Die wissenschaftliche Erklärung der Negativitätsverzerrung

Wir Menschen werden von unserem Hang zur Negativität beherrscht. Diese sogenannte Negativitätsverzerrung äußert sich beispielsweise darin, dass Kritik einen stärkeren Einfluss auf uns hat als Lob. Tatsächlich sind schlechte Nachrichten für uns wesentlich eindrücklicher als gute und auch unser Gedächtnis erinnert sich an diese wesentlich leichter als an positive Ereignisse. Aber warum geschieht das eigentlich?
Die wissenschaftliche Erklärung der Negativitätsverzerrung
Gema Sánchez Cuevas

Geprüft und freigegeben von der Psychologe Gema Sánchez Cuevas.

Geschrieben von Sonia Budner

Letzte Aktualisierung: 25. April 2023

Die Negativitätsverzerrung (auch Negativity Bias genannt) beschreibt die menschliche Neigung, über das nachzudenken, was nicht gut war, anstatt darüber nachzudenken, was tatsächlich war. Daher werden unsere angenehmen und positiven Erinnerungen oftmals durch unangenehme Begegnungen und Ereignisse überschattet. In unserem   heutigen Artikel werden wir über den Wert sprechen, den wir allem Negativen beimessen.

Die Negativitätsverzerrung erklärt die Gründe dafür, warum traumatische Ereignisse und negative Erfahrungen uns länger im Gedächtnis bleiben und uns stärker beeinflussen als positive Erlebnisse. Es scheint, als ob diese mehr oder weniger unangenehmen Erfahrungen in unseren Gedanken intensiver werden. Damit wollen wir uns nun näher beschäftigen.

Die evolutionäre Grundlage der Negativitätsverzerrung

Negativitätsverzerrung - nachdenkliche Frau

In vielen Fällen haben schlechte Nachrichten weitaus mehr Wirkung als gute. Und selbst eine einfache Kritik beeinflusst uns wesentlich stärker als viele Komplimente.

In seinem Buch Das Gehirn eines Buddha liefert der Neurowissenschaftler Rick Hanson eine von vielen anderen Forschern unterstützte Erklärung über den evolutionären Ursprung dieser Negativitätsverzerrung.

Hanson erläutert, dass die Negativitätsverzerrung eine Konsequenz der Evolution ist. Durch sie haben unsere Vorfahren gelernt, in hoch riskanten Situationen intelligente Entscheidungen zu treffen. Aufgrund dieser Entscheidungen konnten sie lange genug überleben, um sich fortzupflanzen und so den Fortbestand ihrer Gemeinschaft zu sichern. Letztendlich ging es dabei um Leben oder Tod.

Daher war die Überlebenswahrscheinlichkeit der Individuen höher, die im Einklang mit möglichen gefährlichen Ereignissen lebten. Im Verlauf der Zeit passte sich die Gehirnstruktur ganz allmählich an, um den negativen Informationen mehr Beachtung zu schenken als den positiven.

Darüber hinaus haben verschiedene Untersuchungen ergeben, dass sich die Negativitätsverzerrung in der frühen Kindheit entwickelt. Ungefähr im ersten Lebensjahr des Kindes verändert sich der Fokus ihrer Aufmerksamkeit. Während sie sich bis dahin mehr auf positive Gesichtsausdrücke konzentrierten, beginnen sie nun, sich mehr auf negative Reize zu fokussieren.

“Wenn jemand “nein” zu mir sagt, dann bedeutet das nicht, dass ich es nicht tun kann, es bedeutet lediglich, dass ich es mit dieser Person nicht tun kann.”

-Karen E. Quinones Miller-

Die biologische Grundlage

Der Psychologe John Cacioppo fand in Studien über die neuronale Verarbeitung der Negativitätsverzerrung heraus, dass das Gehirn durch sensorische, kognitive und negative motorische Reize wesentlich stärker aktiviert wird als durch positive Ereignisse. Besonders deutlich waren diese Ergebnisse in der Großhirnrinde sichtbar.

Aufgrund dieser Ergebnisse können wir feststellen, dass die Negativitätsverzerrung uns dazu veranlasst, uns stärker auf das Negative um uns herum zu konzentrieren. Dies trifft auch auf unsere Entscheidungsfindung zu.

Darüber hinaus scheint die Negativitätsverzerrung auch einen starken Einfluss auf die Motivation zu haben, mit der wir eine Aufgabe erledigen. Interessanterweise sind wir weitaus motivierter, wenn wir negative Erfahrungen durch die Erledigung einer Aufgabe vermeiden können als bei Aufgaben, die eine positive Belohnung versprechen.

Der evolutionäre Ansatz geht davon aus, dass dies nur eine beabsichtigte Tendenz ist, die dazu dient, Schaden durch negative Situationen zu verhindern. Daher ist diese Reaktion letztendlich ein Weg, mit dem unser Gehirn versucht, uns zu schützen und Schaden von uns fernzuhalten.

Wie beeinflusst die Negativitätsverzerrung unser Leben?

Obwohl es den Anschein haben mag, dass die Negativitätsverzerrung der Menschheit zum Überleben verhalf, hat sie dennoch einige sehr unerwünschte Auswirkungen auf unser heutiges Leben. Daher sollten wir uns dieser Tatsache bewusst sein.

Sie beeinflusst nicht nur die von uns getroffenen Entscheidungen und veranlasst uns dazu, bereitwillig bestimmte Risiken einzugehen. Darüber hinaus scheint sie auch einen starken Einfluss darauf zu haben, wie wir andere Menschen wahrnehmen. Weil die Negativitätsverzerrung uns dazu veranlassen könnte, stets das Schlimmste von anderen Menschen zu denken und zu erwarten, könnte sie auch unsere engsten Beziehungen beeinträchtigen.

Wir glauben Fake News, wenn sie negativ sind

Negativitätsverzerrung - Mann mit vielen Gedanken

Die Negativitätsverzerrung hat zahlreiche unterschiedliche Konsequenzen. Eine davon ist die, dass wir dazu neigen, negativen Nachrichten mehr Glauben zu schenken als positiven. Und diese Nachrichten sprechen uns nicht nur stärker an, sondern wir messen ihnen auch mehr Bedeutung zu. Dies trifft selbst dann zu, wenn diese Meldungen falsch sein könnten.

Darüber hinaus werden auch unsere Werte und Ideologien beeinflusst. Außerdem scheint die Negativitätsverzerrung auch mit unserer Neigung in Zusammenhang zu stehen, an Traditionen und Sicherheit festzuhalten, wenn wir  zweideutige Reize und für uns scheinbar bedrohliche Veränderungen erleben.

Wie du sehen kannst, solltest du in vielen Situationen über deine Tendenz zur Negativitätsverzerrung nachdenken. Wenn du bessere Entscheidungen treffen möchtest, solltest du dieser Tatsache auf jeden Fall Beachtung schenken.


Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.


  • Vaish, A., Grossmann, T., & Woodward, A. (2008). Not all emotions are created equal: the negativity bias in social-emotional development. Psychological bulletin, 134(3), 383–403. doi:10.1037/0033-2909.134.3.383

  • Gollan, J. K., Hoxha, D., Hunnicutt-Ferguson, K., Norris, C. J., Rosebrock, L., Sankin, L., & Cacioppo, J. (2016). The negativity bias predicts response rate to Behavioral Activation for depression. Journal of behavior therapy and experimental psychiatry, 52, 171–178. doi:10.1016/j.jbtep.2015.09.011

  • Cherry, Kendra (2019) What Is the Negativity Bias? Verywell Mind. Recuperado de https://www.verywellmind.com/negative-bias-4589618


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.