Psychologische Veränderungen in den verschiedenen Lebensphasen

Weißt du, zu welchem Zeitpunkt Kinder Vorstellungen von Moral entwickeln und welche Krisen im Erwachsenenalter auftreten? Im folgenden Artikel beantworten wir diese Fragen und mehr.
Psychologische Veränderungen in den verschiedenen Lebensphasen
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 25. August 2023

In den verschiedenen Lebensphasen verändert sich unsere Psyche, was sich unter anderem auf unsere Sprache, unsere Denkmuster und die Entwicklung unserer Identität auswirkt. Psychologische Veränderungen und Entwicklungssprünge können bemerkenswerte Herausforderungen oder Chancen darstellen.

Das Wissen über die psychologischen Veränderungen hilft dir, diese besser zu bewältigen und zu nutzen, oder sie bei anderen – zum Beispiel bei deinen Kindern – zu fördern. Möchtest du mehr über dieses spannende Thema erfahren?

“Je mehr du dich selbst kennst, desto mehr Geduld hast du für das, was du in anderen siehst.”

Erik H. Erikson (Der vollständige Lebenszyklus¹)

Psychologische Veränderungen in der Kindheit

Erik H. Erikson war einer der ersten Psychoanalytiker, der ein psychosoziales Entwicklungsmodell ausarbeitete, um die therapeutischen Maßnahmen zu verbessern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in der Kindheit auftretende psychologische Veränderungen besonders prägend sind. Deshalb ist diese Entwicklungsphase auch für Forscher:innen und Therapeut:innen von großem Interesse, denn das frühzeitige Eingreifen ermöglicht die optimale Entwicklung eines Kindes.

Die Veränderungen in der Kindheit werden durch biologische und umweltbedingte Faktoren beeinflusst. 

Frühe Kindheit (bis ca. 2 Jahre)

Die frühe Kindheit ist ein Zeitraum von zwei Jahren, von der Geburt bis zur Entwicklung der Kommunikationsfähigkeiten. Um diese entscheidende Phase zu verstehen, sind die Werke von Jean Piaget² (Child Psychology, 1920) und John Bowlby³ (The Affective Bond, 1969) sehr hilfreich.

  • Sensomotorische Entwicklung: Babys erkunden ihre Realität durch ihre Sinne, Bewegungen und durch visuelle Muster. Schon bald lernen sie, die Gesichter ihrer ersten Bezugspersonen zu erkennen. In den ersten 18 Monaten integrieren sie eine Vielzahl von Wahrnehmungsfähigkeiten, die ihnen helfen, Formen, Tiefen, Entfernungen usw. zu erkennen.
  • Bindung: Die Bindung zu den Bezugspersonen ist eine der wichtigsten sozial-affektiven Erfahrungen für die menschliche Entwicklung. Babys entwickeln die Fähigkeit, emotionale Bindungen mit anderen einzugehen, immer in Abhängigkeit davon, wie ihre Eltern mit ihnen umgehen. Eine sichere Bindung sorgt für ihr sozio-emotionales Gleichgewicht.
  • Affektive Zustände: In diesen 24 Monaten äußern sie grundlegende Emotionen wie Freude, Ekel, Angst, Traurigkeit, Wut usw. Das soziale Lächeln zeigt sich auch in der Interaktion mit der Umwelt.

Vorschulalter (3-6 Jahre)

Psychologische Veränderungen, die Kinder im Säuglingsalter durchlaufen, sind für ihre spätere Entwicklung entscheidend. Die Zeitschrift Cureus veröffentlichte Forschungsergebnisse, die betonen, dass die ersten 1.000 Tage im Leben eines Kindes grundlegend für seine neurologische Reife sind. In dieser Phase integrieren Kindern folgende wesentlichen Fähigkeiten:

  • Sprachentwicklung: Kinder entwickeln allmählich ihre Kommunikationsfähigkeiten durch kurze Sätze, die im Laufe der Jahre immer flüssiger werden. Die Interaktion und die Stimulation der Umwelt erleichtern diesen Prozess, sodass sie auch beginnen, ihre Gedanken und Emotionen auf komplexere Weise auszudrücken.
  • Symbolisches Spiel: In dieser Phase beginnen Kinder, ihre Vorstellungskraft spielerisch einzusetzen, um fiktive Situationen nachzustellen. So können sie ihr abstraktes Denken weiterentwickeln.
  • Soziale Entwicklung: Im Alter zwischen 3 und 6 Jahren gehen sie oft in den Kindergarten und haben dort Kontakt zu Gleichaltrigen. Diese Gelegenheit, mit anderen Kindern zu interagieren, ermöglicht es ihnen, wichtige soziale Fähigkeiten wie Teilen und Kooperation zu erwerben.

Schulalter (7-11 Jahre)

Die Zeit vor der Pubertät ist für die soziale und moralische Entwicklung von Bedeutung. Neben Jean Piaget, der es uns ermöglicht hat, die wichtigsten kognitiven Meilensteine zu verstehen, hat Lawrence Kohlberg aufgezeigt, wie Kinder Werte und ethische Grundsätze integrieren. Sein Buch Die Psychologie der Moralentwicklung⁴ ist in diesem Bereich eine Referenz.

  • Kognitive Entwicklung: Im Alter zwischen 7 und 11 Jahren erwerben Kinder komplexere Denkfähigkeiten. Ein Beispiel dafür ist die Fähigkeit, logisch zu denken und Probleme systematisch zu lösen. In diesem Sinne sind die Erziehung und das soziale Umfeld wichtig, um diese Meilensteine besser zu integrieren.
  • Autonomiefähigkeit: In dieser Phase entwickelt sich ein immer deutlicheres Gefühl der Unabhängigkeit. Die Kinder treffen selbst Entscheidungen in Bereichen wie Schule und persönliche Interessen.
  • Moralische Entwicklung: Während Kinder vor dieser Phase eher egozentrisch waren, erwerben sie ab diesem Zeitpunkt stärkere moralische und ethische Grundsätze, da sie die sozialen Normen ihrer Umgebung integrieren.

Psychologische Veränderungen in der Adoleszenz

Psychologische Veränderungen werden in der Adoleszenz besonders deutlich, da sich in dieser Zeit die Persönlichkeit und die Identität formen. Das Gehirn reift jedoch erst nach dem 20. Lebensjahr aus und der Körper wird von verschiedenen Hormonprozessen beherrscht.

Ein Artikel in Frontiers in Psychologie betont, dass in dieser Lebensphase Stress und Verwirrung dominieren, denn die Jugendlichen sind keine Kinder mehr, jedoch auch noch keine Erwachsenen. Schauen wir uns an, was diese Phase kennzeichnet:

  • Emotionale Veränderungen: Die emotionalen Schwankungen in dieser Zeit werden durch Hormone und Veränderungen im Gehirn vermittelt.
  • Abstraktes Denken: Jugendliche entwickeln die Fähigkeit, abstrakter und reflektierter zu denken und sich mit Konzepten wie Moral, Politik und Philosophie usw. auseinanderzusetzen.
  • Identitätsentwicklung: Die Adoleszenz umfasst eine Reihe von Jahren großer Entdeckungen, in denen Jugendliche ihre Wesensart, ihre persönliche und sexuelle Identität und ihr Selbstverständnis erforschen und entwickeln; auch ihre Werte, Leidenschaften und Ziele im Leben.

Psychologische Veränderungen im Erwachsenenalter

Die psychologische Entwicklung endet nicht mit dem Erwachsenenalter. Das ganze Leben besteht aus Veränderungen. Das liegt daran, dass wir in einer komplexen und veränderlichen Umgebung leben: Wir müssen uns konstant an Herausforderungen, Widrigkeiten und neue Erfahrungen anpassen. Hinzu kommen biologische Veränderungen wie die Wechseljahre oder das Älterwerden. Schauen wir uns diese Zeitspanne genauer an.

Frühes Erwachsensein (20-40 Jahre)

  • Berufliche Entwicklung: Wenn es einen kritischen und entscheidenden Zeitraum gibt, der dein Leben lenkt und ihm Stabilität verleiht, dann ist es die Zeit zwischen 20 und 40. In dieser Phase kannst du deine Karriere entwickeln und beruflichen und finanziellen Erfolg erzielen.
  • Beziehungen und Familiengründung: In diesen Jahren reifen die Menschen im Bereich ihrer sexuellen und emotionalen Beziehungen. Die meisten Menschen konsolidieren ihr soziales und emotionales Leben allmählich, sie gründen eine Familie und bauen ein Unterstützungsnetzwerk auf.
  • Integration von Identität und Persönlichkeit: In diesen Jahrzehnten festigst du deine Identität und versuchst, dein Leben nach deinen besonderen Interessen zu gestalten. De Vries et al. (2021) weisen darauf hin, dass die Persönlichkeit zwar noch reift, aber in dieser Phase in der Regel eine größere Extrovertiertheit, Freundlichkeit und soziale Reife zu beobachten ist.

Mittlere Reife (40-60 Jahre)

Es gibt einen interessanten Aspekt bei den psychologischen Veränderungen, die in jedem Lebensabschnitt auftreten. Im mittleren Alter kommt es häufig zu Lebenskrisen, die mit bestimmten Übergängen im Zusammenhang stehen: leeres Nest, Menopause usw. Aber das ist ein breiter Zeitraum und nicht jeder erlebt ihn auf die gleiche Weise.

Ein in American Psychologist veröffentlichter Artikel weist darauf hin, dass es in dieser entscheidenden Phase darum geht, Gewinne und Verluste auszugleichen und frühere und spätere Lebenszyklen miteinander zu verbinden, um voranzukommen. Wir erklären die komplexen Zusammenhänge, welche diese Lebensphase prägen:

  • Lebensumstellungen und Resilienz: Eine interessante psychologische Realität ist, dass viele Menschen in den 40er- und 50er-Jahren ihr Leben und ihre Ziele völlig neu gestalten und dabei einen flexibleren und widerstandsfähigeren mentalen Ansatz wählen.
  • Midlife-Crisis: Manche Menschen erleben eine Identitätskrise oder stellen ihre Lebensentscheidungen infrage. Das passiert, wenn sie mit Erfahrungen wie dem Verlust des Arbeitsplatzes, emotionalen Trennungen, dem Eintritt in den Ruhestand, den Wechseljahren oder der schlichten Erkenntnis, dass die Zeit vergeht, konfrontiert werden.
  • Beziehungsanpassungen: Ein weiteres häufiges Phänomen betrifft die Familien- und Partnerbeziehungen. Die Bindung kann sich ändern und einer festeren und reiferen Zuneigung weichen. Oder sie gehen in eine sogenannte graue Scheidung über. Auch das leere Nest tritt führt zu Veränderungen und erfordert eine Neuformulierung der Beziehung zu den Kindern, wenn diese erwachsen und unabhängig werden.

Fortgeschrittenes Erwachsensein (ab 65)

  • Existenzielle Überlegungen: Männer und Frauen über 65 treten in eine Phase ein, in der es üblich ist, über ihre Leistungen und Lebenserfahrungen nachzudenken. Es ist eine Zeit, in der sie auch über das Erbe nachdenken, das sie künftigen Generationen hinterlassen werden.
  • Kognitive Veränderungen: Das Gehirn zeigt einen fortschreitenden Rückgang, der in den 30er-Jahren beginnt und sich nach dem 65. Lebensjahr intensiviert. Wenn die Person jedoch über eine gute kognitive Reserve verfügt, neugierig bleibt, neues lernt und gute soziale Beziehungen pflegt, ist dieser Verlust an Fähigkeiten nicht so ausgeprägt.
  • Psychische Gesundheit: Das psychische Wohlbefinden kann bei älteren Erwachsenen nachlassen. Einsamkeit ist ein wichtiger Faktor für das Auftreten von Krankheiten wie Depressionen. Auch das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen ist erhöht. Viele Menschen leben diese Zeit jedoch erfüllt und glücklich.
  • Ruhestand und Anpassung: Dieser Zyklus ist voller psychologischer Herausforderungen und jeder Mensch verarbeitet ihn anders. Ein Artikel in der Zeitschrift The Journals of Gerontology macht deutlich, dass alles von den psychosozialen Arbeitsbedingungen und dem sozialen Umfeld der Person abhängt. Es ist wichtig, sich an die neue Routine anzupassen und nach anderen Bedeutungen und Zielen zu suchen.

Psychologische Veränderungen sind ein bereichernder Lernprozess

Der Lebensweg wird von biologischen, sozialen, umweltbedingten und neurologischen Faktoren bestimmt. All diese Variablen wirken sich auf den psychologischen Bereich aus und umgekehrt. Die meisten Veränderungen sind normal und entsprechen der jeweiligen Lebensphase.

Wenn wir die Veränderungen, die uns erwarten, kennen, können wir uns besser darauf vorbereiten. Du kannst deine außergewöhnlichen Fähigkeiten entwickeln und ein erfülltes Leben führen, wenn du dich an die natürliche Entwicklung anpasst und diesen Lernprozess förderst und genießt.

▶ Lese-Tipp

  1. Der vollständige Lebenszyklus, Erik H. Erikson, Suhrkamp 1988
  2. Piagets Theorie der geistigen Entwicklung, Herbert Ginsburg, Sylvia Opper, Klett Cotta 2004
  3. Bindung als sichere Basis: Grundlagen und Anwendung der Bindungstheorie, John Bowlby, Ernst Reinhardt Verlag 2021
  4. Die Psychologie der Moralentwicklung, Wolfgang Althof (Hrsg.), Lawrence Kohlberg, Suhrkamp 1996

Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.


  • Bowlby, J. (2014). Vínculos afectivos. Morata.
  • Brizio, A., Gabbatore, I., Tirassa, M., & Bosco, F. M. (2015). «No more a child, not yet an adult»: studying social cognition in adolescence. Frontiers in Psychology6, 1011. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyg.2015.01011/full
  • De Vries, J. H., Spengler, M., Frintrup, A., & Mussel, P. (2021). Personality development in emerging adulthood-how the perception of life events and mindset affect personality trait change. Frontiers in Psychology12, 671421. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyg.2021.671421/full
  • Erikson, E. (2000). El ciclo vital completado. Paidós
  • Infurna, F. J., Gerstorf, D., & Lachman, M. E. (2020). Midlife in the 2020s: Opportunities and challenges. The American Psychologist75(4), 470-485. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7347230/
  • Kiesow, H., Uddin, L. Q., Bernhardt, B. C., Kable, J., & Bzdok, D. (2021). Dissecting the midlife crisis: disentangling social, personality and demographic determinants in social brain anatomy. Communications Biology4(1), 728. https://www.nature.com/articles/s42003-021-02206-x
  • Knight, Z. G. (2017). A proposed model of psychodynamic psychotherapy linked to Erik Erikson’s eight stages of psychosocial development. Clinical Psychology & Psychotherapy24(5), 1047-1058. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28124459/
  • Kohlberg, L. (1981) Psicología moral. Debate.
  • Lahdenperä, M., Virtanen, M., Myllyntausta, S., Pentti, J., Vahtera, J., & Stenholm, S. (2022). Psychological distress during the retirement transition and the role of psychosocial working conditions and social living environment. The Journals of Gerontology. Series B, Psychological Sciences and Social Sciences77(1), 135-148. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8755891/
  • Likhar, A., Baghel, P., & Patil, M. (2022). Early childhood development and social determinants. Cureus14(9), e29500. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9596089/
  • Piaget, J. (2013) Psicología del niño. Paidós

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