Der falsche Hunger
Kommt dir das bekannt vor? Es ist früher Nachmittag, du hast erst vor zwei Stunden ausreichend zu Mittag gegessen und dürftest gar nicht hungrig sein. Dann macht ein Kollege eine Bemerkung oder du bekommst einen Anruf von deiner Mutter oder deine Freundin hat ein Urlaubsfoto auf Instagram gepostet. Du spürst eine leichte Unzufriedenheit in dir aufsteigen. Impulsiv greifst du zum Schokoriegel in der Schreibtischschublade. Oder du findest in der Teeküche noch Cracker und Salzmandeln von der letzten Party. Du kaust und schluckst und in kürzester Zeit zeugen nur mehr ein paar Brösel oder ein buntes Einwickelpapier von deiner Tat. Eigentlich hattest du dir noch heute Morgen vorgenommen, nichts zwischen den Mahlzeiten zu essen, geschweige denn etwas zu naschen. Du wolltest warten, bis du wieder hungrig bist, und dann erst essen. Der falsche Hunger hat dich verraten.
Was ist geschehen? Du warst tatsächlich hungrig – aber nicht körperlich – der „emotionale Hunger“ hat zugeschlagen!
So wie es dir ergangen ist, ergeht es vielen von uns. Wir haben verlernt, die Signale unseres Körpers richtig zu deuten. Auch wurde den meisten von uns nie beigebracht, wie wir mit unseren Gefühlen umgehen. Wir verwechseln deshalb Hunger mit Sehnsucht oder einer Leere im Herzen. Wenn wir richtig hungrig sind, dann verlangt unser Körper nach Essen und meldet sich mit Magenknurren, leichten Kopfschmerzen, und uns läuft das Wasser im Mund zusammen, wenn wir an unser baldiges Mittagessen denken. Hunger ist ein starker biologischer Trieb, der uns dazu motiviert, Nahrung aufzunehmen, um den Körper mit Energie zu versorgen. Ohne Energie kein Leben. Unser Hunger sichert unser Überleben.
Doch was ist der emotionale, der falsche Hunger?
Im Gegensatz zum richtigen, physischen Hunger taucht dieser plötzlich aus dem Nichts auf. Doch nur scheinbar aus dem Nichts. Denn dem Drang zu Essen ist schon etwas vorausgegangen. Irgendeine Situation hat uns „getriggert“, hat einen Gedanken oder ein bestimmtes Gefühl ausgelöst. Unser Unterbewusstsein meldet sich und lässt aus der Tiefe unserer Psyche unbewusste Aspekte an die Oberfläche tauchen, die sich Gehör verschaffen wollen. Doch wir haben Angst vor unseren Gefühlen, wollen sie nicht spüren, sie nicht zulassen. Deshalb wenden wir eine altbewährte Strategie an, um ihnen zu begegnen – oder besser gesagt, um ihnen nicht zu begegnen: Essen.
Essen steht heutzutage fast immer und überall zur Verfügung. Essen bringt uns sofortiges Wohlbefinden. Essen lenkt uns ab.
Mit Essen können wir uns trösten, uns belohnen und unsere Langeweile damit vertreiben. Doch wenn wir jedes Mal zum Essen greifen, wenn es uns nicht gut geht und dadurch ständig zu viel Nahrung zu uns nehmen, hat das gesundheitliche Konsequenzen. Wir häufen überflüssige Pfunde an, unser Wohlbefinden nimmt ab und mit ihm unser gutes Körpergefühl und unser Selbstbewusstsein. Dazu kommen noch Schuld- und Schamgefühle, weil wir es nicht schaffen, vernünftig zu essen.
Wir können dem falschen Hunger begegnen, indem wir uns folgende Fragen stellen:
- Warum will ich essen, obwohl ich gar nicht hungrig bin?
- Was ist das für ein Gefühl, das ich nicht spüren möchte?
- Was würde passieren, wenn ich fühle, anstatt zu essen?
- Welche Situation glaube ich, nicht aushalten zu können?
Wonach hungern wir wirklich?
Dieser falsche Hunger, der sich nicht mit Essen stillen lässt, ist nichts anderes als ein Bedürfnis, das wir uns nicht erfüllt haben oder erfüllen konnten. Es sind also unsere unerfüllten Bedürfnisse, die hungrig sind, deshalb ist es so wichtig, uns ihrer bewusst zu werden. Sei es das Bedürfnis nach Freiheit, nach Geborgenheit, nach Abenteuer oder Entspannung, jedes einzelne Bedürfnis strebt nach Verwirklichung und wir müssen Möglichkeiten finden, um ihnen gerecht zu werden.
Je mehr wir uns mit unseren Gefühlen anfreunden und unsere wahren Bedürfnisse stillen, desto weniger oft brauchen wir Essen als Krücke. Oder als Ersatz, als Freund, als Belohnung. Oder als Tröster, wenn etwas schiefgelaufen ist. Dann können wir das Essen genießen und aufhören, wenn wir satt sind. Dabei entlasten wir das Essen, stellen es zurück auf seinen Platz und können endlich wieder mit Freude und Spaß dem Leben begegnen!
Bibliografie