Studie: Schlafentzug verringert die Empathie

Was passiert, wenn wir nicht genug Schlaf bekommen, und wie wirkt sich Schlafmangel auf unser Einfühlungsvermögen aus? Eine aktuelle Studie der University of California liefert einige sehr interessante Daten zur Beantwortung dieser Fragen.
Studie: Schlafentzug verringert die Empathie
Sergio De Dios González

Geprüft und freigegeben von dem Psychologen Sergio De Dios González.

Geschrieben von Redaktionsteam

Letzte Aktualisierung: 30. September 2022

Schlafentzug hat erhebliche Auswirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit, wie die meisten von uns wissen. Neue Forschungen haben nun gezeigt, dass dieser Mangel an Ruhe auch eine bisher ungeahnte Folge hat: vermindertes Einfühlungsvermögen.

Science hat relevante Daten zu den Auswirkungen von Schlafentzug gesammelt. Es ist bekannt, dass dieser Zustand die Konzentration eines Neuromodulators namens Adenosin erhöht. Dies verstärkt das Gefühl der Müdigkeit und führt zu einer Verringerung der kognitiven Fähigkeiten. Tests haben sogar gezeigt, dass Menschen, die nicht genug schlafen, so reagieren, als hätten sie einen Blutalkoholspiegel von 0,6 Gramm pro Liter Blut.

Es ist auch bekannt, dass manche Menschen weniger unter den Auswirkungen von Schlafmangel leiden, während andere nach einer schlechten Nacht sehr deutliche negative Auswirkungen experimentieren. Die neue Studie zeigt, dass es auch sichtbare Veränderungen im Sozialverhalten gibt, wenn die Menschen nicht genügend Ruhe bekommen.

“Es scheint, dass Schlaf eine Art Schmiermittel für prosoziales, empathisches, freundliches und großzügiges menschliches Verhalten ist.”

Matthew Walker

Schlafentzug verringert die Empathie
Schlafmangel hat körperliche und psychische Folgen.

Die Studie über Schlafentzug

Die Forschung über die Auswirkungen von Schlafentzug wurde 2022 von der Universität Kalifornien in Berkeley, USA, unter der Leitung von Dr. Eti Ben Simon und Dr. Matthe Walker durchgeführt und in der Zeitschrift PLoS Biology veröffentlicht.

Die Forscher führten drei Experimente durch. Im ersten Fall wurden 24 Freiwillige rekrutiert. Sie alle erklärten sich bereit, sich nach acht Stunden Schlaf und nach einer schlaflosen Nacht einer MRT-Untersuchung zu unterziehen.

Das Forscherteam stellte fest, dass sich eine erholsame oder eine schlaflose Nacht deutlich auf jene Gehirnnetzwerke, die mit Empathie in Verbindung stehen, auswirkt. Der Forschungsleiter Eti Ben Simon erklärt: “Das Netzwerk war deutlich beeinträchtigt, so als ob diese Teile des Gehirns nicht reagieren, wenn wir nach Schlafmangel versuchen, mit anderen Menschen zu interagieren.”

Ein neues Experiment

Nach dem ersten Experiment plante das Wissenschaftlerteam einen weiteren Test. Dafür wurden 136 Freiwillige, Männer und Frauen, rekrutiert. Alle wurden gebeten, vier Tage lang ein Schlaftagebuch zu führen. Außerdem mussten sie am Morgen einen Fragebogen beantworten.

Der Test beinhaltete Fragen zu ihrer Bereitschaft, sich mit anderen solidarisch zu zeigen, unter anderem: “Würdest du einer Frau helfen, die schwere Einkaufstaschen trägt?”,  “Würdest du einen Kollegen nach Hause fahren, der den Bus verpasst hat?

Die Ergebnisse zeigten, dass die Bereitschaft, anderen zu helfen, bei weniger Schlaf geringer war. Die Resultate beider Experimente stimmten also in diesem Punkt überein: Schlafmangel verringert den Wunsch, anderen zu helfen, und sogar die emotionale Fähigkeit, dies zu tun.

Hilfe ist nach Schlafentzug weniger wahrscheinlich
Schlafmangel verringert den Wunsch, anderen zu helfen.

Das dritte Experiment

Um die bisher gewonnenen Daten zu untermauern, führten die Forscher ein drittes Experiment durch. Sie werteten eine Datenbank mit mehr als drei Millionen Spenden für wohltätige Zwecke in den Vereinigten Staaten zwischen 2001 und 2016 aus, um zu untersuchten, ob die Umstellung der Sommerzeit die Großzügigkeit der Menschen beeinflusst.

Bei der Umstellung von der Winter- auf die Sommerzeit verlieren wir eine Stunde Schlaf. Die Wissenschaftler wollten herausfinden, ob es einen Zusammenhang zwischen der verkürzten Schlafzeit und den Spendenbeträgen gibt. Auch hier bestätigten die Daten ihre Hypothese: Der einstündige Schlafverlust führte dazu, dass die Menschen im Durchschnitt 10 % weniger spendeten.

Die Forscher fanden außerdem heraus, dass es in Ländern ohne Zeitumstellung keine Veränderungen gab. Auch bei der Umstellung von der Sommerzeit auf die Winterzeit, die eine Stunde mehr Schlaf ermöglicht, beobachteten sie keine Abweichungen. 

Weitere Studien sind nötig, um herauszufinden, warum dieses Phänomen auftritt und ob die umgekehrte Situation – also mehr Schlaf als gewohnt – den gegenteiligen Effekt bewirkt. Die Schlussfolgerung ist auf jeden Fall, dass Schlafentzug, auch wenn er noch so gering ist, das soziale Verhalten der Menschen verändert.


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  • Ben Simon E, Vallat R, Rossi A, Walker MP (2022). Sleep loss leads to the withdrawal of human helping across individuals, groups, and large-scale societies. PLoS Biol 20(8): e3001733. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3001733
  • Pascual, R. J. S. (2004). Hipocretinas y adenosina en la regulación del sueño. Revista de neurología39(4), 354-358.

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