Zeugen von Verbrechen: Welche Faktoren beeinflussen die Erinnerung?
Wenn du schon einmal Zeuge eines Verbrechens warst oder dich mit forensischer Psychologie auskennst, wirst du wissen, dass die Erinnerung durch verschiedene Variablen verzerrt werden kann (unser Gedächtnis ist in diesem wie in anderen Fällen kein bloßer Stenograf der Realität). Wir gehen heute der Frage nach, welche Faktoren die Erinnerungen der Zeugen beeinflussen. Sind Kinder zuverlässiger als Erwachsene? Erinnern sich Frauen oder Männer besser an die Vorfälle? Erfahre Interessantes über die Forschungen der forensischen Psychologie.
Psychologie der Zeugenaussage und das Zeugengedächtnis
Hugo Münsterberg prägten den Begriff “Psychologie der Zeugenaussage” erstmals im Jahr 1908. Er argumentierte, dass “der Rat der Psychologen unentbehrlich sei, um den Richtern, die sich mit einem ihnen fremden Gebiet wie der menschlichen Wahrnehmung und dem Gedächtnis befassen müssen, eine bessere Vorstellung von der Richtigkeit der Zeugenaussagen zu geben”. Heute befasst sich die forensische Psychologie mit Zeugenaussagen, um deren Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit zu definieren.
Die Psychologie der Zeugenaussage ist also ein Zweig der Psychologie, der sich mit der Analyse der Qualität des Zeugengedächtnisses in der Forensik befasst. Unter dem Begriff “Zeugengedächtnis” verstehen wir den Wissens- und Forschungsstand, der auf der Grundlage von Studien zum menschlichen Gedächtnis die Qualität der Aussagen von Hauptzeugen bei Verbrechen und Unfällen bewertet.
Wenn Zeugen eines Verbrechens einen Tatort beobachten, machen sie in der Regel zwei Arten von Fehlern:
- Unterlassungsfehler (Omission): Die Zeugen vergessen Details oder lassen eine Handlung aus.
- Fehlerhafte Handlungsausführung (Commission): Die Zeugen fügen unbeabsichtigt neue, nicht sachbezogene Daten und Informationen hinzu, um ihre Vergesslichkeit zu kompensieren.
Aber welche Faktoren verzerren die Aussage einer Person, die Zeuge eines Verbrechens war?
Welche Faktoren beeinflussen das Gedächtnis von Zeugen?
Die Psychologie der Zeugenaussagen hat die Verzerrungen der Erinnerungen untersucht. In Anlehnung an G. L. Wells (1978) können wir einige Faktoren unterscheiden, die eine solche Aussage beeinflussen:
1. Die Umstände
Es geht um Variablen, welche die Zuverlässigkeit von Zeugenaussagen häufig beeinflussen, jedoch nicht kontrolliert oder ausgewählt werden können, da sie vom Zufall bestimmt werden.
Situative Faktoren
- Umweltbedingungen, unter denen sich der Vorfall ereignet hat (z. B. Entfernung, Dunkelheit, Nebel);
- Art des Ereignisses (z. B. Unfall, Vergewaltigung, Raubüberfall usw.);
- Zeit, die dem Zeugen für die Beobachtung des Ereignisses zur Verfügung steht;
- Tätigkeit, mit der sich die Zeugen bis zum Zeitpunkt der Aussage beschäftigen (Kommentare, Übereinstimmung mit der Mehrheitsmeinung usw.).
Zeugenfaktoren
In diesem Fall sprechen wir von den spezifischen Merkmalen jedes Zeugen, wie z. B. Alter oder Geschlecht, die sich auf die Genauigkeit der Aussagen auswirken.
2. Systemspezifische Variablen
Das für die Aufnahme von Zeugenaussagen gewählte System hat ebenfalls Auswirkungen auf die Erinnerung des Zeugen. Wir beziehen uns hier auf Variablen, die Polizei, Richter oder Anwälte manipulieren können, um die Schilderung des Sachverhalts oder die Identifizierung eines Verdächtigen zu optimieren. Einige Beispiele: Anweisungen an die Zeugen, die Zeit zwischen Bericht und Aussage, die Art und Reihenfolge der Fragen, die Auswahl der Personen für die Gegenüberstellung usw.
Phänomene, welche die Erinnerung von Zeugen verzerren
Verschiedene Faktoren verzerren die Erinnerung der Zeugen. Dazu gehören unter anderem folgende:
Der Einfluss von Erregung und Gewalt
Die meisten Studien, unter anderem eine von Zanni und Offermann (1974), stimmen darin überein, dass ein hohes Maß an Erregung die Genauigkeit der Erinnerung von Zeugen negativ beeinflusst. Die Gewalttätigkeit des Vorfalls spielt dabei eine Schlüsselrolle, da sie das Erregungsniveau erhöhen kann. Eine Studie von Clifford und Hollin (1978) beweist, dass die Erinnerung von Zeugen unter gewalttätigen Bedingungen weniger genau als unter gewaltfreien Bedingungen ist.
Die Rolle des Geschlechts bei der Erinnerung von Zeugen
Nach Clifford und Hollin (1978) erinnern sich Männer eher an gewalttätige Details als Frauen, während bei einem gewaltfreien Vorfall das Gegenteil der Fall ist. Und wenn es darum geht, einen Verdächtigen wiederzuerkennen, sind Frauen zuverlässiger als Männer.
Untersuchungen von Yarmey (1979) legen nahe, dass Frauen ein Gesicht genauer erkennen und besonders gut darin sind, Frauengesichter zu identifizieren.
Außerdem sind Aussagen über Kleidung, Handlungen und das körperliche Erscheinungsbild von Männern sowie Frauen bei Frauen zuverlässiger. Laut McGehee (1937) erkennen Männer jedoch Stimmen besser als Frauen (84 % vs. 59 %).
Alter
Wenn wir uns auf die Erinnerung an die Gesichtszüge von Tätern konzentrieren, sind Kinder schlechtere Zeugen als Jugendliche und Erwachsene. Ab einem Alter von 17 Jahren bleibt die Fähigkeit der Identifizierung jedoch stabil.
Andererseits lassen sich Kinder leicht von den Menschen beeinflussen, die sie befragen, was bei Erwachsenen nicht so einfach ist. Außerdem empfinden Kinder eine Gegenüberstellung bedeutend stressiger als die Identifizierung anhand von Fotos. Stress kann laut Dent (1978) die Genauigkeit ihrer Erinnerung verschlechtern.
Andere Einflussfaktoren
Wir finden auch andere Faktoren, die das Zeugengedächtnis beeinflussen, wie zum Beispiel
- Stereotypen,
- das begrenzte Gedächtnis
- oder der Beruf der Person (Polizeibeamte können sich zum Beispiel besser an Details erinnern, aber nur für eine kurze Zeitspanne nach dem Ereignis).
Zeugen sind nicht so zuverlässig, wie man denken könnte
Das Zeugengedächtnis ist nicht so zuverlässig, wie es scheint. Das liegt daran, dass unser Gedächtnis, obwohl es sehr mächtig ist, die Realität nicht wie ein perfektes Foto widerspiegelt. Stresssituationen und zahlreiche andere Einflussfaktoren verändern die Interpretation der Realität. Die meisten Gedächtnislücken sind unfreiwillig und hängen von verschiedenen Umständen ab. Die Wahrheitsermittlung ist oft ein schwieriges Ziel.
Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.
- Arch, M. y Jarne, A. (2009). Introducción a la psicología forense. Departamento de psicología. Universidad de Barcelona.
- Lemoine, E. (2014). Psicología del testimonio. Revista De Psicología, 4. Recuperado a partir de https://revistas.unlp.edu.ar/revpsi/article/view/1012
- Manzanero, Antonio L. (2009). Psicología Forense: Definición y técnicas. In Teoría y práctica de la investigación criminal. IUGM, Madrid, pp. 313-339. ISBN 978‐84‐608‐0992‐0
- Santos, J., Hernangómez, L. y Taravillo, B. (2018). Manual CeDe de Preparación PIR. Psicopatología. Madrid, España, CeDe.