Warum mögen wir Geschichten mit Happy End?

Wir lieben Bücher und Filme, die glücklich enden, denn sie geben uns Hoffnung und wirken inspirierend.
Warum mögen wir Geschichten mit Happy End?
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 12. Oktober 2022

Wenn wir im Rückspiegel unsere Kindheit sehen, wird uns klar, dass die meisten Bücher und Filme mit einem Happy End endeten. Das Gute siegt, die Liebe setzt sich durch und gibt uns Hoffnung. Wir erwarten uns ein glückliches Ende und bleiben betrübt zurück, wenn es nicht eintrifft.

Vielleicht ist das der Grund, warum viele von uns Dornen im Herzen tragen: Wir hätten uns zum Beispiel Francesca (Meryl Streep) und Robert Kincaid (Clint Eastwood) in “Die Brücken am Fluss” ein gemeinsames, glückliches Leben gewünscht.

Und wir hätten uns auch gewünscht, in “Titanic” die Hochzeit von Rose (Kate Winslet) mit Jack (Leonardo DiCaprio) zu sehen. Warum die Zuschauer mit solch tragischen Enden leiden lassen? Das Gleiche gilt für Bücher. Jane Austen und Charles Dickens wussten sehr genau, dass ihre Leserschaft ein Lächeln am Ende des Buches zu schätzen wusste.

Schließlich ist die reale Welt kompliziert genug und manchmal sogar tragisch. In gewisser Weise sind Literatur und Film der tägliche Zufluchtsort, der uns in andere Welten führt und Hoffnung gibt, dass das Gute am Ende doch alle Hindernisse überwindet und triumphiert.

Traurige Enden haben eine Besonderheit: Sie konfrontieren uns mit den bittersten Realitäten des Lebens.

Warum mögen wir Geschichten mit Happy End?
Bei Liebesgeschichten ist das Happy End besonders wichtig.

Happy End oder Tragödie?

Auch Werke mit tragischem Ende können großen Erfolg erzielen. Denken wir beispielsweise an “Anna Karenina” oder den Film “Love Story”. Wären sie ohne das endlose Tränenmeer am Ende auch so mitreißend und erfolgreich gewesen?

Wenn wir uns jedoch der realen Welt zuwenden, noch konkreter unserem eigenen Leben, wollen wir Geschichten mit Happy End. Im Urlaub willst du bis zur letzten Sekunde Glück und Freude genießen und wenn das Flugzeug auf der Heimreise fünf Stunden Verspätung hat, ist das Erlebnis schon nicht mehr perfekt. Auch wenn davor alles perfekt war, bleibt der letzte Eindruck am stärksten in Erinnerung und der war getrübt. Möchtest du erfahren, was sich hinter dieser verzerrten Wahrnehmung versteckt? Dann lies weiter!

“Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende” ist ein Satz, der seit unserer Kindheit in uns nachhallt. Vielleicht erwarten wir uns deshalb immer ein Happy End?

Die Amygdala will ein Happy End

Im Jahr 2020 haben sich die Forscher Martin Vestergaard und Wolfram Schultz, Neurowissenschaftler an der Universität Cambridge, mit der Frage auseinandergesetzt, die uns heute beschäftigt. Es scheint, dass der Auslöser in einer ganz bestimmten Region des Gehirns liegt.

Die Arbeit, die im Journal of Neuroscience veröffentlicht wurde, zeigt, dass die Amygdala allen unseren Erfahrungen eine bestimmte emotionale Wertigkeit verleiht. Das Bemerkenswerte ist, dass diese kleine Struktur die Realität als Ganzes verarbeitet.

Mit anderen Worten: Wenn du lernst, Fahrrad zu fahren und nach 20 Metern stürzt, bewertet die Amygdala diese Erfahrung als negativ. Du spürst den Stachel der Frustration. Es spielt dabei keine Rolle, dass du die 20 Meter vor dem Sturz geschafft hast. Für die Amygdala verändert ein negatives Ende die Gesamtsicht auf das gesamte Erlebnis.

Wir erwarten, dass etwas Positives passiert

Wenn wir eine Serie oder einen Film sehen oder ein Buch lesen, wünschen wir uns, vorherzusehen, was passieren könnte. Wir lieben es, trotz aller Widrigkeiten ein Happy End vorauszusehen. Genau das haben die Verhaltensökonomen George Loewenstein und Drazen Prelec 1993 nachgewiesen.

In ihrer Forschungsarbeit erklären sie, dass wir Geschichten mit Happy End mögen, weil sie uns ein gewisses Gefühl der Kontrolle über die Realität vermitteln. Wir bevorzugen immer Erfahrungen, die uns gute Laune schenken und lehnen jene ab, die uns traurig stimmen. Das heißt, wir wollen, dass jedes Ereignis ein optimales Ende findet. Nur dann haben sich die Anstrengung, die Investition und das Leid gelohnt. Wenn etwas im letzten Moment scheitert, entstehen Angst, Frustration und Unmut.

Geschichten mit Happy End geben uns Hoffnung

Hätte J.K. Rowling entschieden, Harry Potter im letzten Buch sterben zu lassen, wären mehrere Generationen traumatisiert. Vielleicht hätten sie die Schriftstellerin sogar zur Rede gestellt. Das hat Conan Doyle erlebt, als er beschloss, Sherlock Holmes während eines Kampfes mit Professor Moriarty an den Reichenbachfällen in der Schweiz sterben zu lassen. Seine Leser bedrohten ihn sogar wegen seiner Dreistigkeit.

Menschen brauchen Geschichten mit Happy End, weil sie unser Gefühl der Hoffnung stärken. Wir sind mit der Welt versöhnt und alles scheint mehr Sinn zu ergeben, wenn die Helden triumphieren. Wenn unsere Lieblingscharaktere dem Bösen die Stirn bieten, können wir das auch. Was könnte inspirierender sein?

Denk darüber nach: Was würde passieren, wenn die meisten Bücher und Filme negativ enden würden? Dies wäre sicherlich keine angenehme, beruhigende oder inspirierende Erfahrung.

Frau liebt Bücher mit Happy End
Auch Geschichten mit traurigem Ende sind notwendig: Sie fordern unseren Verstand heraus und laden zum Nachdenken ein.

Schlussbemerkung: Auch traurige Geschichten sind notwendig

Jane Austen war die absolute Königin in der Kunst der Geschichten mit Happy End. Sie endeten fast immer mit einer Ehe. Sie selbst hat jedoch nie geheiratet und ist früh gestorben. Das Leben lehrt uns oft, dass nicht alles gut ausgeht und dass die Tragik im realen Leben immer vorhanden ist.

Traurige Enden sind auch notwendig, denn sie sind oft eine echte Herausforderung für den Geist. Das passiert, wenn wir Bücher wie “Sturmhöhe” von Emily Brontë lesen oder Filme wie “Million Dollar Baby” sehen. Nicht jede Liebe endet gut. Nicht alle Erfolge führen zum Glück. Wir müssen manchmal vom Fahrrad fallen, um zu lernen, darüber hinwegzukommen und das Gleichgewicht besser zu halten.


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