Was ist das Madame-Bovary-Syndrom?

Was ist das Madame-Bovary-Syndrom?
Sergio De Dios González

Geschrieben und geprüft von dem Psychologen Sergio De Dios González.

Letzte Aktualisierung: 16. Februar 2018

Das Madame-Bovary-Syndrom, auch genannt Bovarismus, ist eine Verhaltensstörung, die ihren Ursprung in den Romanen der Romantik des 19. Jahrhunderts hat. Seit dieser Zeit hat die Idealisierung der Liebe unzählige Menschen, unter ihnen vor allem Frauen, in anhaltende Frustration und Enttäuschung geführt. Die Suche nach der “perfekten Liebe” ruft einen Konflikt hervor, weil das Idealbild mit der realistischen Wahrnehmung von Beziehungen kollidiert.

Wir sprechen hierbei von einer psychischen Erkrankung, die im Jahr 1892 von dem Philosophen Jules de Gaultier erstbeschrieben wurde. Im entsprechenden Aufsatz, der auf dem Theaterstück Madame Bovary  basiert, verweist er auf die Figur der Protagonistin Emma Bovary als perfekter Stereotyp einer Person die an “chronischer affektiver Unzufriedenheit” leide.

Wer war Madame Bovary?

Emma Bovary ist eine literarische Figur, die 1857 von dem französischen Schriftsteller Gustave Flaubert geschaffen wurde. Das Werk Madame Bovary  erzählt von ihrer Hochzeit mit Charles Bovary, einem Arzt aus der Provinz, der sie sehr liebt, was sie jedoch nicht erwidert. Dies ist einer der Gründe, warum sie sich immer tiefer in die romantischen Romane jener Zeit verzieht, die sie seit ihrer Jugend begeistern.

Die ständige Suche nach solchen leidenschaftlichen und obsessiven Beziehungen, wie sie sie in ihren Büchern erlebt, provoziert in ihr einen Zustand schrecklicher und beständiger emotionaler Unzufriedenheit. Nach dem sie an einer Depression erkrankt, beschließt Charles, mit ihr in eine kleine Stadt zu ziehen, wo sie eine Reihe unterschiedlicher Menschen treffen können.

Emma lässt sich von zwei dieser Menschen verführen. Zuerst von einem jungen Studenten und dann von einem Casanova namens Rodolphe. In der Beziehung zu beiden ist sie extrem besitzergreifend, eifersüchtig und sehr abhängig. Der drohende Verzicht auf diese zwei Geliebte lässt sie schließlich Selbstmord begehen, in dem sie Arsen zu sich nimmt.

Madame Bovary verzichtet auf ihre Familie und ihre Rolle als Ehefrau, um die große Liebe zu finden – ein Verhalten, dass auch anderen literarischen Figuren zugeschrieben wird, beispielsweise Anna Karenina. Dies mag auf der einen Seite sehr egoistisch erscheinen, aber andererseits übt das Werk Kritik an der idealisierten Liebe. Emma ist so besessen davon, ihre Sehnsüchte zu befriedigen, dass es ihr egal ist, ihre Familie zu verschulden, ihre Tochter zu vernachlässigen oder die Menschen um sie herum zu verletzen.

“Vorsicht mit der Traurigkeit, sie ist ein Laster.”

Gustave Flaubert

Madame Bovary mit ihrem Liebhaber

Was sind die Symptome des Madame-Bovary-Syndroms?

1. Sucht nach Romantik

Menschen, die unter dem Madame-Bovary-Syndrom leiden, wissen nicht, wie man allein sein kann. Sie leben mit der Idee, dass ein idealer Geliebter kommen würde, der ihr Leben verändern und ihnen die Routine und ihre Probleme nehmen könnte. Wenn sie eine Beziehung beenden, beginnen sie bald darauf wieder eine neue. Ihr einziges Ziel besteht darin, eine Person zu finden, die so ist, wie sie in den romantischen Büchern, Serien oder Filmen beschrieben wird.

Jedes Mal, wenn sich ein Betroffener in jemanden verliebt, neigt er dazu, von dieser besessen zu werden. Sie beginnt, den anderen so sehr zu idealisieren, dass es unmöglich wird, seine Meinung über ihn zu verändern, auch wenn die betreffende Person gar nicht den Erwartungen entspricht.

2. Unmögliche Beziehungen

Aufgrund ihrer Unfähigkeit, eine echte Beziehung aufrechtzuerhalten, greifen diese Personen meist auf unmögliche Beziehungen zurück. Es kann sein, dass sie bereits einen Partner haben und mit einer anderen Person immer noch die Illusion der idealen Liebe verfolgen.

Dies führt oft zu Untreue, da diese Menschen nicht allein sein können und somit auch nur schwer eine Romanze beenden werden, wenn sie nicht schon ein weiteres Ass im Ärmel haben. Derart komplizierte Beziehungen bzw. Beziehungen mit leidenden Menschen erscheinen ihnen als besonders romantisch und leidenschaftlich.

3. Ständige Unzufriedenheit

Wenn eine Beziehung beginnt, entdecken sie zwangsläufig, dass ihr neuer Partner auch nur ein menschliches Wesen ist, das nicht perfekt ist und Fehler hat. Die Idealisierung kostet zunehmend Mühe und damit kommt es zur Frustration. Sie betrachten die auserwählte Person nicht mehr als angemessen und beginnen schnell, Symptome des Desinteresses zu zeigen.

Sie werden nie mit jemandem zufrieden sein, weil sie die Liebe jenseits der ersten Stufe des Verliebtseins nicht verstehen. Ihre Vision von Beziehungen ist voreingenommen und basiert auf Geschichten oder Charakteren, die niemals Ruhe, Probleme oder Monotonie erfahren haben.

4. Nachahmung der geliebten Person

Aufgrund der Obsession mit dem Partner fangen sie häufig an, seinen Geschmack, seine Hobbies, bis hin zu seiner Art des Denkens zu kopieren. Nachahmung entsteht auf der Basis übertriebener Bewunderung, die ein Betroffener für den Partner empfindet. Das Madame-Bovary-Syndrom provoziert aber gleichzeitig eine intensive Angst, dass verlassen zu werden. Dies kann eine extreme Reaktion auf Trennungen hervorrufen.

Szene aus dem Film "Madame Bovary"

Wen betrifft der Bovarismus?

Obwohl der Bovarismus zunächst vor allem bei Frauen beschrieben wurde, hat sich das Geschlechterverhältnis mittlerweile ausgeglichen. In der Vergangenheit waren die Männer meist auswärts, um zu arbeiten, während die Frauen zu Hause blieben und ihre Freizeit mit Aktivitäten wie dem Lesen verbrachten. Dies führte dazu, dass sie der Realität entfliehen konnten, hin zu Orten, an denen es keine alltäglichen Probleme gab.

Das Kardinalsymptom des Madame-Bovary-Syndroms ist die Melancholie. Menschen, die an diesem Syndrom leiden, hatten in der Kindheit oft Probleme mit dem Verlassenwerden oder mit emotionaler Entbehrung. So entwickelten sie ein verstärktes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit seitens des Partners, um diese Gefühle aus der Kindheit nicht wieder erleben zu müssen.

Menschen, die an dieser Krankheit leiden, können behandelt werden. Der erste Schritt zur Heilung ist die genaue Analyse des Falles sowie die Erstellung eines geeigneten Interventionsprotokolls. Dazu bedarf es eines Psychologen.

 


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