Wie kann die existenzielle Therapie bei Depression helfen?

Machst du dir Gedanken über den Sinn des Lebens? Fühlst du eine tiefe Leere und ein völliges Desinteresse an deiner Umgebung? Dann könnte die existenzielle Therapie für dich interessant sein. Erfahre mehr darüber.
Wie kann die existenzielle Therapie bei Depression helfen?
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 16. Januar 2023

Søren Kierkegaard wies darauf hin, dass in der Verborgenheit des Glücks auch Angst und Verzweiflung wohnen. Das weiß jeder, der mit einer Stimmungsstörung zu tun hat, insbesondere mit Depressionen. Es ist nicht einfach, in einer Welt, die oft chaotisch und sinnlos erscheint, Wohlbefinden und Erfüllung zu finden. In unserem heutigen Artikel betrachten wir, wie die existenzielle Therapie bei Depressionen helfen kann. 

Die Frage nach dem Lebenssinn ist ein grundlegender menschlicher Trieb. Die Umstände, das Umfeld oder die persönliche Entwicklung erschweren es uns jedoch manchmal, einen Sinn in unserer Existenz zu finden. Dadurch entsteht Leid und Verzweiflung. In dieser Situation ist es schwierig, produktiv zu sein, im Leben voranzukommen und mit anderen in Beziehung zu treten.  Wir sprechen von einer existenziellen Depression, die erstmals in den 1950er-Jahren von dem Psychiater Heinz Häfner beschrieben wurde.

Die existenzielle Therapie wurde innerhalb der humanistischen Psychotherapien entwickelt, um diese Sinnkrisen zu behandeln. Allerdings handelt es sich eher um einen philosophischen als um einen klinischen Ansatz, der deswegen jedoch nicht weniger interessant ist.

“Der Mensch ist eine Synthese aus dem Zeitlichen und dem Ewigen, aus dem Endlichen und dem Unendlichen.”

Søren Kierkegaard.

Existenzielle Therapie bei Depression
Der existenzielle Therapeut führt die Person zu der Erkenntnis, dass sie nicht durch ihre Geschichte definiert wird. Das ist eine große Befreiung.

Die existenzielle Therapie zur Behandlung von Depressionen

Der Psychiater Irvin Yalom zählt zu den wichtigsten Vertretern der existenziellen Therapie. Er hat den Rahmen für diese Behandlung entwickelt und ihr große Bedeutung gegeben. In seinem Buch “Existentielle Psychotherapie” (1980) definiert er diesen Ansatz als einen dynamischen therapeutischen Rahmen, der sich auf die Probleme konzentriert, die wir erleben, wenn wir über unsere Existenz nachdenken.

In gewisser Weise stehen wir alle irgendwann vor dieser Herausforderung und zweifeln an der Sinnhaftigkeit unserer Existenz. Das Gefühl der inneren Leere weckt Ängste und führt uns oft in die Isolation. Manchmal reicht ein Verlust, ein Verrat oder die Trennung vom Partner, um das Gefühl zu entwickeln, dass das Leben sinnlos ist.

Eine existenzielle Depression tritt oft nach einem traumatischen Ereignis auf. Wie schaut die Behandlung mit der existenziellen Therapie aus?

In der existenziellen Therapie gibt es keine strukturierte oder “einheitliche” therapeutische Strategie. Das Ziel ist, Betroffene dabei zu unterstützen, ihre Werte und Bedeutungen zu erkennen und sie allmählich anzuleiten, neue Entscheidungen zu treffen.

Allgemeine Ziele

Die existenzielle Therapie geht davon aus, dass die psychischen Probleme einer Person nicht auf eine einzige Ursache zurückzuführen sind. Der Auslöser ist nicht nur eine Trennung, der Verlust des Arbeitsplatzes oder die Unfähigkeit, dauerhafte und glückliche Beziehungen aufzubauen. Wir alle haben mit verborgenen existenziellen Sorgen zu tun, die erkannt und bearbeitet werden müssen.

Das übergeordnete Ziel des Therapeuten ist es, die existenziellen Ängste jedes Einzelnen und die Art des Konflikts zu erkennen, den er oder sie in Bezug auf sich selbst und die Welt erleidet. Eine Sache, die man bedenken sollte, ist, dass die depressive Person das Gefühl hat, dass nichts einen Sinn ergibt und dass ihr die Mittel fehlen, um ihr Leben zu ändern. Sie nimmt sich selbst als hilflos, allein und leer wahr.

Das allgemeine Ziel des existenziellen Therapeuten ist es, diese Rückverbindung mit der Welt zu erleichtern, neue Lebensbedeutungen zu finden, Autonomie und Hoffnung zurückzuerobern.

Vier konkrete Ziele

Dieser therapeutische Ansatz hat vier konkrete Ziele. Sie beruhen auf der Vorstellung, dass der Mensch in vier Erfahrungs- und Existenzbereiche integriert ist, die analysiert werden müssen, um den Betroffenen besser zu verstehen. Wir analysieren sie.

  • Der physische Bereich: Welche Bedürfnisse hat die Person, welche Wünsche hegt sie, wie steht es um ihre körperliche Gesundheit (Schlaf, Essen usw.)? Ein therapeutisches Ziel ist, die Person in diesem Bereich in die richtige Harmonie zu bringen.
  • Der Bereich der Selbstfragen: Welches Selbstverständnis hat die Person, ist sie sich ihrer Stärken und Tugenden als Mensch bewusst? Sie zu definieren und eine gute Selbsterkenntnis zu erlangen, ist ein weiteres therapeutisches Ziel.
  • Sozialer Bereich: Welche Art von Beziehung hat die Person zu ihrem Umfeld, ihrer Familie, der Gesellschaft und der sie umgebenden Kultur? Wie kann ihr geholfen werden, damit sie sich in dieser sozialen Welt erfüllter und glücklicher fühlt?
  • Das Reich der Schöpfung. Ein grundlegendes Ziel der existenziellen Therapie ist, dass die Person einen neuen Sinn im Leben findet, indem sie ihre Überzeugungen und ihr Vertrauen in sich selbst und die Welt aktualisiert.

Die existenzielle Therapie geht davon aus, dass Depressionen nicht etwas sind, das eine Person hat, sondern die Art und Weise, wie sich eine Person in einer oft komplexen und bedeutungslosen Welt fühlt.

Mann denkt über die existenzielle Therapie nach, während er am Meer spazieren geht
Um Depressionen zu bekämpfen, müssen wir klären, wie wir unser Leben leben wollen.

Die existenzielle Therapie: Techniken und Strategien

Die existenzielle Therapie wird seit Jahrzehnten praktiziert. Persönlichkeiten wie Irvin Yalom bestätigen ihre Wirksamkeit. Eine Studie der Universität von Colorado Springs erinnert uns daran, dass sie zwar evidenzbasiert ist, jedoch weitere Forschungen nötig sind, um ihre Vorteile vollständig zu verstehen.

Wie dem auch sei, es ist ein Therapiemodell, das bei Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen, Trauerfällen und in der Palliativmedizin mit gutem Erfolg zum Einsatz kommt. Es sind die Momente im Leben, in denen wir, gefangen von Unruhe, Angst und Ungewissheit, einen Sinn im Leben finden müssen.

Aber wie erreicht diese Therapieform ihre Ziele? Welche Techniken setzt sie bei Depressionen ein?

Einen sicheren, einfühlsamen Raum zum Nachdenken schaffen

Existenzielle Therapeuten schaffen eine Umgebung, in der sich der Patient sicher und verstanden fühlt und seine Gedanken und Gefühle frei äußern kann. Es ist eine warme und nährende Umgebung, in der über Gefühle, Zweifel und Leere gesprochen werden kann.

In dieser Umgebung wird dem Patienten ein Rahmen geboten, in dem er nachdenken und Fragen stellen kann, um neue Perspektiven zu gewinnen.

Fokus auf das Hier und Jetzt

Für die existenzielle Therapie ist die Vergangenheit der Person nicht entscheidend. Was zählt, ist die Gegenwart, denn die Geschichte definiert den Menschen nicht. Das Leben hat nicht immer einen Sinn. Das Entscheidende ist, dass wir uns frei fühlen, nach unseren gegenwärtigen Werten, Wünschen und Bedürfnissen zu handeln.

Not lindern

Die existenzielle Therapie urteilt nicht und bietet der Person auch keinen Standardfahrplan zum Wohlbefinden und zur Heilung von Depressionen. Das Ziel ist, die Not zu lindern und dabei zu helfen, ein sinnvolleres Dasein mit neuer Transzendenz und neuer Hoffnung zu gestalten.

Grundlegende Prinzipien der Existenz verstehen

Dr. Susan Iacovou und Karen Weixel-Dixon sind die Autorinnen des Buches “ Existential Therapy: 100 Key Points and Techniques”. In dieser Arbeit weisen sie darauf hin, dass es bei diesem therapeutischen Modell wichtig ist, nach einer Reihe von Grundprinzipien zu arbeiten. Wenn du dich mit ihnen beschäftigst, findest du viele der Antworten, die du benötigst:

  • Verstehe, dass wir sterbliche Wesen sind und dass die meisten Dinge vergänglich sind.
  • Es gibt nur eine Chance, das Leben zu leben. Mach das Beste daraus, indem du dich auf das Hier und Jetzt konzentrierst.
  • Wir alle müssen die Herausforderung annehmen, zu entscheiden, wie wir leben wollen. Zu definieren, was du willst, wen du willst und was du erreichen möchtest, hilft dir dabei.
  • Du musst lernen, mit existenziellen Ängsten umzugehen. Dazu brauchst du den Mut, um mit der täglichen Unsicherheit zu leben.

Die existenzielle Therapie ermutigt Menschen mit Depressionen, neue Perspektiven und Antworten auf ihre tiefen Zweifel zu finden. In einer Welt, die manchmal bedeutungslos zu sein scheint, ist es notwendig, den Sinn in uns selbst zu finden. Ein erfülltes und sinnvolles Leben zu führen, erfordert eine ständige Arbeit der Selbsterkundung, die es wert ist, ausprobiert zu werden.


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