Wunden, die wir mit Eis und Wärme heilen

Wunden, die wir mit Eis und Wärme heilen

Letzte Aktualisierung: 22. April 2017

Wir alle kennen das folgende Szenario: ein Sofa, eine Decke und ein großer Becher Eis. Der Kopf ist voller grauer Wolken und es kommt das Gefühl auf, dass dieser Becher der einzige Ort ist, an dem es keine emotionalen Erdbeben, Bomben, Attentate oder andere Krisen gibt.

Es ist dieser Eisbecher, in dem sich kaltes und süßes Eis befindet, der der Gegensatz zur Wärme der Decke und der erste Versuch ist, mit der Welt wieder Frieden zu schließen. Er ist Balsam für unsere Seele, weil wir herausfinden und wieder justieren können, was ins Wanken geraten ist.

Die Macht der Kälte

Eis ist eines der entzündungshemmendsten und betäubendsten Mittel, die wir kennen. Wenn wir kalte Füße haben, kommt es uns so vor, als würden wir sie kaum mehr spüren. Wenn wir eine Muskelverletzung haben, wird uns zuallererst geraten, Eis auf die betroffene Stelle zu legen, um die Schmerzen so gering wie möglich zu halten und zu vermeiden, dass sich hier größere Mengen Blut ansammeln.

Abstand zu nehmen und diesem Zustand zu entkommen, in dem wir „heiß gelaufen“ sind, erlaubt es uns außerdem, nicht länger pausenlos an ein und dasselbe zu denken, was unsere schmerzlichen emotionalen Wunden nur noch weiter aufreißen lässt. Uns von Konfliktsituationen zu distanzieren, in denen wir das Gefühl haben, dass uns die Dynamik des Ereignisses gefangen hält, verhindert außerdem, dass wir etwas sagen, was wir nicht sagen wollen, oder zumindest, dass wir es voller Wut und unter fehlender Rücksichtnahme zum Ausdruck bringen.

Wenn du einmal an all die Worte denkst, die du bereust, ausgesprochen zu haben, dann hast du solche wohl meistens in Situationen gesagt, in denen du aufgebracht warst. Das sind Momente, in denen wir verärgert oder traurig sind, die uns deshalb taub für Ratschläge machen und in denen wir daher zu wenig auf das achtgeben, was wir sagen und wie wir es ausdrücken.

Durch Kälte können wir wieder Ruhe einkehren lassen und Wunden fangen an, zu heilen

Wenn wir bei einer Muskelverletzung pausenlos mit Eis kühlen, so ziehen sich die Gefäße zusammen und es kann weniger Blut an die betroffene Stelle gelangen, weshalb die Muskelfasern aber auch nicht ausreichend mit Nährstoffen versorgt werden, um heilen zu können. Mit emotionalen Wunden passiert genau dasselbe: Das kalte Eis ist für den ersten Moment oder für die ersten Stunden nach einem hitzigen Kontakt mit anderen Menschen gut und noch besser ist es, wenn wir das zur Beschleunigung des Heilungsprozesses für uns beste Eis finden.

Sogar der Kontakt zu uns selbst, ein Blick in unser Inneres, dem wir oft genug keine Beachtung schenken, weil es uns Angst macht, kann hilfreich sein. Doch wenn wir an dieser Kälte, der Besorgnis und der Traurigkeit festhalten, werden sie zu einem ständigen Begleiter. Mit der Zeit wird es immer schwieriger, sich von ihnen zu trennen. Daher ist ein soziales Umfeld wichtig, das uns stützt und Teil unseres emotionalen Immunsystems ist.

Unser Verstand, so wunderbar und magisch er auch ist, funktioniert genau auf diese Weise. Er verfügt über Mechanismen, die angepasst werden können, wenn er sie eine begrenzte Zeit lang nutzt, wie beispielsweise die Verweigerung der Anerkennung eines Verlusts eines geliebten Menschen, was allerdings gegen uns arbeitet, wenn wir diese Strategien dauerhaft verfolgen wollen. So wie das schmelzende Eis, das immer weniger wird, muss auch jegliche Verdrängung der Realität irgendwann ein Ende haben, damit diese kurzzeitige, aber oberflächliche Linderung, nicht zu einer chronischen Erkrankung wird.

Wir haben zu Beginn das Bild eines Abends im Pyjama auf dem Sofa mit einem Eisbecher in der Hand beschrieben, aber es gibt andere, subtilere Methoden, wie einen einsamen, langen Spaziergang oder ein jähzorniges Verhalten, mit dem wir ebenfalls versuchen, von alledem Abstand zu nehmen, das uns Unwohlsein bereitet. Im Grunde genommen sind wir nicht verärgert, doch wir wollen nicht, dass wir uns erneut mit etwas auseinandersetzen müssen, dem wir bereits den Krieg erklärt haben.

Wir wollen das nicht an anderen auslassen und so häufen sich unsere Schuldgefühle. Denn wir wissen nicht, wie wir mit ihnen umgehen sollen, da uns niemand beigebracht hat, um Freiraum zu bitten. Und wenn uns das doch manche Menschen gezeigt haben, wissen sie, dass sich hinter dieser Bitte zuweilen genau das Gegenteil verbirgt. Aus diesem Grund besitzen nur die Menschen eine ausgeprägte emotionale Intelligenz, die zwischen den Zeilen lesen können, denn es ist ein Drahtseilakt, jemanden mit Schuldgefühlen zu unterstützen.

Verwende das heilende Eis also auf die richtige Art und Weise und dosiert und denke daran, dass es an der Zeit ist, sich der Welt wieder zu öffnen, anstatt ein neues zu kaufen, wenn sich das Erste dem Ende zuneigt.

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