Die entwertende Familie, eine Belastung für die persönliche Entwicklung
Eine entwertende Familie ist eine solche, die die persönliche Entwicklung ihrer Mitglieder behindert. Diese Entwertung basiert auf einer Reihe von Mechanismen, die Unsicherheit erzeugen. Außerdem untergräbt die Familie das Vertrauen in das, was der Einzelne glaubt, erreichen zu können, zerrüttet sein Selbstwertgefühl und limitiert so sein Wachstum.
Wir alle wissen, dass die Familie der soziale Kern der Gesellschaft ist. In ihr lernen wir, mit anderen in Beziehung zu treten. Wir übernehmend die Muster, die uns dieser Kern vermittelt, undwelche uns dann als Grundlage dafür dienen, uns mit den Menschen in unserer Umgebung zu verbinden.
“Wenn es nicht um deinen Schutz geht, setze keinen Fuß auf die andere Seite dieser Schwelle. Gott steh mir bei, der Geist kann auf der Treppe auf mich warten und mich mit sich in die Hölle nehmen!”
Matthew Gregory Lewis
Im Falle einer entwertenden Familie sind die Verhaltensmuster, die vermittelt werden, dysfunktional. Es geht vor allem um Handlungsweisen, die von Angst und Schuldgefühlen geprägt sind. Solche Familien setzen ihre Mitglieder auf unterschiedliche Weise außer Kraft. Diese haben später in der Regel große Probleme, sich an andere Umgebungen anzupassen, weshalb es auch üblich ist, dass die Kinder bis ins hohe Alter zu Hause wohnen.
Die entwertende Familie und die Überfürsorge
Einer der häufigsten Mechanismen in einer entwertenden Familie ist die Überfürsorge. Diese findet statt, wenn übermäßiger Wert darauf gelegt wird, andere, vor allem Kinder, vor einer potenziellen Gefahr zu bewahren. Sie basiert auf der Idee, dass die Welt ein Ort voller Bedrohungen wäre. Daher müssten extreme Vorbeugungs- und Schutzmaßnahmen ergriffen werden, um zu verhindern, ihnen zum Opfer zu fallen.
Was sich aus diesem Erziehungsstil ergibt, sind Angst, Abhängigkeit und ein geringes Selbstwertgefühl. Die Angst erzeugt Furcht und imaginäre Schuldgefühle. Die Eltern wollen, dass ihre Kinder “nicht leiden” und haben Angst, sie zu verletzen, wenn sie ihnen Verantwortung übertragen. Das führt jedoch nicht zu glücklicheren Kindern, sondern ganz im Gegenteil – es ist die Quintessenz der entwertenden Familie.
Menschen, die in einer solchen Familie aufwachsen, tun dies unter einer Last, die nach und nach mit Ängsten befüllt und so noch schwerer wird. Die bloße Tatsache, das Haus zu verlassen, bereitet ihnen Angst. Das Problem an ihrer Situation ist, dass es ihnen nicht möglich ist, die Ressourcen zu identifizieren, mit denen sie Schwierigkeiten begegnen oder ihre Ziele erreichen könnten. Denn dafür waren ja immer die Eltern da.
Extreme Abhängigkeit und die Überlegenheit
Die entwertende Familie überbehütet wegen Angst. Trotzdem sendet sie gleichzeitig implizite Nachrichten der Überlegenheit: Ich kann das, du kannst es nicht. Die Familie kann dich beschützen, du allein kannst es nicht. Auf diese Weise entstehen Abhängigkeitsbeziehungen, sehr geringe Selbstwirksamkeit und Selbstachtung.
Im Hintergrund haben viele Eltern, die diese Art von Erziehung umsetzen, in ihren Kindern einen Vorwand gefunden, um nicht über ihre eigenen Probleme nachdenken zu müssen. Sie machen die Probleme ihrer Kinder zu ihren eigenen, weil diese scheinbar leichter zu lösen sind. Generell handelt es sich hierbei um Menschen, die große Frustrationen und Leeren in sich tragen. Die Kinder geben ihnen eine Ausrede, um ein notwendiges Gespräch mit sich selbst zu verschieben.
Aus diesem Grund erweitern sie die Abhängigkeit der Kinder so sehr wie möglich. Dies ist einer der Mechanismen, der dazu beiträgt, eine entwertende Familie zu schaffen. Auf diese Weise wird es den Kindern schwerfallen, das Nest zu verlassen, wenn sie es überhaupt jemals tun. Sie werden die Familie immer wieder brauchen, egal um welchen Bereich ihres Lebens es geht
Ein Kreislauf, der gefangen hält
Es ist nicht leicht, diesen Kreislauf zu durchbrechen, der von einer entwertenden Familie geschaffen wurde. Das ist es auch deshalb nicht, weil Betroffene sich oft weigern, zuzugeben, dass ihre familiäre Umgebung toxisch ist. Es wird also die Idee genährt, dass die Familie alles zum Wohl des Einzelnen tue. So viele Opfer, so viel Vorsicht – es ist für Betroffene schwer zu verstehen, dass diese einem pathologischen Muster und nicht einer wertvollen Liebe entsprechen.
Diejenigen, die einer entwertenden Familie angehören, sind deshalb oft unsicher und stur zugleich. Sie haben eine geringe Frustrationstoleranz, weshalb es für sie schwierig ist, sich Ziele zu setzen und diese trotz Widrigkeiten zu erreichen. Sie fühlen sich anderen grundsätzlich unterlegen und schikanieren sich oft selbst. Das liegt daran, dass sie daran gewöhnt sind, besondere Privilegien zu genießen.
Der einzige Ausweg aus diesem Kreislauf besteht darin, diese Erziehungsmuster zu verlernen, was nur schwer möglich ist. Die betroffene Person muss mit einer Struktur brechen, die die Menschen geschaffen haben, die sie am meisten liebt und in der sie sich wohlfühlen kann. Daher erscheint ihr der Gedanke, ihren Ängsten außerhalb dieser schützende Umgebung zu begegnen, unerträglich, sowie als ein Akt der Undankbarkeit gegenüber denen, die sie beschützen.
Sie zählen nicht mit der Unterstützung ihrer Familie, um ihre Unabhängigkeit zu erreichen, sondern müssen sich diese Unterstützung bei einem Therapeuten oder bei einer anderen externen Person suchen, die ihr mangelndes Vertrauen mit ihr aufarbeiten. In diesen Fällen ist die Bitte um Hilfe der erste Schritt in die richtige Richtung. Und er ist auch der wichtigste.