Die Phase der Wut im Trauerprozess

Wenn du einen geliebten Menschen verlierst, dann kann es passieren, dass du extrem wütend wirst. Du kannst einfach nicht verstehen, warum ausgerechnet du diesen besonderen Menschen verlieren musstest. Dieses Gefühl der Wut ist im Trauerprozess sehr häufig.
Die Phase der Wut im Trauerprozess
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 25. April 2023

Wut ist eine Phase, die im Trauerprozess sehr häufig vorkommt. Leider bleiben aber viele Menschen in dieser Phase stecken. Sie brechen emotional zusammen und können ihre Wut nicht überwinden, weil sie einen ihnen sehr nahe stehenden Menschen verloren haben. Es ist nicht einfach, mit diesem Gefühlschaos umzugehen, bei dem Wut und die Unfähigkeit, diese Situation zu akzeptieren, dazu führen, dass dein Temperament sich verändert und dich einschränkt.

Shakespeare sagte, dass du deinen Schmerz durch Weinen lindern kannst. Aber was passiert, wenn du gar nicht in der Lage bist, dieses Stadium der emotionalen Entlastung und Befreiung zu erreichen? Dann könnte dies dazu führen, dass sich deine Gefühle verhärten und du wie ein Stein immer tiefer in deiner Trauer versinkst. Daher scheint unter allen Phasen im Trauerprozess, die Elisabeth Kübler-Ross definiert hat, die Phase der Wut und Frustration die schwierigste zu sein.

Wie entsteht diese Wut?

In dieser Phase beginnst du wirklich damit, die Vorstellung zu verarbeiten, dass du einen geliebten Menschen verloren hast. Allerdings kannst du diese Tatsache nicht akzeptieren, du lehnst sie vielmehr ab und rebellierst dagegen. Dabei versuchst du, jemanden oder etwas zu finden, dem du die Schuld dafür geben kannst. Außerdem hast du ein anhaltendes Gefühl von Ungerechtigkeit, Ressentiments und Wut, wobei sich diese Gefühle zunehmend in deinem Geist und deinem Körper verstärken.

Schließlich werden all diese Gefühle so intensiv, dass sie sich wie ein wütender Wirbelsturm anfühlen, der die Wäsche auf einer Wäscheleine hin- und herschleudert, verwirbelt, deformiert und sie beinahe von der Leine reißt. Obwohl du versuchst, die Kontrolle über dein Leben zu behalten, hast du das Gefühl, dass dir das nicht gelingt. Da sich dein Kummer in eine unbändige Wut verwandelt hat, kann es passieren, dass du dich in einen Menschen verwandelst, der du gar nicht bist.

“Unterdrückte Trauer erstickt, sie tobt in deiner Brust und ist gezwungen, ihre Stärke zu vervielfachen.”

-Ovid-

Trauerprozess - wütende Frau

Die Phase der Wut im Trauerprozess

Die Phase der Wut im Trauerprozess ist im Grunde genommen eine sehr starke Ablehnung der Vorstellung, einen geliebten Menschen verloren zu haben. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass Trauer, genau wie auch Wut, eine instinktive Reaktion ist, die uns Menschen beim Überleben geholfen hat, weil unser Gehirn sie als eine Bedrohung wahrnimmt. Was könnte größere Auswirkungen haben als der Verlust eines wichtigen Menschen? Daher ist auch der Schmerz so groß und dein Gehirn reagiert darauf.

Es ist also völlig normal, wenn du diese Gefühle erlebst. Gleichzeitig legen einige Studien, wie beispielsweise die von Dr. George A. Bonnano von der Columbia Universität, nahe, dass es keine “normative” Form der Trauer gibt. Obwohl Dr. Kübler-Ross die verschiedenen Trauerphasen sehr genau und korrekt beschrieben haben mag, erlebt dennoch jeder Mensch diese Phasen individuell verschieden und in anderer Reihenfolge.

Darüber hinaus gibt es besonders komplexe Formen der Trauer, wie beispielsweise unterdrückte oder verzögerte Trauer. In beiden Fällen verbleibst du über viele Jahre in deiner Trauer, ohne diese jemals zu lösen. Diese Situation führt fast immer zu Depressionen. Dennoch wollen wir uns nun wieder unserem heutigen Thema widmen: der Phase der Wut im Trauerprozess.

Eine Fixierung auf das Geschehene und unbeantwortete Fragen

Wenn du jemanden verlierst, dann ist es normal, dass du dir einige Fragen stellst. Eine der häufigsten Fragen, die sich viele Menschen stellen, mag auf den ersten Blick wie Selbstmitleid wirken. Wenn du dich fragst, “warum gerade dieser Mensch?”, dann steckt darin aber auch sehr viel Wut. “Warum musste dies ausgerechnet meinem Vater passieren? Er war noch so jung! Außerdem war er so liebenswert und liebte das Leben. Warum musste er uns so früh verlassen?

Wenn du in der Phase der Wut stecken geblieben bist, dann können sich diese Gedanken in deinem Gehirn festsetzen und du wirst dir diese Fragen immer wieder stellen. Deine Fixierung auf das Geschehene und deine Bemühungen, Erklärungen oder einen Schuldigen dafür zu finden, sind sehr häufig Teil der Feedback-Schleife, die durch Wut im Trauerprozess ausgelöst wird.

Überempfindlichkeit

Während der Phase der Wut im Trauerprozess tritt häufig auch extreme Überempfindlichkeit auf. Ein unerwarteter Reiz, eine Nachricht, ein unvorhergesehenes Ereignis, all das kann dazu führen, dass du ganz plötzlich tief davon betroffen bist. Diese Empfindungen verstärkst du in deinen Gedanken auf negative Weise, was dann wiederum dazu führt, dass sie dich extrem beeinflussen und aus dem Gleichgewicht bringen.

Veränderungen der Persönlichkeit und der Stimmungslage im Trauerprozess

Du solltest dir bewusst machen, dass Wut und Zorn tatsächlich deine Persönlichkeit verändern können. Dabei können sie dich in jemanden verwandeln, der du gar nicht bist, den du nicht magst oder in jemanden, der du gar nicht sein willst.

Außerdem kann es vorkommen, dass du keine Motivation mehr hast. Möglicherweise verlierst du das Interesse an Dingen, die du einmal leidenschaftlich gerne getan hast. Vielleicht verlierst du auch deine Geduld und deine Neugier verschwindet. Du suchst nicht mehr die Gesellschaft anderer Menschen. Schlimmstenfalls kann es passieren, dass du kein aufrichtiges Mitgefühl mehr für andere Menschen empfinden kannst, weil dein eigenes Leiden dazu führt, dass du dich nur noch auf dich selber konzentrierst.

Trauerprozess - trauernder Mann

Teilnahmslosigkeit, körperliche Schmerzen und leichte Depressionen

Darüber hinaus kann die Phase der Wut auch zu einigen psychosomatischen Problemen führen. Du könntest beispielsweise unter Magenschmerzen, körperlicher und mentaler Erschöpfung, Kopfschmerzen oder Schlaflosigkeit leiden und ein höheres Risiko für Infektionskrankheiten entwickeln. Außerdem kann es vorkommen, dass du einige Symptome einer leichten Depression verspürst, die sich verschlimmern könnten, wenn du sie nicht behandeln lässt.

Wie kannst du die Phase der Wut im Trauerprozess bewältigen?

Eine der größten Gefahren, die die Phase der Wut im Trauerprozess birgt, ist die, dass du möglicherweise schädliche Verhaltensweisen annimmst. Einige Menschen beginnen damit, Alkohol zu trinken, zu spielen oder andere Dinge zu tun, von denen sie glauben, dass sie ihnen über den Verlust hinweghelfen könnten.

Daher ist eine Therapie nicht nur eine gute Idee, sondern oftmals auch die einzig wirksame Methode, um dein Leben wieder in den Griff zu bekommen und diese Phase zu überwinden. Mit diesen Strategien kann dir dies gelingen:

Strategien, mit denen du die Phase der Wut im Trauerprozess bewältigen kannst

  • Zuerst sollte eine Untersuchung deines Gesundheitszustandes erfolgen. Bevor du eine Therapie beginnst, musst du dich einer medizinischen Untersuchung unterziehen, um sicherzustellen, dass du keine weiteren Erkrankungen hast.
  • Wenn du dich dann zu einer Therapie entschließt, solltest du den festen Willen haben, diese auch durchzuführen.
  • Darüber hinaus gibt es eine gute Technik, mit der du einschränkende und irrationale Gedanken identifizieren kannst: die kognitive Umstrukturierung. Dadurch wird es dir leichter fallen, deine Emotionen zu kanalisieren und Erleichterung zu bekommen. Außerdem wirst du Ressourcen identifizieren, mit denen du deinen tiefen emotionalen Schmerz lindern kannst.
Trauerprozess - barfuß laufende Frau

Darüber hinaus solltest du wissen, dass eine Therapie sich sehr stark an den individuellen Bedürfnissen der betroffenen Person orientiert und es daher keine einheitliche Vorgehensweise gibt. Außerdem solltest du nicht erwarten, dass die Therapie schnell beendet sein wird. Meistens ist dies ein langer Prozess, der eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Patienten und dem Therapeuten erfordert.

Dennoch solltest du dir keine Sorgen machen, denn die Erfolgsquote dieser Behandlungen ist sehr hoch. Du wirst die Phase der Wut mit einer Therapie sicherlich überwinden können. Auch Bücher wie beispielsweise Das Buch der Trauer: Wege aus Schmerz und Verlust von Jorge Bucay können in der Trauerphase sehr hilfreich und tröstlich sein.


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