Sag mir, was du glaubst, und ich sag dir, wo du falschliegst

Sag mir, was du glaubst, und ich sag dir, wo du falschliegst

Letzte Aktualisierung: 26. März 2017

Wir haben alle schon einmal den gängigen Spruch gehört: “Sag mir, was du glaubst und ich sag dir, wo du falsch liegst.”  Hierbei geht es um Reaktionsbildung. Ein Mensch heftet sich selbst eine bestimmte Tugend an die Brust. Aber es dauert nicht lange und er zeigt ein Verhalten, das widersprüchlich zu dem ist, was er predigt. Er betreibt Eigenreklame für Charakterzüge oder Eigenschaften, die er sich selbst verliehen hat.

Natürlich gilt diese Logik nicht immer, wenn eine Person voller Stolz berichtet, was sie ausmacht oder was sie getan hat. Es muss etwas dabei geben, das sie verrät. Die Tatsache, dass an ihrer Haltung etwas “zu viel” ist. Sie betont diesen Charakterzug sehr stark und viel zu oft. Sie trägt ihn ganz ostentativ vor sich her. Und sie übertreibt damit ganz offensichtlich.

“Jeder Mensch hat einen dreigeteilten Charakter: einen, den er wirklich hat,
einen, den er der Welt zeigt, und einen, von dem er glaubt, dass er ihn hat.”

Tatsächlich ist jemand, der sich dieses Mechanismus bedient, sich dessen nicht wirklich bewusst. Ganz im Gegenteil. Er denkt sogar, dass er als Rollenmodell und Werbeträger für gewisse Ideen oder Werte auf einem echten Kreuzzug ist. Tief im Innern will er nicht die anderen davon zu überzeugen, dass alles wahr ist. Sich selbst will er davon überzeugen. Er tritt seine Beweisführung an und untermauert seine Predigt dabei unablässig mit konkreten Handlungen und Argumenten.

Du glaubst vorrangig das, was du sein willst, nicht was du bist

Wer zum Beispiel den großen Redner gibt, aber nicht tut, was er sagt, ist eigentlich in einem Verteidigungsmechanismus verhaftet. Dieser Mechanismus ist als “Reaktionsbildung” bekannt. Man zeigt ein gewisses Verhalten, um einen unterdrückten Wunsch zu verbergen. Anders ausgedrückt: Jemand hat ein Verlangen nach etwas, was seiner eigenen Einschätzung nach als verwerflich gilt. Um sich gegen diesen unbewussten Impuls zu wehren, zwingt er sich dazu, genau das Gegenteil zu tun.

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Dafür gibt es unzählige Beispiele. Menschen, die gern essen würden, bis sie platzen, aber denken, dass ihr Wunsch oder ihr Verlangen unappetitlich ist. Sie könnten ja fett werden und von der Gesellschaft abgelehnt werden. Also befürworten sie fanatisch Diäten und finden Junkfood widerlich. Oder Menschen, die sehr intensive sexuelle Neigungen haben, sie aber als Sünde bewerten. Sie führen dann einen Kreuzzug im Namen von Abstinenz und Keuschheit.

Es finden sich häufiger Menschen, die die Aufmerksamkeit derer auf sich ziehen wollen, die Hass oder Verachtung äußern. Diese lügen ja nicht absichtlich oder geben bestimmte Dinge vor. Sie sind einfach nicht in der Lage, ihre eigenen Gefühle zu erkennen. Sie haben sich ja selbst eine moralische Zensur auferlegt.

Reaktionsbildung kann auf spezifische Dinge wie Ordnung oder Hygiene gerichtet sein. Sie kann aber auch zum Verhaltensmuster werden, das ein Teil der Persönlichkeitsstruktur wird. In diesem Fall ergibt sich eine Art von falscher Persönlichkeit. Praktisch alle Handlungen zielen dann darauf ab, die Maske aufrechtzuerhalten. Das sind dann diejenigen, die vorgeben, jemand zu sein, der sie nicht sind.

Du nimmst gewisse Dinge zu Deiner Verteidigung an

Was dem Ausdruck eines Wunsches im Wege steht, ist eine starre moralische Überzeugung. Oder ein Auftrag von außen, den man Angst hat zu brechen. So glaubst du jemand zu sein, der du nicht bist. Du machst das natürlich nicht mit Absicht. Woran kannst du aber erkennen, dass du es mit einer Reaktionsbildung zu tun hast? Beobachte, wie betont oder übertrieben deine Worte oder Handlungen geworden sind. Dein “Nein” ist zu schroff. Dein “Ja” ist übertrieben. Hinweise also darauf, dass es ein verstecktes Verlangen gibt, das dich in die Gegenrichtung lotst.

Soziale Netzwerken liefern gegenwärtig den lebendigen Beweis für diese Mechanismen. Manchmal sieht es geradezu so aus, als ob sie darauf ausgelegt worden wären. Dass Menschen dort beweisen können, dass sie etwas sind, was sie sehr wahrscheinlich nicht sind. Sie posten Fotos, die sie mit einem Lächeln im Gesicht zeigen, obwohl sie nicht so glücklich sind. Ihre Leserschaft stellt sich etwas unter ihren Reisen, ihren neuen Jobs und ihren Eroberungen vor. Aber vielleicht gibt es in dir eine Unsicherheit anderen gegenüber, wenn du sie als Publikum brauchst.

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Reaktionsbildungen können zu einer zwanghaften Persönlichkeit führen. Du gibst vor, jemand zu sein, der du eigentlich nicht bist. Und um diesen Selbstbetrug aufrechtzuerhalten, musst du stets wachsam sein. Du musst dich selbst ständig beobachten und beweisen, dass du jedes Verdachts erhaben bist. Die Situation kann ziemlich kräfteraubend sein. Das unterdrückte Verlangen wird nämlich immer wieder aufblitzen. Und du fühlst dich davon wie belagert.

Deine unbewussten Wünsche zwanghaft unter Kontrolle zu halten, kann dich vielleicht auch zutiefst quälen. Eine große innere Anspannung kann sich aufbauen: zwischen dem, was sich “nach oben” kämpfen will und der gewaltigen Anstrengung, es “unten zu halten”.

Unter diesen Umständen kann dir die Kraft ausgehen. Und es ist möglich, dass du zwanghafte Verhaltensweisen entwickelst. Daher denke daran, dass deine Wünsche, egal wie sie aussehen, nur dann harmlos sind, wenn du zu ihnen stehst. Dann kannst du bewusst entscheiden, ob du sie auslebst oder nicht.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.