Warum ist Erfahrung nicht immer der beste Lehrer?

Erfahrung ist ein großer Vorteil, aber sie ist nicht die Antwort auf jedes Problem. Manchmal kann der Einfallsreichtum des Anfängers oder der Person, die die Realität mit einem offenen, innovativen und flexiblen Geist betrachtet, einen größeren Vorteil bringen.
Warum ist Erfahrung nicht immer der beste Lehrer?
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 18. Oktober 2022

Bei Problemen wenden wir uns gerne an kompetente Experten, die auch Erfahrungen mit sich bringen. Aber Erfahrung ist nicht immer der beste Lehrer, außerdem ist sie nicht unbedingt fehlerfrei. In der Psychologie ist bekannt, dass Fachwissen oder Kompetenz in jedem Bereich des Lebens mehrere Dimensionen erfordert.

Wenn es zum Beispiel darum geht, ein Problem zu lösen, ist Erfahrung immer vorteilhaft – das stimmt; aber auch kognitive Flexibilität, das Wissen, wie man sich an veränderte Situationen anpasst, ist wichtig. Du musst in der Lage sein, nachzudenken, anstatt aus einem Impuls heraus oder aufgrund von Vorurteilen zu handeln. Eine weitere Tatsache ist, dass das Sammeln von Erfahrungen und Anekdoten noch keinen Meister macht.

Erfahrung kommt nur durch Reflexion und eine angemessene Selbstprüfung. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass der Verstand gelegentlich bequem wird und annimmt, dass er schon alles weiß, nur weil wir seit vielen Jahren in einem Beruf tätig sind oder ein bestimmtes Alter erreicht haben.

Nicht diejenigen, die das meiste Wissen angesammelt haben, sind geschickter, sondern jene Personen, die effektiver auf Schwierigkeiten reagieren und die Fähigkeiten, welche sie haben, besser nutzen.

Ein aktiver, neugieriger und ständig lernender Geist ist für jede Herausforderung bereit.

Mann mit Erfahrung
Gute oder schlechte Erfahrungen sind nur dann nützlich, wenn wir über sie nachdenken und uns erlauben, etwas zu lernen.

Erfahrung ist nicht immer der beste Lehrer

Es gibt Bereiche, in denen Erfahrungen besonders wertvoll und vorteilhaft sind. Beispiele dafür sind der Gesundheitssektor und der Sicherheitsbereich. Ärzte, Polizisten und Sicherheitskräfte nehmen in ihrem Arbeitsalltag oft schnelle Einschätzungen vor. Sie beobachten, analysieren und handeln, indem sie eine Diagnose stellen oder entscheiden, ob sie Maßnahmen ergreifen oder nicht.

An der Arizona State University entdeckte etwa ein Forschungsteam einen Aspekt, den es in einer späteren Studie zur Analyse verwendete: Bei verschiedenen Tests von forensischen Experten zur Identifizierung von Fingerabdrücken wurde festgestellt, dass diese manchmal Fehler machen. Vor Gericht ist das besonders schwerwiegend.

Das gilt auch für den Gesundheitssektor. Eine Studie der Universität Tokio befasste sich mit den Fehlern, die Radiologen unabhängig von ihrer Erfahrung manchmal begehen. Diese Beweise haben die Neugierde der wissenschaftlichen Gemeinschaft geweckt. Es stimmt zwar, dass sich die Leistung mit der Zeit verbessert, aber wir müssen auch bedenken, dass Erfahrung nicht immer der beste Lehrer ist. Warum ist das so?

Der Prävalenz-Effekt, ein kognitiver Fehler

Der Prävalenz-Effekt zeigt uns, dass Erfahrung manchmal eher eine Belastung als ein Vorteil sein kann. Wenn wir zum Beispiel in unserem täglichen Leben immer die gleichen Aufgaben erledigen, gewöhnen wir uns daran, dass bestimmte Ereignisse immer zu den gleichen Ergebnissen führen. Wir gehen davon aus, dass bestimmte Ursachen und Wirkungen unveränderlich sind, und das veranlasst uns zur Automatisierung unserer Arbeit.

Jedes Szenario ist jedoch von Feinheiten, unvorhergesehenen Ereignissen und sogar Chaos geprägt. Der Prävalenz-Effekt führt dazu, dass wir unreflektiert handeln und uns nur auf vergangene Erfahrungen stützen. Der Geist wird starrer und Wissbegierde, Aufmerksamkeit sowie Neugierde nehmen ab. Das kann dazu führen, dass wir Fehler machen.

Niemand, auch nicht die gelehrteste und weiseste Person, ist vor Fehlern gefeit. Wir alle können jedoch unsere Leistung optimieren, indem wir uns auf kontinuierliches Lernen, Flexibilität und Neugierde konzentrieren.

Frau weiß: Erfahrung ist wichtig, doch macht noch keinen Meister
Erfahrung macht uns nicht unbedingt kompetenter als andere Menschen. Intellektuelle Bescheidenheit ist ebenfalls ein grundlegender Schlüssel.

Welche Eigenschaften haben wahre Experten?

Weder die Führungskraft mit der größten Erfahrung im Teammanagement noch der Experte mit den meisten Abschlüssen und Doktortiteln sind vor Fehlern gefeit. Wenn diese Fachleute sich jedoch irren, denken sie über ihre Fehler nach. Wie konnte das nur passieren? Es ist, als ob die bloße Erfahrung sie unverwundbar, unempfindlich gegen Fehler macht, was jedoch nicht der Fall ist.

Weisheit geht immer mit intellektueller Bescheidenheit einher, und zusammen mit dieser muss eine Reihe psychologischer Dimensionen kombiniert werden, um der gesammelten Erfahrung mehr Wert und Wirksamkeit zu verleihen. Das ist, wie wir bereits festgestellt haben, ein Vorteil, aber nicht die Antwort auf alle Herausforderungen und Umstände. Schauen wir uns nun die Bereiche an, die wir alle entwickeln sollten.

1. Selbstreflexion und die Bereitschaft zu spekulieren

Selbstreflexion ist die Fähigkeit, überlegter zu handeln und nicht von Impulsivität oder automatischem Verhalten beherrscht zu werden. Diese Eigenschaft hilft der Person auch dabei, das Leben als einen kontinuierlichen Lernprozess zu verstehen, in dem diese für alle Reize empfänglich ist, ohne jeden Umstand als selbstverständlich anzusehen. Durch Spekulationen können wir Informationen besser verarbeiten, Hypothesen aufstellen und diese gründlich analysieren.

2. Der flexible Geist, die beste Kompetenz

Menschen mit einer flexiblen Einstellung kommen besser mit Veränderungen zurecht, tolerieren Fehler und sind auf ständiges Lernen und Entdecken ausgerichtet. Wer glaubt, dass Erfahrung die Antwort auf alles geben kann, bedient sich eines unflexiblen Geistes, der nicht in der Lage ist, die Nuancen jedes Ereignisses, die Komplexität jedes Umstands zu erkennen.

3. Erfahrung ist nicht immer der beste Lehrer, vermeide schnelle Urteile

Das vielleicht größte Problem der Erfahrung sind zu schnelle Urteile. Wir sind uns dessen nicht bewusst, aber wenn wir uns als Experten auf einem Gebiet betrachten, handeln wir automatisch und haben viele Vorurteile. Darauf hat uns der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman hingewiesen. Schnelles Denken führt zu absoluten statt zu relativen Urteilen.

Wir sollten unser Denken schulen, indem wir unsere Schlussfolgerungen verlangsamen. Lasst uns aufmerksamer, geduldiger und neugieriger sein und unseren Blickwinkel erweitern, anstatt anzunehmen, dass wir alles wissen. Das Leben überrascht uns immer wieder und kann uns unvorbereitet treffen.


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