Affektive Labilität - Gleichgültigkeit gegenüber Gefühlen
Was, wenn du nicht in der Lage wärst, Gefühle auszudrücken oder zu erfahren? Stellen wir uns für einen Moment vor, dass einem Familienmitglied gesagt wird, dass er oder sie die Lotterie gewonnen habe und du dich nicht für es freuen kannst. Anstatt Freude zu erleben, bleibst du untätig: Du gratulierst ihm nicht, lächelst nicht, dein Gesichtsausdruck ändert sich nicht einmal. Du weißt, dass das ein freudiges Ereignis ist, aber du fühlst diese Freude nicht wirklich. Stellen wir uns nun vor, dass jemand völlig ungerechtfertigterweise entlassen wird. Anstatt Wut oder Traurigkeit zu erfahren, verspürt er keinerlei Emotionen.
Affektive Labilität ist dieses Phänomen, das manche Menschen erleben, die nicht in der Lage sind, Freude, Traurigkeit, Angst, Wut oder andere Emotionen zu zeigen, wenn sie gerechtfertigt sind. Die obigen Situationen sind Beispiele für dieses Phänomen.
Bevor wir fortfahren, die affektive Labilität zu beschreiben, schauen wir uns an, was Emotionen sind und welche Rolle sie in unserem Leben spielen. Nur so können wir verstehen, wie sich affektive Labilität auf Betroffene auswirken kann.
Was sind Emotionen und wofür sind sie da?
Emotionen sind Reaktionen, die wir alle erleben: Freude, Trauer, Angst, Wut … Sie sind uns bekannt, erscheinen uns aber dennoch als komplexe Gebilde, wenn wir für eine Sekunde innehalten und sie zu analysieren versuchen. Und nur wenige sind sich bewusst, dass eine schlechte Regulierung unserer Emotionen zu Blockaden oder gar Krankheiten führen kann.
Jede Emotion hat zwei Komponenten: die eine ist die subjektive Empfindung, die wir in uns selbst spüren. Die andere Komponente ist ihre äußere Manifestation. Manchmal ist es möglich, die beiden Komponenten voneinander zu trennen. Zum Beispiel kann ein Schauspieler alle Manifestationen einer Emotion simulieren, ohne sie tatsächlich zu spüren. Jemand anders mag in der Lage sein, seine Gefühle zu unterdrücken und eben nicht nach außen zu zeigen, obwohl er sie verspürt.
Vereinfacht ausgedrückt, stellen Emotionen eine biologische Tendenz dar, in gewisser Weise auf bestimmte Reize zu reagieren, die wir auf diese Welt mitbringen und die sich an dem Umfeld orientieren, in dem wir uns befinden. Heute sind sich die meisten Experten einig, dass Emotionen eine Art Zwischenprodukt sind, die wiederum zu zwei verschiedenen Ergebnissen führt: Erstens wird eine neurophysiologische Reaktion ausgelöst, nämlich durch Hormone und Neurotransmitter, die in unserem Verhalten manifestiert, und zweitens eine kognitive, die uns bewusst macht, was wir fühlen. Beide variieren je nach Umgebung und Kultur des Einzelnen.
Der hedonische Ton der Emotion, d. h. das Vergnügen, das wir erleben oder das angenehme bzw. unangenehme Gefühl ist das “Salz des Lebens”. Er ist wichtig für Gedächtnis, Urteile und Überlegungen, Entscheidungsfindung, Verhalten, soziale Beziehungen und Wohlergehen, was daran liegt, dass die Erinnerungen, die wir behalten, emotional gefärbt sind. Deshalb bereiten uns Emotionen vor, motivieren und leiten uns.
Eine der wichtigsten Funktionen der Emotionen ist es also, uns auf das Handeln vorzubereiten. Sie mobilisieren die Energie, die für eine effektive Reaktion unter den gegebenen Umständen notwendig ist, und lenken unser Verhalten auf das gewünschte Ziel. Jede Emotion drängt uns dabei zu einer anderen Art von Handlung. So z. B. erleichtert Wut Abwehrreaktionen, Freude die zwischenmenschliche Nähe, Überraschung die Aufmerksamkeit für neue Reize, etc.
Emotionen haben auch eine soziale Funktion. Die Kommunikation unseres Geisteszustandes gegenüber den Menschen um uns herum fördert unsere Beziehung zu ihnen. Unsere Emotionen sind Signale an andere. Sie geben ihnen Hinweise, wie sie sich uns gegenüber am besten verhalten können.
Worin besteht affektive Labilität?
Affektive Labilität ist keine Störung. Es handelt sich um ein Symptom, das uns darauf aufmerksam macht, dass etwas nicht stimmt. So können wir affektive Labilität als einen Mangel an Ausdruck und dem Erproben von Emotionen definieren. Affektive Labilität wird oft auch als affektive Verflachung, emotionale Gleichgültigkeit oder Taubheit bezeichnet. Das liegt daran, dass die Person, die darunter leidet, die Emotionen anderer und sogar ihre eigenen vergisst oder ihnen gegenüber gleichgültig bleibt.
Es sollte betont werden, dass die Abwesenheit von Emotionen sowohl positive als auch negative Emotionen betrifft. Der Mensch ist nicht nur außer Stande, Freude zu erleben, sondern zum Beispiel auch Angst. Affektive Labilität tritt allerdings selten mit voller Intensität auf, sodass Betroffene Emotionen in verminderter Intensität nach wie vor erleben, wenn auch nicht in jeder Situation.
In welchem Verhältnis steht die affektive Labilität zur Depression?
Menschen mit affektiver Labilität müssen nicht depressiv sein. Depressionen sind mit Apathie und Niedergeschlagenheit verbunden. In diesem Sinne sollte die affektive Labilität nicht mit Anhedonie oder der Unfähigkeit, Freude zu erleben, verwechselt werden. Andererseits ist diese Unfähigkeit typisch für depressive Störungen. Die depressive Person genießt Aktivitäten nicht mehr, die ihr früher Spaß gemacht haben. Also hört sie damit auf, ihnen nachzugehen, und das wiederum verhindert, dass sie sich besser fühlt.
Menschen mit affektiver Labilität erleben Emotionen weniger intensiv, in sehr leichter Form oder gar nicht. Im Gegensatz zu Menschen mit einer Depression verursacht dies jedoch kein Unbehagen. Betroffene fühlen und leiden nicht, wie umgangssprachlich gesagt würde.
Manchmal ist es schwierig, Anhedonie von affektiver Labilität zu unterscheiden. Das gilt umso mehr, weil beide Symptome gleichzeitig bei ein und derselben Person auftreten können. Um sie zu unterscheiden, ist es sinnvoll, sich daran zu erinnern, dass Anhedonie die Unfähigkeit ist, Freude, also eine positive Emotion, zu empfinden. Affektive Labilität ist jedoch das Fehlen von Emotionen jeglicher Art oder ein verminderter Ausdruck derselben.
Warum kommt es zu affektiver Labilität?
Affektive Labilität ist das Symptom oder der Ausdruck einer Grunderkrankung, wie oben erwähnt. Deshalb tritt sie nie isoliert in Erscheinung. Affektive Labilität tritt zusammen mit anderen Symptomen auf, um eine bestimmte Störung oder ein bestimmtes Syndrom zu bilden.
Affektive Labilität wird häufig mit Schizophrenie in Verbindung gebracht. Bei schizophrenen Erkrankungen lassen sich zwei große Gruppen von Symptomen unterscheiden: positive Symptome und negative Symptome. Erstere sind “Übertreibungen” der Normalität, letztere manifestieren sich in Form von Mängeln. Zum Beispiel ist eine Halluzination eine “Übertreibung” der Wahrnehmung, während Apathie einen “Mangel” an Motivation darstellt. Nun, affektive Labilität fällt in die Gruppe der negativen Symptome der Schizophrenie fallen.
Aber nicht nur bei Schizophrenie kann es zu einer affektiven Labilität kommen. Affektive Labilität kann auch bei Autismus-Spektrum-Störungen auftreten. Menschen mit Autismus haben Schwierigkeiten, Emotionen zu erleben und sie auszudrücken. Affektive Labilität kann auch bei demenzkranken Menschen auftreten. Dann ist sie eine Folge von Veränderungen im Gehirn.
Wie wir gesehen haben, ist affektive Labilität keine Erkrankung, sondern ein Symptom. Daher muss sie im Rahmen der zugrunde liegenden Krankheit oder Störung behandelt werden.