Warum manche Menschen Befriedigung im Schmerz empfinden

Wenn wir wissen, dass der Schmerz sicher und unter unserer Kontrolle ist, kann er angenehm sein. Wir erklären die zugrunde liegenden Mechanismen.
Warum manche Menschen Befriedigung im Schmerz empfinden
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 15. November 2021

Es gibt Menschen, die Befriedigung im Schmerz empfinden. Manche Personen treiben Sport bis zur Erschöpfung, tätowieren oder piercen sich an unerwarteten Körperstellen, andere wiederum praktizieren Sadomsochismus, Dominanz und Submission. Warum genießen sie Aktivitäten, die ihnen auf die eine oder andere Weise Schmerzen zufügen?

Die Tatsache ist überraschend. Denn wenn in unserem täglichen Leben versuchen wir normalerweise, Leid und Schmerz zu verhindern. Unser Gehirn ist darauf programmiert, uns vor Risiken zu warnen und uns zu zwingen, sie zu vermeiden.

Wenn wir laufen gehen und merken, dass unser Knie nicht reagiert, ist die häufigste Reaktion, aufzuhören. Wenn ein Essen besonders scharf ist, neigen wir dazu, unseren Konsum zu mäßigen. Es gibt aber auch Wasabi-Süchtige und Meisterschaften, bei denen es darum geht, wer die meisten scharfen Chilis auf einmal verzehren kann.

Ein weiteres Beispiel dafür sind die jährlichen Ironman-Triathlon-Wettbewerbe, bei denen die Teilnehmer ihre Ausdauer unter extrem harten Bedingungen bis an die Grenzen bringen. Es ist, als ob die Menschen manchmal nicht zwischen Schmerz und Vergnügen unterscheiden können. Warum ist das so?

Jeder von uns hat schon einmal Freude in schmerzhaften Situationen erlebt. Ein Beispiel dafür ist der Endorphinrausch nach langer sportlicher Aktivität. 

Warum manche Menschen Befriedigung im Schmerz empfinden

Befriedigung im Schmerz: Warum ist das so?

Es gibt Menschen, die Schmerzen genießen und die ohne den Cocktail aus Neurotransmittern, der durch dieses Gefühlskarussell erzeugt wird, nicht leben könnten. Ein Beispiel dafür ist das “Runner’s High”. In diesen Fällen genießen die Athleten einen Endorphin- und Serotoninkick nach langem aeroben Training. Wir können das verstehen.

Was vielen jedoch seltsam erscheinen mag, ist, dass der Verzehr von scharfem Essen (für manche Menschen) das gleiche Gefühl wie Sex, Sport oder Drogen auslöst. Dieser neurochemische Rausch wird auf eine Art und Weise erlebt, die einer Ekstase gleicht, jedoch süchtig macht.

Die Ergebnisse einer Forschungsstudie mehrerer Universitäten sind ebenfalls erstaunlich: Schmerz wirkt unter bestimmten Umständen wie ein Verstärker für positive Gefühle. Er hilft uns, mit der Welt in Kontakt zu treten.

Schmerz und Freude sind zwei Seiten einer Medaille

Warum kann Schmerz befriedigen oder Genuss erzeugen? Die Ohio State University untersuchte die Auswirkungen von Paracetamol, einem viel verwendeten Schmerzmittel. Die Studie fand heraus, dass häufige Konsumenten nicht auf positive Erfahrungen reagieren. Sie fühlen sich wie betäubt. Dies bewies einmal mehr, was Experten bereits wussten: Oft verstärken bestimmte Schmerzerfahrungen die Gefühle des Wohlbefindens im Nachhinein.

Das passiert zum Beispiel bei der Euphorie des Läufers. Es ist auch das, was wir nach einem intensiven Nachmittag im Fitnessstudio fühlen. Auf die Frage, warum manche Menschen Schmerzen genießen, gibt es verschiedene Antworten:

  • Nach einer Schmerzerfahrung aktiviert sich oft das Belohnungssystem des Gehirns. Ironman-Triathlon-Wettkämpfe können dem menschlichen Körper sehr viel abverlangen. Aber am Ende fühlen die Teilnehmer den Endorphin- und Serotoninkick.
  • Schmerz verwandelt sich in Freude und kann kontrolliert werden. Wenn wir wissen, woher der Schmerz kommt, kümmert er uns nicht. Wir können ihn abstellen, wann immer wir wollen. Genau das passiert bei Sadomasochismus und Unterwerfung. Die Teilnehmenden einigen sich darauf, was zu tun ist und wie weit sie gehen wollen.

Schmerz als Lernmechanismus

Es gibt Menschen, die Schmerzen genießen, was sie jedoch nicht zu Masochisten macht. Schmerz ist der beste Lernmechanismus. Wir wissen zum Beispiel, wie man das Tablett aus dem Ofen nimmt, ohne sich zu verbrennen, weil wir das nach ein paar unangenehmen Erfahrungen gelernt haben.

Kinder entdecken auch durch Ausprobieren und schmerzhafte Erfahrungen wie Stürze, wie sie sich bewegen und mit der Welt interagieren können. Im Grunde genommen ist Schmerz eine multidimensionale psychophysische Realität, die notwendig ist und viele Vorteile hat.

Befriedigung im Schmerz

Eine Art, das Leben zu fühlen

Es ist zwar erstaunlich, dass manche Menschen Befriedigung im Schmerz empfinden, doch wir alle haben bereits ähnliche Situationen erlebt. Nach einer langen Wanderung fühlst du dich erschöpft und vielleicht schmerzen deine Beine, doch du fühlst dich wohl und genießt den Abend bei einem Bier oder gönnst dir ein Eis. Solche Befriedigungen sind normalerweise ein intensiver Genuss. Dadurch entstehen auch ausgeprägte Erinnerungen.

Auch bei Angst oder Furcht ist dieser der Fall, etwa bei einer Prüfung, einem Arzttermin oder einer Präsentation. Du gönnst dir danach eine Stärkung, nimmst dir einen freien Abend oder kaufst dir zur Belohnung etwas. Du lebst intensiver, wenn sich Leid und Freud abwechseln. Das Leben wäre ohne Schmerz nicht möglich, deshalb ist es gar nicht so erstaunlich, dass manche Befriedigung im Schmerz empfinden.


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