Radikaler Empirismus und die Abwesenheit des Selbst bei Hume

Wir identifizieren uns oft mit unseren Gedanken, Ideen und Gefühlen, aber machen diese unser Selbst aus? Hume bietet eine Perspektive, die unsere konventionellen Überzeugungen infrage stellt.
Radikaler Empirismus und die Abwesenheit des Selbst bei Hume
Matias Rizzuto

Geschrieben und geprüft von dem Philosophen Matias Rizzuto.

Letzte Aktualisierung: 09. November 2023

Die Theorien des schottischen Philosophen David Hume (1711-1776) hatten einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung der modernen Wissenschaft und Philosophie, insbesondere seine Ideen über die Abwesenheit des Selbst. Um seinen Ansatz richtig zu verstehen, muss man seine Erkenntnistheorie kennen. Seine Konfrontation mit den in seiner Zeit vorherrschenden Denkmustern gibt uns ebenfalls einen Schlüssel zum Verständnis der Bedeutung seiner Theorie.

Radikaler Empirismus und die Abwesenheit des Selbst bei Hume
Der philosophische Ansatz von Hume stellt Überzeugungen über uns selbst infrage.

Humes radikaler Empirismus

Der Empirismus geht davon aus, dass alles menschliche Wissen auf Erfahrungen gründet. Diese Strömung ist deshalb ein Vorläufer der modernen Naturwissenschaften. Auch Hume vertrat diese Ansicht: Unsere Wahrnehmungen setzen sich aus unseren Sinneserfahrungen zusammen, die uns verlässliche Informationen liefern.

Wie Francis Bacon und John Locke vertrat David Hume den radikalen Empirismus, der keine anderen intellektuellen Erkenntnisse zulässt, die nicht auf Sinneserfahrungen aufbauen. Die Grundlage der empirischen Wissenschaften sind nachprüfbare Tatsachen.

Während Descartes, dessen Einfluss im 18. Jahrhundert sehr stark war, den Sinnen misstraut und unter anderem darauf hinweist, wie anfällig unsere Augen für Illusionen sind, schätzt Hume die sinnliche Erfahrung als einzige Erkenntnisquelle. 

Eindrücke und Ideen

Der Empirismus unterscheidet grundsätzlich Eindrücke und Ideen:

  • Eindrücke sind Sinneswahrnehmungen (Sehen, Hören, Tasten, Riechen und Schmecken), sowie Körperwahrnehmungen (Hunger, Durst usw.) und Emotionen (Liebe, Hass, Stolz usw.). Sie sind intensiv und lebendig.
  • Ideen hingegen repräsentieren diese Eindrücke anhand von Gedanken, Erinnerungen und Überzeugungen. Es handelt sich also um die Abbildungen der Eindrücke, die schwächer und weniger lebendig sind.

Stell dir vor, du betrachtest eine Landschaft: Du siehst jedes Detail und verschaffst dir einen Eindruck. Danach schließt du die Augen und versuchst, dir diese Landschaft vorzustellen. Jetzt sind nicht mehr alle Details vorhanden und nach einiger Zeit hast du nur noch eine vage Erinnerung an die Landschaft.

Wir können jedoch auch Ideen generieren, die nicht auf einen konkreten Eindruck aufbauen, zum Beispiel ein Fabelwesen. Wenn einer Idee kein Eindruck zugrunde liegt, handelt es sich jedoch nur um eine Fiktion, eine Einbildung.

“Keine Zufälligkeit irgendwo im Universum, keine Gleichgültigkeit, keine Freiheit. Während wir handeln, wird gleichzeitig an uns gehandelt.”

David Hume

Empirismus, Sinneseindrücke und Hume
Der Empirismus geht davon aus, dass alles menschliche Wissen auf Erfahrungen gründet.

Hume und die Herkunft unserer Sinneswahrnehmung

Descartes beschreibt drei Möglichkeiten für die Herkunft unserer Sinneswahrnehmung: Gott, Geist und Welt. Hume widerspricht jedoch dieser Auffassung:

Existiert Gott?

In seiner Erkenntnistheorie geht Hume davon aus, dass wir mindestens einen vernünftigen Eindruck benötigen, um eine gültige Idee zu entwickeln. Wir haben von Gott nur eine Vorstellung, jedoch keinen Sinneseindruck, deshalb handelt es sich um Fiktion und Einbildung. Es ist nicht möglich, die Existenz eines Gottes zu beweisen. Dieses Argument hat auch ethische Konsequenzen: Hume schlägt Gläubigen unter anderem vor, anderen Religionen gegenüber offener und toleranter zu sein.

Der Geist und die Abwesenheit des Selbst

Hume versteht den Geist als eine Ansammlung an Perzeptionen. Die unendliche Abfolge dieser Eindrücke und Ideen bilden das Selbst: Wir entwickeln ein Bild, eine Idee von uns selbst und erleben Empfindungen wie Schmerz, Freude, Stolz oder Leidenschaft. Das Selbst ist jedoch eine Idee, kein konstanter oder unveränderlicher Sinneseindruck. Da es keine Substanz ohne Kontinuität geben kann, lässt sich nur die Abfolge der Eindrücke und Vorstellungen empirisch nachweisen, jedoch nicht das Selbst.

Für Hume ist “[das Selbst]eine Ansammlung verschiedener Perzeptionen, die mit unvorstellbarer Schnelligkeit aufeinanderfolgen und in ständigem Fluss und Bewegung sind”.

Das Selbst als leeres Theater

Hume verwendet die Metapher eines Theaters, um die Dynamik des Selbst zu veranschaulichen. In diesem Theater treten verschiedene Schauspieler (die verschiedenen Wahrnehmungen) nacheinander auf und stellen eine Vielzahl von Szenen, Haltungen und Beziehungen dar. Allerdings, so Hume, sollte uns der Vergleich mit dem Theater nicht täuschen, denn “wir haben nicht die geringste Ahnung von dem Ort, an dem diese Szenen aufgeführt werden, oder von den Materialien, aus denen sie bestehen”.

Was wir als Selbst bezeichnen, ist für Hume eine Assoziation, die von unserer Vorstellungskraft auf der Grundlage einer Vielfalt von wechselnden Eindrücken gebildet wird, die keine eindeutige Identität besitzen. Die Annahme dieser Schlussfolgerung hat einen sehr starken Einfluss darauf, wie wir uns selbst und andere wahrnehmen.

Hume und Empirismus
Hume vergleicht das Selbst mit einem leeren Theater.

Konsequenzen der Abwesenheit des Selbst

Die Annahme, dass unsere persönliche Identität eine Fiktion ist, kann einen sehr starken Einfluss auf unsere Überzeugungen haben. Wenn es kein reales Selbst gibt, verändert sich die Art und Weise, wie wir unsere Persönlichkeit identifizieren.

Die Vorstellung, dass wir nicht als Individualität existieren, kann zwar beunruhigend sein, aber auch befreiend wirken. Einige haben Humes Theorie mit dem buddhistischen Vorschlag der Abwesenheit des Selbst in Verbindung gebracht. Der schottische Philosoph stellt seine Erkenntnisse jedoch nicht als einen Weg zur Befreiung dar, sondern als eine Tatsache, die wir berücksichtigen müssen, um den Weg der Erkenntnis vorsichtig zu beschreiten.


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