Gewolltes Leid - wenn du aus der Misere gar keinen Ausweg finden willst
Man sagt, dass wir alle auf der Suche nach einem ausgeglichenen Leben sind und dass wir glücklich sein wollen. Es wird gesagt, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun, um das auch tatsächlich zu erreichen. Wenn du ein Problem hast und dich jemand fragen würde, was du jetzt tun willst, würdest du sicherlich sagen, dass du alles dafür geben würdest, um dieser ausweglosen Situation voll Leid zu entfliehen.
In der Psychoanalyse und der Psychologie hat man jedoch herausgefunden, dass das nicht der Wahrheit entspricht. Während Therapiesitzungen konnte man feststellen, dass Patienten tatsächlich leiden wollen und keinen Ausweg aus ihrer Misere finden möchten.
„Und nochmehr die Blindheit des Blinden und sein Ertasten müssen ein Beweis der Macht der Sonne sein, die er ansah.“
Friedrich Nietzsche
Im Rahmen einer Psychoanalyse oder einer psychologischen Therapie drückt sich gewolltes Leid auf verschiedene Weisen aus: man findet keine Zeit, um zu den Sitzungen zu gehen, man verliert das Interesse an einer Analyse, der Therapeut oder Psychoanalyst wird heftig kritisiert, etc.
Alles, was Fortschritte erschwert oder verhindert, ist ein gewolltes Leid, welches den Heilungsprozess behindert. Doch wieso möchte jemand, der leidet, aber die Möglichkeit hat, sich zu heilen, sich selbst im Weg stehen?
Gewolltes Leid
Hinter dem gewollten Leid kann man den Kampf zwischen dem bewussten Wunsch, etwas zu ändern, und der unbewussten Kraft, die diesem Wunsch entgegensteht, erkennen. Diese unbewussten Kräfte sind ebenso der Ursprung des Leidens.
Hinter diesem Punkt verbirgt sich eine paradoxe Realität: sich selbst zu heilen, kann für uns Menschen ein großes Problem darstellen. Aus diesem Grund laufen wir vor der Problembewältigung davon, die uns aber von diesem Leiden befreien kann.
Selbstheilung ist aus verschiedenen Gründen problematisch. Hier einmal drei Gründe warum:
- Die Angst davor, nicht dazu in der Lage zu sein, dem Schmerz die Stirn bieten zu können.
- Einem großen Leiden ein Ende zu bereiten bedeutet auch, einige “Vorteile” einer leidlichen Situation aufzugeben.
- Damit einher geht eine so große und irrationale Schuld, dass Besserung keine Option ist.
Die Angst vor noch mehr Leid
Wenn man dich fragen würde, was deine Probleme und Konfliktsituationen sind, würdest du sicherlich viele allgemeine Situationen auflisten, die dir Sorgen machen: du bist mit deinem Partner oder deiner Arbeit nicht mehr glücklich, hast nicht wirklich eine gute Beziehung zu deiner Familie, dir macht die Meinung anderer oder ähnliches Angst.
Doch wenn wir diese Situationen einmal näher betrachten, fällt uns auf, dass sie in Wahrheit nur die Spitze des Eisbergs sind, und dass der Ursprung allen Übels noch viel tiefer geht.
Beispielsweise geht es eigentlich nicht darum, dass du in deiner Beziehung zu deinem Partner nicht mehr glücklich bist, sondern um deine schreckliche Angst davor, allein zu sein, was dazu führt, dass du ein schreckliches Kontrollverhalten entwickelt hast und Probleme verursachst. Es ist nicht so, dass du mit deiner Arbeit nicht mehr zufrieden bist, sondern es geht um deine Angst vor deinem Chef, die es dir unmöglich macht, irgendetwas gerechterweise einzufordern.
Auch wenn uns das nicht bewusst ist, wissen wir doch alle, dass hinter unseren oberflächlichen Problemen eigentlich etwas ganz anderes steckt. Normalerweise sind das Ängste, Schuldgefühle oder Wünsche, die wir bewusst nicht akzeptieren wollen.
Das hat dann zur Folge, dass wir gewollt leiden, wobei wir uns selbst helfen könnten. Aber wir wollen uns mit der schmerzhaften und unsicheren Realität nicht auseinandersetzen, weil wir denken, dass wir nicht dazu fähig sind, damit umzugehen.
Positive Nebeneffekte des gewollten Leids
Trotz all der Komplikationen, die dieses Leiden mit sich bringt, hat es doch auch seine Vorzüge. In Wahrheit ist es einfacher, unsere Probleme jeden Tag hinzunehmen als die Kraft dafür aufzubringen, sie zu analysieren und zu lösen. Das Leiden also nicht zu beenden heißt, unsere Energieressourcen aufzusparen.
Wir können unsere leidliche Situation auch dazu benutzen, Lebensumstände damit zu rechtfertigen und Ausreden zu finden. Zum Beispiel: „Ich kann wegen der momentanen Wirtschaftskrise keinen besseren Arbeitsplatz finden und sollte mich lieber mit meiner Arbeit abfinden.“
Damit ist gemeint, dass wir für unsere Situation nicht die Verantwortung übernehmen wollen, weshalb wir Opfer der Umstände sind. Wir erreichen damit sogar, dass man uns bemitleidet und wir uns deshalb besser fühlen.
Letztendlich können wir sagen, auch wenn dir das vielleicht seltsam vorkommen mag, dass wir Menschen uns unser eigenes Leben selbst schwer machen und uns das sogar zusagt. Denn wenn wir ein Problem lösen, trauern wir in gewisser Weise darum.
Schuldgefühle und Selbstbestrafung
Auch wenn es einige Personen niemals zugeben würden, sind sie davon überzeugt, dass sie das Leid, das sie empfinden, verspüren müssen. Hierbei geht es nicht darum, dass sie so leiden möchten, wie sie es in Wirklichkeit tun, sondern darum, alles erdenklich Mögliche zu tun, um diesem Leiden kein Ende zu bereiten, obwohl sie die Möglichkeit dazu hätten.
Keine Therapie schlägt bei ihnen an, kein Psychologe, kein Psychoanalyst kann zu ihnen durchdringen. Jegliche Möglichkeit der Veränderung ist bei ihnen vergebene Liebesmühe. Das Einzige, das wirklich funktioniert, ist ihr Gedanke an Selbstbestrafung.
In Wahrheit handelt es sich hierbei um Menschen, die unterbewusst das Gefühl haben, dass sie diese Bestrafung verdienen. Aber wieso ist das so? In den meisten Fällen wird das durch sexuelle Konflikte in der Kindheit hervorgerufen oder durch Väter oder Mütter, die Unmögliches gefordert haben.
Sie eignen sich tatsächlich Verhaltensweisen an, die es ihnen nicht ermöglichen, die benötigte Hilfe anzunehmen. So können sie dieser Form der Selbstbestrafung, die sie glauben, zu verdienen, unterbewusst und grundlos nachkommen.
Wir alle haben mehr oder weniger gewolltes Leid in uns, was uns daran hindert, unsere Gefühlswelt selbst wieder ins Reine zu bringen. Das wird bei einem Besuch bei einem Psychologen oder einem Psychoanalysten klar, doch auch in unserem Alltag können wir dieses Phänomen beobachten.
Diesem Gefühlschaos zu entkommen, ist keine leichte Aufgabe, aber gleichzeitig ist es auch das Ende unseres großen Leidens.