Weißes Rauschen: Wenn irrationale Ängste, dein Leben beherrschen

Dieser Film, mit Adam Driver in der Hauptrolle, ist witzig und vermittelt uns eine starke Botschaft: Wir werden von irrationalen Ängsten beherrscht und leben in einer Konsumgesellschaft, die von Falschinformationen und Umweltkatastrophen geprägt ist.
Weißes Rauschen: Wenn irrationale Ängste, dein Leben beherrschen
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 02. Februar 2023

Der Roman Weißes Rauschen von Don DeLillo (1985) galt lange Zeit als unverfilmbar. Doch der US-amerikanische Filmregisseur Noah Baumbach wagte es trotzdem, dieses anspruchsvolle Buch zu verfilmen. Netflix zahlte für die Rechte fast 100 Millionen Dollar. Das Ergebnis? Eine Katastrophe für die Plattform, so wie auch Blond, das Biopic über Marilyn Monroe. Schade, denn es handelt sich um eine Geschichte von großem psycho-soziologischem Interesse.

Weißes Rauschen ist eine schwarze Komödie mit bemerkenswerter Sozialkritik, die es verdient, mit einer Korrekturbrille gesehen zu werden. Obwohl DeLillo die Geschichte dieser exzentrischen Familie in den 1980er-Jahren schrieb, ist uns ihre Botschaft sehr nahe: Das Bild einer Gesellschaft, die zum Opfer von Konsum, Katastrophen und Falschmeldungen wird, ist uns nur allzu vertraut.

“Je größer der wissenschaftliche Fortschritt, desto primitiver sind die Ängste.”

Aus dem Film Weißes Rauschen

Weißes Rauschen
In dem Film Weißes Rauschen geht es um Konsumverhalten, Desinformation, Angst und Tod.

Gift, das wir nicht sehen, aber einatmen

Der Schriftsteller Don DeLillo erzählt, dass er eine seltsame Atmosphäre beobachtete, als er nach einem dreijährigen Griechenland-Aufenthalt wieder in die USA zurückreiste.

1984 ereignete sich die Katastrophe von Bhopal, das größte Industrieunglück der Geschichte: Schätzungsweise starben bis zu 25.000 Menschen durch direkten Kontakt mit der giftigen Gaswolke, die freigesetzt wurde. Das verantwortliche Unternehmen gehörte dem indischen Staat und einem US-amerikansichen Konzern. DeLillo erklärte, dass das Fernsehen dieses verheerende Drama neben anderen Nachrichten über den Klimawandel, die Umweltverschmutzung und soziale Krisen zeigte, aber niemand schien sich dafür zu interessieren, was in der Welt vor sich ging; es war kaum mehr als weißes Rauschen.

Während wir unseren täglichen Beschäftigungen nachkommen, vernehmen wir das Hintergrundgeräusch nicht oder wollen es bewusst nicht hören. DeLillo behandelt dieses Thema in seinem Roman und Noah Baumbach versucht, diese Tatsache in der Verfilmung deutlich zu machen. Der Film hat komische Untertöne, doch in Wirklichkeit grenzt er an kosmischen und existenziellen Terror, wenn die Angst vor dem Tod zum Ausdruck kommt.

“In einer Krise liegt die Wahrheit in dem, was andere Leute sagen.”

Aus dem Film Weißes Rauschen

Die wahnhafte Familie Gladney

Es sind die 1980er-Jahre und schon bald tauchen wir in eine höchst klaustrophobische Atmosphäre ein. Alle Charaktere scheinen von einem Dialog aus verworrenem Intellektualismus, existenziellen Zweifeln, Ängsten und dem Konsumbedürfnis beherrscht zu werden. Jack Gladney, ein Universitätsprofessor, gründet an seinem College eine Abteilung für Hitler-Studien und wird zu einer bekannten Persönlichkeit. Auf seinen Vorträgen preist er Hitler, ohne sich seiner eigenen Frivolität bewusst zu sein – eine Satire auf die akademische Welt.

Der außergewöhnliche Schauspieler Adam Driver verkörpert die Rolle von Jack, der mehrere Kinder hat – alle Außenseiter und Besserwisser. Jack lebt mit seiner Frau Babette (Greta Gerwig) zusammen, die ebenfalls Kinder hat. Sie bilden eine glückliche Patchwork-Familie, in der sie oft über den Tod und wer zuerst sterben wird sprechen. Beide fürchten sich vor der Einsamkeit und dem Leben ohne den anderen.

Ängste, Katastrophen, Pillen und eine Welt ohne Google

Weißes Rauschen ist die Darstellung all der inneren und äußeren Giftigkeit, die uns sättigt und die wir dennoch nicht sehen. Jack Gladney, der vergötterte Lehrer und Familienvater, der alles im Griff zu haben scheint, leidet unter Angstzuständen. Wir sehen es in dem nächtlichen Albtraum, in dem eine gesichtslose Gestalt in seinem Bett liegt und ihm den Atem raubt.

Seine Frau Babette kämpft mit einer stillen Depression, die sie dazu bringt, ein experimentelles Medikament zu nehmen, das ihr verspricht, alle ihre Ängste und Sorgen zu vergessen. Eine Droge, die diesen Zweck bei Weitem nicht erfüllt, sondern schwerwiegende kognitive Störungen hervorruft, die in ihrer Familie die Alarmglocken läuten lassen.

Alles wird kompliziert, als die fiktive Stadt Blacksmith im Mittleren Westen von einer Umweltkatastrophe heimgesucht wird. Ein Zug entgleist und ein gefährliches giftiges Gas wird in die Atmosphäre freigesetzt. Die schwarze Wolke breitet sich aus und mit ihr Chaos, Unsicherheit und Fehlinformationen.

Obwohl die Bevölkerung keinen Zugang zum Internet oder zu Google hat, schaffen die widersprüchlichen Daten, beängstigenden Warnungen und Empfehlungen eine bedrückende Atmosphäre. Einmal ist Jack an einer Tankstelle kurzzeitig giftiger Luft ausgesetzt. Das hat gesundheitliche Folgen und macht im mehr Angst denn je.

“Ich habe den Tod in mir. Die Frage ist nur, wie gut ich das überleben kann oder nicht.”

Aus dem Film Weißes Rauschen

Weißes Rauschen - Netflix
Weißes Rauschen führt uns in eine apokalyptische Welt, die an die heutige Zeit erinnert.

Weißes Rauschen: Die Ängste sind immer da

Was passiert, wenn die Person, die Person, die du am meisten liebst, vor dir stirbt? Oder wenn dich dein Partner betrübt – wo bleibt dann die Liebe? Welchen Sinn hat der Tod – und das Leben? Die grundlegenden, atavistischen Ängste sind immer da – wie das weiße Rauschen im Hintergrund.

Wir leben in einer Gesellschaft, die von Fortschritt und Konsum besessen ist. Naturkatastrophen, Umweltverschmutzung, die Geschäfte der Pharmaindustrie oder soziale Krisen sind auch wie das weiße Rauschen. Wir empfinden ein angenehmes Gefühl der Freiheit und intellektuelle Selbstkontrolle, wir vertrauen in Institutionen, ohne uns daran zu erinnern, dass wir durch Desinformation manipuliert werden.

Dieser bizarre Film war für Netflix zwar eine Katastrophe, trotzdem handelt es sich um eine höchst interessante Produktion.


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  • Robinson, O. J., Vytal, K., Cornwell, B. R., & Grillon, C. (2013). The impact of anxiety upon cognition: perspectives from human threat of shock studies. Frontiers in human neuroscience7, 203. https://doi.org/10.3389/fnhum.2013.00203

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