Der Dämon des Neides

Der Dämon des Neides
Raquel Aldana

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Raquel Aldana.

Letzte Aktualisierung: 09. November 2021

Neid ist tausendmal schlimmer als Hunger,
weil er geistiger Hunger ist.

Miguel de Unamuno

 

Der junge Schüler eines weisen Philosophen kommt nach Hause und sagt zu diesem:
„Meister, ein Freund hat mit Böswilligkeit von dir gesprochen…“
„Warte!“, unterbricht der Philosoph, „Hast du das, was du mir sagen willst, durch die drei Tore passieren lassen?“
„Die drei Tore?“, fragt ihn der Schüler.
„Ja. Das erste ist das der Wahrheit. Bist du sicher, dass das, was du sagen wolltest, absolut wahr ist?“
„Nein. Ich habe ein paar Nachbarn reden hören.“
„Hast du es denn zumindest durch das zweite Tor, das der Güte, passieren lassen? Das, was du mir sagen willst, ist es gut für jemanden?“
„Nein, nicht wirklich. Im Gegenteil…“
„Aha! Los, jetzt zum letzten, dem Tor der Notwendigkeit. Ist es wirklich notwendig, mich wissen zu lassen, was dich so beunruhigt?“
„ Eigentlich nicht.“
Daraufhin sagte der Weise lächelnd: „Wenn es nicht die Wahrheit, weder gut noch notwendig ist, dann sollten wir es doch besser vergessen.“

Menschliche Beziehungen wären viel gesünder, wenn wir unsere Aussagen erst in den drei Toren der Wahrheit, der Güte und der Notwendigkeit überprüfen würden, bevor wir sie aussprechen. Es ist sicher für alle von uns nicht einfach, diese drei Prinzipien beim typischen “Klatsch und Tratsch“ im Hinterkopf zu behalten und anzuwenden. Aber es gibt Leute, denen es sehr schwer fällt, ihren Hang zu Kritik und Lästerei im Zaun zu halten. Was steckt dahinter? Die Dunkelheit des Neides und seine schreckliche Höhle.

Neid ist der tödlichste Virus, den ich kenne, er ruiniert Beziehungen, annulliert Empfindungen, Gefühle und Menschen. Er scheint wirklich gefährlich, weil wir alle in seine Klauen fallen können, denn er ist so weit verbreitet, dass man von einer Pandemie sprechen könnte. Angesichts dieser Tatsache ist es besonders wichtig, sich gegen den empfundenen Neid und auch gegen den Neid einer anderen Person zu schützen.

Hinter dem Bann des Neides, dem Klatsch und Tratsch, versteckt sich ein schrecklicher und unbarmherziger Dämon: das Fehlen von Selbstbewusstsein und Selbstliebe. Die beste Waffe, über die der Neid verfügt, ist uns für nachteilige Vergleiche zu prädisponieren.

Bekanntlich sind alle Vergleiche abscheulich, unter anderem, weil sie unsere Frustrationen freilegen und uns diese mit einer Lupe vor Augen halten. Mit anderen Worten, was wir begehren, kann uns zerstören, weil es die Verwirklichung unserer Bestrebungen, die wir noch nicht erreicht haben, regelrecht dämonisiert und uns die Sicht auf die Tugenden, die bereits unsere sind, verblendet.

Der Neid bringt die schmutzigen und düsteren Seiten des Menschen zum Vorschein, was nicht nur einen Mangel an Selbstliebe bedeutet, sondern darüber hinaus auch eine der unbequemen Wahrheiten der Menschheit bestätigt: Wir neigen dazu, andere für ihr Talent und ihren Erfolg zu verurteilen. Es ist einfacher, unsere Frustration mittels des Urteils und der Kritik zu kanalisieren, als unsere Minderwertigkeitskomplexe zu bekennen.

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Es ist durchaus üblich, uns zu fragen, warum der Neider neidet, aber oft unterschätzen wir die Last für die beneidete Person. Der Neid anderer ist wie eine echte Krankheit, er führt uns weg von der Realität und schafft Misstrauen in uns.

Es gibt Momente, in denen beneidete Personen nicht mehr wissen, wer ihre Freunde oder Feinde sind, also wem sie überhaupt vertrauen können. Ebenfalls beginnen manche sich zu fragen, ob der Erfolg wirklich ihnen gehört, oder ob er ihnen in Wirklichkeit gar nicht zusteht, wie die Schwätzer es sagen. Dies kann sogar so weit führen, das sich das Erfolgsgefühl in eine konstante Kette von Unsicherheiten und Hilflosigkeit verwandelt.

Sicherlich ist es kaum möglich, den Neid aus der Welt zu schaffen, aber dennoch können wir ihm Einhalt gebieten. Dafür müssen wir zunächst lernen, die Filter der Wahrheit, Güte und Notwendigkeit, die wir heute kennengelernt haben, in unser Denken und Handeln einzubauen. Wir sollten an unserem Identitätsgefühl und der Selbstliebe arbeiten, um ein Innenleben zu schaffen, welches es dem heimtückisches Interesse am Erfolg und Misserfolg anderer erschwert, überhaupt aufzuflackern.

Die Überwindung der Schäden, die aus der Tatsache, dass man beneidet wird, resultieren, erfordern ein gewisses Maß an Reife. Wir wissen, dass es einige Ereignisse gibt, die vergleichbare Gedanken auslösen können und dass wir in unserer Größe keine Probleme haben, die Fehler anderer aufzudecken. Aber das gilt auch umgekehrt.

Dies zu wissen lässt uns unsere Stärken auf eine andere Weise genießen: den anderen zu demonstrieren, dass sie es auch schaffen können, damit diese damit beschäftigt sind, ihre Ziele zu erreichen, wobei wir  ihnen helfen. Denn so wie Gier und Neid uns zerstören, so lässt uns die Bewunderung in positiver Weise reifen.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.