Die Neurobiologie der Alkoholabhängigkeit
Es gibt neuroanatomische und neurofunktionale Modelle, anhand derer das menschliche Verhalten erklärt werden kann. Analog dazu gibt es auch eine Neurobiologie der Alkoholabhängigkeit. In unserem heutigen Artikel werden wir dir erklären, was im Gehirn eines alkoholabhängigen Menschen vor sich geht.
Alkohol ist die am weitesten verbreitete legale Droge. Der übermäßige Konsum kann sowohl zu physischer als auch zu psychischer Abhängigkeit führen. Dadurch ergeben sich zahlreiche soziale und wirtschaftliche Belastungen und Probleme. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden weltweit mehr als 140 Millionen Menschen an einer Alkoholabhängigkeit. Außerdem ist Alkoholismus die fünfthäufigste Ursache frühzeitiger Todesfälle.
Es gibt zahlreiche Erkrankungen und gesundheitliche Beschwerden, die mit dem Konsum von Alkohol in Zusammenhang stehen: unter anderem Tuberkulose, HIV und verschiedenste Infektionskrankheiten. Daher stellt sich die Frage, was genau im Gehirn passiert, nachdem wir Alkohol zu uns genommen haben. Besonders bedeutsam ist diese Frage, wenn bereits eine Alkoholabhängigkeit vorliegt. Genau hier kommt die Neurobiologie des Alkoholismus ins Spiel.
Die Neurobiologie der Alkoholabhängigkeit
Die Ursachen, die zur Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit führen, entstehen aus einer komplexen Interaktion biologischer, psychischer, sozialer und umweltbedingter Einflussfaktoren.
Am zuverlässigsten lässt sich die Wahrscheinlichkeit vorhersagen, ob ein Mensch eine Abhängigkeit entwickelt oder nicht, wenn genetische oder erbliche Faktoren herangezogen werden. Bis zu 60% der alkoholabhängigen Menschen haben eine angeborene Veranlagung dazu.
Aus biochemischer Sicht hängt das Risiko, eine Alkoholabhängigkeit zu entwickeln, mit Veränderungen der Gene zusammen, die bestimmte Proteine verschlüsseln. Diese Proteine bestehen aus zwei Enzymen: Alkoholdehydrogenase und Aldehyddehydrogenase.
Allerdings haben Wissenschaftler neben den erblich bedingten Faktoren auch potentielle neurobiologische Ursachen identifiziert. Bei einigen Menschen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, verringert sich in der Folge die Anzahl der MAO-A-Enzyme (Monoaminooxidase Typ A).
Es wurde ein Zusammenhang zwischen niedrigen MAO-A-Werten und der Zunahme antisozialen Verhaltens festgestellt. Dieses Verhalten stellt ebenfalls einen Risikofaktor für die Entstehung einer Alkoholabhängigkeit dar.
Darüber hinaus gibt es noch weitere mögliche Erklärungen für die Ursachen von verhaltensbedingtem Alkoholismus. Diese hängen mit den Lernerfahrungen eines Menschen zusammen und mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen. Obwohl die Auswirkungen die gleichen sind, wirken sie auf anderer Ebene als die neurobiologischen Ursachen dies tun. Dennoch besteht gleichzeitig ein direkter Zusammenhang zwischen ihnen.
Hormone und Neurotransmitter
Wissenschaftler haben bewiesen, dass Alkohol entweder direkt oder indirekt mit einer großen Anzahl von Neurotransmittern in unserem Nervensystem interagiert. Aufgrund der Fettlöslichkeit von Ethanol kann es die Blut-Hirn-Schranke überwinden und gelangt so in unser Gehirn.
Folgende Neurotransmitter und Hormone können mit Ethylalkohol interagieren:
- GABA (Gamma-Aminobuttersäure)
- Glutamat
- Endogene Opioide
- Dopamin
- Adrenalin und Norepinephrin
- Acetylcholin
- Serotonin
- Cannabinoide
- Corticotropin freisetzender Faktor
- Neuropeptid Y
Alkoholabhängigkeit ist ein Defizit in unserer physiologischen Regulierungsfähigkeit unserer endogenen Motivations- und Belohnungssysteme. Für diese Systeme, die unser Verhalten beeinflussen und steuern, sind verschiedene Hirnareale verantwortlich: das limbische System, die Amygdala, der Hippocampus, der Nucleus caudatus, der Nucleus accumbens und der Frontallappen.
Durch eine Fehlfunktion dieser genannten Areale können Alkoholabhängigkeit, Alkoholvergiftung oder Entzugserscheinungen entstehen.
Die Auswirkungen der Alkoholabhängigkeit
Durch den Konsum von Alkohol wird das zentrale Nervensystem gedämpft und gleichzeitig verringert Alkohol unsere Hemmungen. Diese enthemmende Wirkung entsteht durch eine Blockade und Veränderung der Gehirnstruktur und verschiedener Prozesse, die mit unserem Denkvermögen, unserer Reflexionsfähigkeit und unseren ethischen Werten in Zusammenhang stehen. Darüber hinaus fördert Alkoholkonsum Impulsivität und den unkontrollierten Ausdruck bestimmter Emotionen und Gefühle.
Dadurch werden einige sehr wichtige kognitive Funktionen mehr oder weniger dauerhaft beeinträchtigt oder geschädigt. Hierzu zählen die exekutiven Funktionen (kognitive Prozesse, die mit unserem Verhalten zu tun haben) der Frontallappen, Gedächtnisprobleme, Defizite des visuell-räumlichen Denkvermögens und motorische sowie okulomotorische Kontrollschwierigkeiten.
Durch den Alkoholkonsum werden die exekutiven Funktionen im Gehirn beeinträchtigt. Diese Beeinträchtigungen äußern sich dann in erhöhter Impulsivität, gedämpften Emotionen, schlechtem Urteilsvermögen, Konzentrationsstörungen, Hemmungslosigkeit und fehlender Motivation.
Die enthemmende Wirkung
Aufgrund der enthemmenden Wirkung des Alkohols verhalten sich Menschen oftmals in einer Art und Weise, wie sie das in nüchternem Zustand niemals tun würden. Durch den Alkoholkonsum kann ein vorübergehendes Freiheitsempfinden, Mitgefühl und gesteigerte Emotionalität entstehen.
Normalerweise führt ein massiver und lang andauernder Alkoholkonsum dazu, dass im Gehirn eine Alkoholabhängigkeit entsteht.
Grundsätzlich kann die Entstehung einer Alkoholabhängigkeit dadurch erklärt werden, dass Alkohol einen positiven Verstärkungseffekt im Gehirn erzeugt. Durch den Konsum werden die Belohnungssysteme im Gehirn aktiviert. Dadurch entstehen positive Empfindungen, welche dazu führen, dass das Gehirn uns dazu veranlasst, mehr davon konsumieren zu wollen.
Für alkoholabhängige Menschen gibt es zahlreiche Hilfs- und Unterstützungsangebote. Allerdings sollten Betroffene vor dem Beginn einer Alkoholentgiftung und anschließender Entziehungskur einen Arzt aufsuchen, um mit ihm alle notwendigen Schritte zu besprechen.
Wie du siehst, erklärt die Neurobiologie der Alkoholabhängigkeit das Wie und das Wann des Verhaltens bei Alkoholmissbrauch. Allerdings ist das “Warum” wesentlich schwieriger zu erklären. Dennoch sollten wir die Hoffnung nicht aufgeben, dass die vielen Behandlungsansätze, die es bereits gibt, denjenigen helfen können, die an dieser schwerwiegenden Suchterkrankung leiden.
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