Die psychologischen Auswirkungen von Langzeitarbeitslosigkeit
Denke einmal für einen kurzen Moment nach. Was macht jeder vom Schulabschluss und bis zur Rente? Richtig, arbeiten! Wenn du nicht arbeitest, kannst du nicht richtig leben. Das ist die Realität. Und eine weitere Tatsache ist die, dass ein Mensch, der über 50 Jahre (teilweise sogar 45) ist, für die meisten Unternehmen nicht mehr so wertvoll ist wie ein junger Mitarbeiter. Das ist einer der Gründe für Langzeitarbeitslosigkeit.
Du musst dir nur die verschiedenen Stellenangebote auf den Online-Stellenbörsen ansehen. Es werden fast ausschließlich junge Menschen gesucht. Infolgedessen werden die “Älteren” (wir möchten hier explizit auf die Anführungszeichen hinweisen!) in vielen Fällen von den Angeboten faktisch ausgeschlossen, was dann leider häufig in eine Langzeitarbeitslosigkeit führt.
In unserem heutigen Artikel wirst du die Gründe dafür erfahren, warum Senior-Profile häufig abgelehnt werden. Wir werden nicht bewerten, ob die Gründe richtig oder falsch sind. Allerdings werden wir uns eingehender mit den einzelnen Aspekten und deren Auswirkungen befassen. Glaubst du, dass Unternehmen die psychologischen Auswirkungen von Langzeitarbeitslosigkeit überhaupt in Betracht ziehen? Vermutlich wird wohl eher das Gegenteil der Fall sein. Und genau mit diesen Auswirkungen werden wir uns heute näher befassen.
Die Gründe für Langzeitarbeitslosigkeit: Warum Unternehmen keine “älteren Menschen” anstellen möchten
Zuerst einmal werden wir eine Reihe von Fragen stellen. Sind Menschen ab einem Alter von 40 bis 50 Jahren nicht mehr dazu in der Lage, gute Arbeit zu leisten? Impliziert ihr Alter automatisch, dass sie die Fähigkeit verloren haben, zu arbeiten, zu lernen oder sich zu entwickeln? Verfügen sie über weniger Wissen in dem Bereich, in dem sie bereits ihr ganzes Leben gearbeitet haben? Oder haben sie lediglich die Fähigkeit verloren, effektiv und effizient zu sein? Bedeutet das, dass sie nicht mehr länger verantwortungsvolle Individuen sind?
Vermutlich hast du die meisten dieser Fragen verneint. Und du hast Recht damit! Außer in ganz spezifischen Fällen (bestimmte Berufe, die körperliche Stärke und Agilität erfordern), sind 40 bis 50-jährige Menschen absolut dazu in der Lage, eine gute Arbeitsleistung zu erbringen.
Die Ergebnisse der neuesten Studie der Adecco Stiftung
Allerdings scheinen viele Unternehmen zahlreiche Gründe dafür zu haben, Menschen dieser Altersgruppe dennoch nicht anzustellen. In der neuesten Studie der Adecco Stiftung wurden 200 Personalverantwortliche nach den Gründen gefragt, warum sie keine Senior-Profile anstellen. Nachfolgend findest du ihre Rechtfertigungen und Begründungen:
- 75 % der Befragten glauben, dass es nicht gut ist, 40- oder 50-jährige Mitarbeiter anzustellen, weil sie aufgrund von gesundheitlichen Problemen mehr Fehltage haben könnten.
- 66 % sind davon überzeugt, diese Menschen würden Probleme damit haben, sich in ein junges Team zu integrieren. Darüber hinaus würden sie vermutlich auch eine jüngere Person nicht als Vorgesetzten akzeptieren.
- Außerdem glauben 40 % der Befragten, dass diese Menschen aufgrund ihres Alters weniger flexibel seien, um eine neue Position anzunehmen.
- 25 % geben an, dass das Wissen und die Fähigkeiten dieser Altersgruppe häufig veraltet ist. Laut ihren Angaben ist das Wissen von Menschen jenseits dieses Alters meist nicht mehr aktuell. Darüber hinaus wären “ältere Menschen” normalerweise nicht mehr gewillt, sich neues Wissen anzueignen oder neue Verfahren zu implementieren.
- Weiterhin wurde geäußert, dass diese Altersgruppe aufgrund ihrer familiären Verpflichtungen nicht so mobil sei.
- Überdies gibt ein älterer Mensch ein schlechteres Bild ab. Ein junger Mensch hingegen verleiht dem Unternehmen ein frisches, innovatives und flexibles Image.
- Außerdem akzeptieren sie keine niedrigen Gehälter (aufgrund ihrer Erfahrung). Allerdings streben Unternehmen stetige Kostensenkungen an. Dieser letzte Grund ist die am weitesten verbreitete Annahme.
Sind das irrationale Überzeugungen?
Eine der auffälligsten kognitiven Verzerrungen in diesen Überzeugungen ist die Generalisierung oder Übergeneralisierung der Aussagen. Sicherlich werden die meisten Menschen mit einer 25-jährigen Berufserfahrung nicht das gleiche Gehalt akzeptieren, das jemand mit nur zwei Jahren Erfahrung bekommt. Aber das ist auch absolut logisch und plausibel.
Trotzdem gibt es auch jene Menschen, die aus Verzweiflung oder Konformismus dazu bereit sind, dieses niedrige Gehalt zu akzeptieren. Warum also nicht erst einmal fragen, bevor du automatisch davon ausgehst, dass der Betroffene das Gehalt ablehnen wird?
Das Gleiche gilt für die Annahme, das Wissen dieser Altersgruppe wäre automatisch veraltet. Obwohl viele Menschen sich möglicherweise nicht mehr weitergebildet haben, weil sie alles Erforderliche bei ihrer Arbeit gelernt haben, muss das nicht auf alle zutreffen. Denn es gibt auch zahlreiche Fachleute, die sehr gerne Seminare und Kurse besuchen, an Konferenzen teilnehmen oder sogar einen weiteren Abschluss oder ein Nachdiplomstudium absolvieren, um sich neues Wissen anzueignen.
Darüber hinaus müssen alle Mitarbeitenden lernen, sich an Veränderungen anzupassen, insbesondere wenn die Unternehmensentwicklung und dessen Erfolg davon abhängt.
In Bezug auf die familiären Verpflichtungen, die in der obigen Befragung genannt wurden, ist die Annahme doch sehr überzogen, dass alle Menschen in einem bestimmten Alter Verantwortlichkeiten hätten, die sich nicht mit ihrer Berufstätigkeit vereinbaren ließen.
Ebenso gilt dies für die Vermutung, alle “älteren Menschen” hätten medizinische Probleme, die sich negativ auf ihre Leistungen auswirken würden. Natürlich stimmt es, dass wir im Laufe der Jahre anfälliger für Krankheiten werden. Allerdings kann dies junge Menschen gleichermaßen betreffen. Was ist beispielsweise mit dem jungen Raucher oder jemandem, der schon lange an chronischen gesundheitlichen Problemen leidet?
Aus einer anderen Perspektive betrachtet
Wir wollen die “Unfähigkeit, sich an ein junges Team anzupassen” aus einer anderen Perspektive beleuchten. Was ist mit den “älteren” Menschen, die sich darüber freuen würden, einen jüngeren Chef zu haben, weil sie auf diese Weise von deren “Frische” profitieren und von ihnen lernen könnten? Wir können alle voneinander lernen!
Außerdem könnte es auch durchaus passieren, dass sich der jüngere Mensch durch die Erfahrung des anderen eingeschüchtert fühlt. Möglicherweise entstehen Gedanken wie “Ich kann diesem Mitarbeiter gar nichts mehr beibringen” oder “Wie kann ich der Chef sein, wenn dieser Mensch vor zwei Jahren der Direktor eines multinationalen Unternehmens war?” Und diese Gedanken sind keineswegs unvernünftig oder unverständlich.
Denke einmal darüber nach: “Ältere Menschen” verkörpern das Image von Professionalität. Aber wünscht sich nicht jedes Unternehmen professionelle Mitarbeiter? Vielleicht sollten alle Organisationen erkennen, dass es wichtiger ist, ein tolerantes Unternehmensimage zu vermitteln. Zu zeigen, dass sie Junior- und Senior-Profile gut kombinieren können, kann unglaublich vorteilhaft sein.
Trotzdem sind all diese Überzeugungen so tief verwurzelt und weit verbreitet, dass viele Lebensläufe einfach nur aufgrund des Alters des Bewerbers abgelehnt werden, ohne überhaupt weitere Informationen über ihn zu erfahren. Leider hat sich die Situation zu einem Punkt entwickelt, dass viele Unternehmen noch nicht einmal mehr über die Vorzüge nachdenken, die die Anstellung eines älteren und erfahreneren Mitarbeiters bieten könnte. Infolgedessen hat sich auch diese eingangs erwähnte Langzeitarbeitslosigkeit entwickelt.
Psychologische Auswirkungen von Langzeitarbeitslosigkeit
Die über 50-Jährigen machen beispielsweise in Spanien 14, 7 % aller Arbeitslosen aus. Die neuesten Zahlen der EAPS zeigen, dass sechs von 10 Arbeitslosen über 55 bereits seit mehr als 12 Monaten oder länger in dieser Situation sind. Darüber hinaus hatten laut der Studie der Adecco Stiftung 43 % der Arbeitslosen in dieser Altersgruppe seit mehr als vier Jahren keine neue Arbeitsmöglichkeit mehr.
Versetze dich einmal in die Lage eines Menschen, der mehr als 300 Absagen erhalten hat, bereits seit vier Jahren arbeitslos ist und eine Familie (mit schulpflichtigen oder studierenden Kindern) hat, die er oder sie versorgen muss und dessen Partner sich in derselben Situation befindet. Das sieht aus wie ein Grundrezept für Angststörungen und massive Zukunftsängste, nicht wahr?
Die häufigsten Auswirkungen von Langzeitarbeitslosigkeit
Aber das sind nicht die einzigen Konsequenzen. Nachfolgend findest du die häufigsten und absolut logischen psychologischen Implikationen von Langzeitarbeitslosigkeit.
- Angst und Stress entstehen nicht nur aufgrund der Tatsache, dass der Betroffene keine neue Anstellung finden kann, sondern auch aufgrund der sich daraus ergebenden Konsequenzen. Wenn du kaum noch deine grundlegenden Ausgaben wie Wasser, Strom, Lebensmittel, Miete und die Ausgaben für deine Kinder bewältigen kannst, führt das zu massiven Ängsten und Stress.
- Niedriges Selbstwertgefühl, Gefühle von Nutzlosigkeit und sogar Depressionen können die Folge sein. Wenn sich ein Mensch abgelehnt und nicht mehr gebraucht fühlt, kann das dazu führen, dass er sein ganzes bisheriges Berufsleben in Frage stellt und daran zweifelt, jemals gut in seinem Beruf gewesen zu sein.
- Darüber hinaus treten häufig auch Schuldgefühle auf, weil der Betroffene scheinbar nicht mehr selber aus diesem Loch herauskommen kann, in dem er so tief festsitzt.
- Außerdem können auch körperliche Probleme wie Appetitveränderungen und Schlafstörungen entstehen.
- Gefühle der Hilflosigkeit und die Überzeugung, dass die Situation irreversibel ist, sind ebenfalls häufig.
Daher ist es wichtig, etwas ganz Wesentliches nicht aus den Augen zu verlieren. Wenn diese emotionalen Veränderungen für einen langen Zeitraum andauern, wirken sie sich negativ auf den Alltag der Betroffenen aus. In diesem Fall ist es sehr wichtig, dass du dich an einen Psychologen oder einen Psychiater wendest.
Natürlich wirst du nicht einfach die “magische Wunderpille” bekommen, die all deine Probleme in Luft auflöst. Aber diese Spezialisten können dich anleiten und dabei unterstützen, eine gesunde Routine beizubehalten, an deinen Schuldgefühlen und deiner Hilflosigkeit zu arbeiten und die Situation insgesamt auf gesündere Art und Weise zu bewältigen.
Wir müssen unsere “Älteren” schützen!
Laut Aussagen der WHO wird Altersdiskriminierung (Ageism) auf einer Ebene mit Geschlechts- oder Rassendiskriminierung gesehen. Allerdings sagt die WHO auch, dass dies die standardisierteste Art der Diskriminierung ist.
Möglicherweise ist dies ein Aspekt, den du bis vor einer Minute noch ignoriert hast, aber er entspricht der Wahrheit. Altersdiskriminierung ist extrem weit verbreitet. Vielleicht muss die Gesellschaft daran erinnert werden, dass erfahrene Mitarbeiter gleichermaßen wichtig sind. Letztendlich sind sie es, die die jungen Menschen führen und anleiten, wenn diese neu in das Berufsleben eintreten.
Wenn wir jeden Menschen als das sehen würden, was er oder sie ist – ein Individuum – und nicht nur als ein Profil voller Daten, dann wäre die Welt vielleicht eine andere. Die Unternehmen müssen endlich zur Besinnung kommen, denn sie verschwenden wertvolles Talent und sehr viel Wissen und Erfahrung. Beenden wir endlich dieses ewige Thema der Langzeitarbeitslosigkeit!