Opponent-Process-Theorie: Warum das Glück nicht ewig währt

Emotionen treten dieser Theorie zufolge in Gegensatzpaaren auf, um ein emotionales Gleichgewicht herzustellen. Traurigkeit kann deshalb durch positive Emotionen aufgelöst werden, doch das bedeutet auch, dass Glück nicht ewig währt, denn es wird durch gegensätzliche Emotionen eingeschränkt.
Opponent-Process-Theorie: Warum das Glück nicht ewig währt
Elena Sanz

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Elena Sanz.

Letzte Aktualisierung: 03. November 2023

Die Opponent-Process-Theorie geht davon aus, dass viele emotionale Reaktionen eine spätere gegensätzliche Reaktion bewirken. Wenn sich der Stimulus wiederholt, wird die erste Reaktion schwächer, die Nachreaktion hingegen stärker. Ein klassisches Beispiel ist die Angst vor dem Fallschirmspringen, die danach durch Euphorie abgelöst wird.

Emotionen treten dieser Theorie zufolge in Gegensatzpaaren auf, um ein emotionales Gleichgewicht herzustellen. Traurigkeit kann deshalb durch positive Emotionen aufgelöst werden, doch das bedeutet auch, dass Glück nicht ewig währt, denn es wird durch gegensätzliche Emotionen eingeschränkt. Wir sehen uns anschließend diese Theorie etwas genauer an.

Die Opponent-Process-Theorie: Was ist das?

Die Psychologen Richard Solomon und John D. Corbit entwickelten die Opponent-Process-Theorie im Jahr 1978. Sie stützten sich dabei auf die Gegenfarbtheorie von Ewald Hering: Wenn du lange auf eine Farbfläche schaust (z. B. Rot) und danach deinen Blick auf eine helle, neutrale Fläche richtest, nimmst du die gegenteilige Farbe wahr (das Nachbild wäre in diesem Fall Grün).

Solomon und Corbit übertrugen die Gegenfarbtheorie auf den Bereich der Emotionen: Auf jede Emotion folgt eine entgegengesetzte Reaktion. Wenn du Freude oder Glück empfindest, führen unsere ausgleichenden Mechanismen schließlich zu Unmut. Bei Angst oder Traurigkeit hingegen aktiviert unser Gehirn gegenläufige Prozesse, um unser emotionales Gleichgewicht wieder herzustellen.

Die wichtigsten Prinzipien der Opponent-Process-Theorie

  • Die Reaktion auf Reize folgt einem biphasischen Muster. Das heißt, dass in einer ersten Phase eine bestimmte Emotion (A) auftritt, die uns aus der Neutralität herausführt und intensiver wird. In einer zweiten Phase hingegen tritt eine entgegengesetzte Emotion (B) auf.
  • Die erste Emotion verliert allmählich an Stärke, während wir dem Reiz ausgesetzt sind.
  • Die entgegengesetzte Emotion nimmt in demselben Maße zu, wie die erste abnimmt, wirkt ihr entgegen und bringt uns wieder ins Gleichgewicht.
  • Sobald der Reiz, der die Reaktion ausgelöst hat, nicht mehr vorhanden ist, verschwindet die erste Emotion. Die zweite bleibt jedoch noch einige Zeit bestehen, bevor sie sich neutralisiert. Experten sprechen hier von einer affektiven Nachreaktion.

Negative und positive Emotionen regulieren sich gegenseitig, was sehr wichtig ist: Es handelt sich um kurze Signale, die uns auf bestimmte Ereignisse hinweisen, danach jedoch ihre Funktion verlieren. Sobald sie uns ihre Botschaft übermittelt haben, benötigen wir sie nicht mehr. Intensiver Stress kann in einer bedrohlichen Situation Leben retten, wird er jedoch chronisch, zerstört er unsere Gesundheit.

Die Opponent-Process-Theorie im Alltag

Wir können diese Theorie in vielen alltäglichen Situationen beobachten. Wenn du dir einen Horrorfilm anschaust oder dich auf der Achterbahn vergnügst, erlebst du gegensätzliche Emotionen auf die anfängliche Angst. Ähnlich ist es nach einer langen Partynacht, auf der du Euphorie und Enthemmung experimentierst: Am nächsten Morgen fühlst du dich apathisch oder auch depressiv. Und du kennst sicher auch das Post-Holidy-Syndrom: Kehrst du nach dem Urlaub wieder zum Alltag zurück, empfindest du Leere oder Traurigkeit.

Manche Menschen erleben dieses Stimmungstief auch nach dem Sex: Der Hormonrausch endet mit Betrübtheit und einer unerklärlichen Traurigkeit. In diesem Fall sprechen Fachkräfte von einer postkoitalen Dysphorie.

Beobachte die Opponent-Process-Theorie selbst in deinem Alltag, du wirst sehen, dass sie immer wieder präsent ist. Weitere Beispiele für dieses Phänomen sind folgende:

Suchtverhalten

Ein Artikel der Zeitschrift Iztacala Electronic Journal of Psychology argumentiert, dass diese Theorie Phänomene wie Toleranz und Abstinenz erklären kann. Die konsumierte Substanz löste ein angenehmes Gefühl aus: Freude, Enthemmung, Euphorie… Doch je häufiger dies der Fall ist, desto stärker wird die Gegenreaktion: Die positive Wirkung nimmt ab, die negative wird intensiver und dauert länger.

In diesem Zusammenhang ist ein in der Zeitschrift Current Directions in Psychological Science veröffentlichten Artikel interessant, der darauf hinweist, dass die Gegenreaktion bei Süchten auch durch das Umfeld aktiviert wird, in dem die Person Substanzen konsumiert. Erstaunlich ist, dass die gegenteilige Reaktion in dieser Umgebung auch durch Placebos ausgelöst werden kann. In einem anderen Umfeld ist die Intensität jedoch geringer, so wie beim ersten Konsum.

Risikosport

Wenn wir die anfängliche Angst überwinden, empfinden wir bei riskanten Sportarten Euphorie und Vergnügen, die uns dazu drängen, weitere, noch gefährlichere Situationen zu erleben. Wir können buchstäblich beobachten, wie Nervosität und Angst durch ein unvergleichliches Hochgefühl ersetzt wird. Ein Beispiel dafür ist das Fallschirmspringen.

Trauerprozess

Die Opponent-Process-Theorie gibt uns auch Erklärungen für den Trauerprozess nach dem Verlust eines geliebten Menschen. Die Gedanken an die geliebte Person erzeugen positive und angenehme Emotionen, wir fühlen jedoch Leere und Traurigkeit, da sie nicht mehr da ist. Je länger und tiefer die Beziehung zu dieser Person, desto stärker und länger dauert der Schmerz.

Die Opponent-Process-Theorie für emotionales Gleichgewicht

Die Opponent-Process-Theorie hilft uns, unsere Emotionen besser zu verstehen und unser Gleichgewicht wieder herzustellen. Sie gibt uns in schwierigen Situationen auch Hoffnung, denn wir wissen, dass das Leben nicht linear verläuft und nach traurigen Erlebnissen immer wieder Freude und Glücksmomente auf uns warten.


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