, wichtigere Aufgaben nutzen kannst.

Weiche

Zwei Denkweisen

Nach der Aussage von Daniel Kahneman gebe es zwei Denkweisen. Er nennt sie „schnelles Denken“ und „langsames Denken“. Im System des schnellen Denkens befinden wir uns im Autopilot. Dieses System neigt dazu, auf einer unbewussten Ebene zu funktionieren. Emotionen spielen in den zugehörigen geistigen Prozessen eine große Rolle. Dies hat zur Folge, dass es oft zu Gedanken führt, die mit Stereotypen bespickt sind.

Die Funktion der langsamen Denkweise ist es, die Intuition zu steuern, die auf jenen stereotypen Annahmen beruht. Manchmal ist sie hilfreich, doch zuweilen kann sie uns auch im Stich lassen. Diese bedächtige Denkweise ist aufwendiger und wird deshalb weniger häufig angewandt. Wir denken hier auf eine bewusste, logische Weise. Die primäre Funktion dieses Systems ist es, gut begründete, endgültige Entscheidungen zu treffen. Man könnte sagen, dass es für das Beobachten und Kontrollieren der Intuition verantwortlich sei, welche vom schnellen Denken produziert werde.

Meist lassen wir uns durch das schnelle Denken leiten. Wie du dir vorstellen kannst, hat diese Tendenz Konsequenzen. Wir ziehen voreilige Schlüsse und überschätzen die Wichtigkeit des ersten Eindrucks. Ebenso bringen wir zufällige Beziehungen in Unordnung und vertrauen zu sehr auf das, was wir bereits wissen. Wenn wir das schnelle Denken betreiben, neigen wir dazu, zusätzliche, uns neu verfügbare Informationen zu missachten.

Heuristisches Denken

Wir definieren eine Heuristik als eine Abkürzung in mentalen Prozessen. Daher ist sie eine Maßnahme, die unsere geistigen Ressourcen spart oder einteilt. Das ist notwendig, weil unsere geistige Kapazität begrenzt ist. In der Regel ordnen wir die größten Energievorräte den Sorgen, Handlungen und Menschen zu, die für uns am bedeutendsten sind: Es ist einfach, einen Weg entlangzugehen, ohne aufmerksam zu sein. Wenn der Weg jedoch uneben ist und wir glauben, dass wir fallen könnten, setzen wir vermehrt kognitive Ressourcen ein, um einen Sturz zu verhindern. Wir sind aufmerksam und schauen, wo wir hintreten.

  • Verfügbarkeitsheuristik: Wir nutzen sie, um die Wahrscheinlichkeit eines Geschehnisses einzuschätzen. Dabei basieren wir unsere Einschätzung auf Informationen, die wir bereits haben. Zum Beispiel ist die Menge an Gewalt im Fernsehen ist ziemlich hoch. Deshalb nehmen Menschen, die viel fernsehen, an, dass die Rate von Gewalttaten höher sei, als es diejenigen tun, die nicht so viel fernsehen.
  • Simulationsheuristik: Dies ist die Tendenz, die Wahrscheinlichkeit eines Geschehnisses basierend auf der Einfachheit der Vorstellung von diesem einzuschätzen. Du glaubst, dass etwas wahrscheinlicher ist, wenn du es dir leichter vorstellen kannst. Wenn zum Beispiel ein Terroranschlag verübt wurde, ist es einfach, anzunehmen, dass Dschihadisten dafür verantwortlich seien. Zu diesem Schluss kommen wir schneller als zu dem, dass irgendeine andere Gruppe den Anschlag begangen haben könnte. Entweder weil diese andere Gruppe weniger Anschläge ausübt oder weil ihre Methoden für gewöhnlich anders sind.
  • Ankerheuristik: Wir nutzen sie, um Zweifel zu klären. Es gibt einen Orientierungspunkt, den Anker, den wir anpassen, um bei unserer Schlussfolgerung anzukommen. Wenn dein Team letztes Jahr die Meisterschaft gewonnen hat, hältst du es wohl für wahrscheinlich, dass es dieses Jahr wieder gewinnen wird, obwohl es überhaupt nur einmal in seiner ganzen Geschichte einen solchen Erfolg feiern konnte.
  • Repräsentativitätsheuristik: Sie ist die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, dass ein Reiz zu einer bestimmten Kategorie gehört. Lass uns zum Beispiel sagen, dass du jemanden kennst, der in der Schule richtig gut in den Naturwissenschaften war. Jahre später siehst du ihn in einem weißen Kittel. Du schlussfolgerst, dass dein Bekannter ein Wissenschaftler sei – und kommst gar nicht auf die Idee, dass er als Fleischer arbeitet. In Wahrheit hast du jedoch keine Ahnung.
Kind, das mit dem Finger auf jemanden zeigt

Kognitive Verzerrung

Kognitive Verzerrungen sind psychologische Effekte, die dein Denken verfälschen. Genau wie die Heuristiken dienen diese Verzerrungen dazu, kognitive Ressourcen zu sparen. Diese Verzerrungen können uns dazu verleiten, schwerwiegende Fehler zu begehen und Vorurteile zu nähren. In bestimmten Kontexten können sie uns jedoch dabei helfen, schnellere und effektivere Entscheidungen zu treffen.

  • Bestätigungsfehler: Hierbei liegt die Tendenz darin, Informationen so zu untersuchen oder zu interpretieren, dass sie das bestätigen, was wir bereits glauben. Wenn du in Aktien investierst, wirst du nach Artikeln und Blogs suchen, die deine Gedanken zu den Investitionen bestätigen. Du wirst wahrscheinlich jene Kommentare ignorieren, die eine andere Meinung widerspiegeln. Ebenso, wenn du ein Auto kaufst, wirst du nach Beurteilungen suchen, die die positiven Eigenschaften des von dir gewählten Autos hervorheben. Auf diese Weise erhältst du eine Bestätigung für deine Entscheidung.
  • Falscher Konsensus-Effekt: Hierbei handelt es sich um die Tendenz, zu glauben, dass die eigenen Meinungen, Überzeugungen, Werte und Gewohnheiten häufiger in der Allgemeinbevölkerung vorkommen, als sie es wirklich tun. Wenn ich gegen die Todesstrafe bin, nehme ich wohl an, dass die meisten Menschen in meinem Land ähnlich denken.
  • Attributionsfehler: Diese sind auch als Korrespondenzverzerrung bekannt. Sie sind die Tendenz, persönlichkeitsbasierte Erklärungen für Verhaltensweisen, die bei anderen beobachtet werden, überzubewerten. Wenn ein Klassenkamerad bei einem Test durchfällt, an dem du unter den selben Bedingungen teilgenommen hast, schreibst du das eher seiner Faulheit zu, als dass du annimmst, dass er einen schlechten Tag hatte.
  • Rückschaufehler: Dies ist der Hang dazu, vergangene Ereignisse als vorhersehbar anzusehen. Wenn zum Beispiel ein Freund entlassen wird, könntest du sagen, dass du wusstest, dass das passieren würde, weil die Firma seit einiger Zeit wirtschaftliche Probleme hat. Jedoch konntest du das Ereignis nicht vorhersagen, bevor es eingetreten ist.

Da dir nun die Heuristiken und kognitiven Verzerrungen bekannt sind, kannst du deine Entscheidungen effektiver treffen. Obwohl sie nur schwer zu vermeiden sind, kannst du den Einfluss jener Verzerrungen durch Bewusstsein und Wissen reduzieren. Die Bewertung der Alternativen und die Suche nach Informationen, die deinen Überzeugungen widersprechen, sind ebenfalls Wege, um ihre Macht zu reduzieren. Zusätzlich kann dir das Vermeiden von Verzerrungen ermöglichen, kreativer zu denken.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.