Familienfeier: Wie du zu jemandem wirst, der du nicht mehr bist

Die Familie ist ein wunderbarer Schatz, den viele besitzen, dennoch müssen Grenzen gesetzt werden. Es ist nicht immer möglich, alle ihre Erwartungen zu erfüllen.
Familienfeier: Wie du zu jemandem wirst, der du nicht mehr bist
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 05. Februar 2024

Manchmal kann dir eine Familienfeier das Gefühl geben, du müsstest jemand sein, der du nicht mehr bist oder niemals warst. Für deine Eltern bist du vielleicht noch das unentschlossene Kind oder der rebellische Jugendliche, der unverschämte Antworten gibt. Es spielt für sie keine Rolle, dass du nun ein unabhängiger Erwachsener bist. Manchmal bist du für deine Eltern noch immer das Kind, das du vor 20 Jahren warst.

Man sagt, dass es keinen größeren Sturm gebe, als den, der sich beim Familientreffen oder an den Weihnachtsfeiertagen zusammenbraut. Doch natürlich gibt es Familien in vielen Variationen. In manchen herrscht uneingeschränkte Harmonie, Respekt und ein guter Sinn für Humor. Doch in anderen stechen sich die Familienmitglieder immer wieder an unnachgiebigen Dornen, leiden unter gestörten Bindungen. Unter Bindungen, die ihnen die Luft abschnüren.

„Alle glücklichen Familien gleichen einander. Jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich.“

Leo Tolstoi

Dabei gibt es ein Phänomen, über das selten gesprochen wird. Wir sehen zunehmend mehr junge Erwachsene, die zurück ins Elternhaus ziehen. Junge Erwachsene, die vorher unabhängig waren und aufgrund der Wirtschaftskrise nun keine andere Wahl haben, als zurückzukehren. Oftmals steigt dann das Gefühl in ihnen auf, in der Berufswelt versagt zu haben, weil sie erneut eine Rolle annehmen müssen, die man bereits abgelegt hat. Eine Rolle, die durch die familiäre Dynamik definiert wird. Diese hat aber nichts mit der Person zu tun, die sie im Moment sind.

Zeichnung einer Familie

Die Familie und ihr unbewusster Aufbau

Für deine Eltern, Onkel, Tanten und Großeltern dauert deine Kindheit noch immer an. Du bist noch immer jenes Kind, das sie einst im Arm gehalten haben. Das Kind, das die Hälfte seines Lebens damit verbracht hat, seinen älteren Bruder aufzuregen. Das neidisch war, weil dem jüngeren etwas erlaubt wurde, das es selbst in jenem Alter noch nicht durfte. Das manchmal trotzig, unkontrollierbar und ungezogen war.

Doch in Wahrheit war das dein Temperament, was dich vielleicht zu dem gemacht hat, was du jetzt bist. Die Initiative ergreifend, kreativ, dynamisch – alles Eigenschaften, die dir Zufriedenheit bringen. Eigenschaften, die du aufgrund der ständigen Kommentare deiner Eltern einst als negativ wahrgenommen hast. Kommentare, die dich dazu gedrängt haben, dich zu verändern, zu verbessern. Doch Stück für Stück hast du erkannt, dass du dies nicht tun musst. Denn es waren und sind keine Mängel, sondern Merkmale deiner Persönlichkeit.

Jedoch, und das passiert ziemlich häufig, kann die Rückkehr nach Hause oder das Familientreffen zu einer Belastungsprobe werden. Es reicht, wenn du etwas sagst oder tust, um wieder die alten Sprüche zu hören: „Sieh, wie stur und unfügsam du bist. Du hast so eine üble Laune! Wo hast du das wohl her?“

Fallendes Mädchen

Die Gegenwart spielt keine Rolle mehr

Ohne dass es dir bewusst wäre, fällst du zurück in deine alte Rolle, die Rolle des rebellischen oder konformistischen Kindes. Deine Erfolge in der Gegenwart spielen keine Rolle. Wie stolz du auf dich selbst bist, spielt keine Rolle. Denn in vielen Familien gibt es eine unbewusste Tendenz, dass alle in ihre früheren Rollen schlüpfen. Auf die Position zurückkehren, die von den Eltern aufgebaut und definiert wurde.

Dieses Phänomen tritt ziemlich häufig auf und hat eine sehr interessante Erklärung. Forscher der University of Illinois (Illinois, USA) erklären, dass es innerhalb des Familiensystems Unabhängigkeit nicht gebe:

“In jeder Familie gibt es eine Reihe von Normen und ungeschriebenen Regeln, an die sich jedes Mitglied halten muss. Ebenso werden Muster erkennbar, nach denen von jedem Familienmitglied ein bestimmtes Verhalten erwartet wird. Ein Verhalten, das sie bereits in der Vergangenheit gezeigt haben.”

Deshalb ist es ohne Zweifel eine sehr komplexe Situation, wenn du aufgrund eines persönlichen oder finanziellen Problems zurück nach Hause ziehen musst.

Du musst mit deiner Familie so interagieren, wie mit der erwachsenen Person, die du jetzt bist

Manchmal reicht es aus, die Schwelle des Elternhauses zu übertreten, um das Gefühl zu bekommen, zurück in die Vergangenheit gereist zu sein. Gelegentlich ist das Gefühl angenehm, sogar tröstend. Jedoch bedeutet es für viele, in ungelöste Konflikte eintauchen zu müssen. In Auseinandersetzungen zu gehen, die Distanzen geschaffen haben, die so weit wie Ozeane sind. Manchmal zählt dazu auch, dass du wieder eine Rolle annehmen musst, die du in der Vergangenheit bereits abgelegt hast.

  • Versuche, nicht in diese „Bärenfallen“ zu tappen. Der beste Weg, um zum Familienkern zurückzukehren ist, zu sein, wer du jetzt bist: Eine reife, erwachsene Person. Sei der Erwachsene, der du bist, mit dem Kilometerstand des wirklichen Lebens. Behalte all deine Lektionen, Werte und Stärken.
  • So wirst du dich diesen Vorurteilen und Archetypen stellen, die irgendwann von deinen Eltern geformt wurden: Thomas ist ein Athlet. Sandra ist die Rebellin. Robert ist derjenige, der in der Schule gemobbt wurde, derjenige den andere beschützen mussten.
  • Jedoch ist es möglich, dass Thomas sein ganzes Leben lang heimlich Gedichte geschrieben hat und nun einen Buchladen eröffnen möchte. Vielleicht war Sandra überhaupt nicht rebellisch, sondern einfach nur für häufig und lange wütend. Und es ist möglich, dass Robert, dieses dürre Kind, das immer gehänselt wurde, jetzt seine Ausbildung zum Polizisten abschließt.
Familie am Esstisch

Wie du deine Familie dazu bringst, dein aktuelles Ich zu akzeptieren

Die Person, die du warst, oder von der andere dachten, dass du sie einmal warst, hat sehr wenig mit der zu tun, die du jetzt bist. Und das ist etwas, was die Menschen um dich herum akzeptieren müssen. Es liegt an dir, sie dazu zu bringen, diese Tatsache zu erkennen und anzunehmen. Versuche dabei, nicht erneut die Rolle einzunehmen, die deine Familie dir zuschreibt. Auf diese Weise schaffst du es, die Muster der Vergangenheit zu verändern. Denn diese sind wohl nur da, um andere zufriedenzustellen.

Wenige Dinge sind gesünder als eine Familie, die die Freiheit genießt, sich so zu zeigen, wie sie ist. Zeige Verständnis für die älteren Generationen, aber verteidige deinen Standpunkt.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.