Niemand kann unsere Erwartungen zu 100% erfüllen, aber das macht nichts

Niemand kann unsere Erwartungen zu 100% erfüllen, aber das macht nichts

Letzte Aktualisierung: 03. Juni 2017

Wir Menschen müssen mit einer Vielzahl an Widersprüchen fertig werden. An einem einzigen Tag können wir in unseren Beziehungen zu unseren Mitmenschen unzählige Emotionen erleben. Uns kann alles extrem lächerlich, absurd und inkohärent oder unglaublich anregend erscheinen, was uns auf kognitiver und emotionaler Ebene beeinflusst. Dass Widersprüche einzig und allein im Zusammenhang mit unserer Umwelt stehen, stimmt so aber auch nicht. Sogar wenn wir uns isolieren oder versuchen, an irgendeinem Ort der Erde abzuschalten, um einmal alles zu vergessen, sind wir von Widersprüchen umgeben. Dennoch wollen wir uns heute darauf konzentrieren, wie Widersprüche, Erwartungen und Gesellschaft zusammenpassen.

Wenn wir das zuvor Genannte noch einmal aufgreifen, ist der berühmte Satz von Sigmund Freud wieder einmal sehr passend: „Die Neurose beschreibt die Unfähigkeit, die Unklarheiten zu ertragen.“  Diese Beobachtung lässt darauf schließen, dass die Realität mit ihren zahllosen widersprüchlichen Elementen schwierig zu ertragen ist, die Fähigkeit, dies zu akzeptieren und zu tolerieren allerdings von unserer psychischen Gesundheit abhängt. Schauen wir uns im weiteren Verlauf dieses Artikels an, wie uns das gelingen kann.

Von ständiger Unklarheit in zwischenmenschlichen Beziehungen

Eines schönen Tages führst du ein Gespräch mit einer alten Schulfreundin. Du freust dich, wieder einmal mit ihr sprechen zu können und ihr scheint sofort wieder auf einer Wellenlänge zu liegen. Aber das scheint nur zu Beginn so, denn plötzlich teilt sie dir eine unerwartete Meinung in Bezug auf das Thema Flüchtlinge mit. Du möchtest dich sofort von diesem deiner Meinung nach unglücklichen Kommentar distanzieren und siehst sie nun gezwungenermaßen in einem anderen Licht. Doch dieser Kommentar hat dich aufgewühlt und dir bleibt nichts anderes übrig, als dich damit abzufinden.

Auf der anderen Seite hast du jemanden kennengelernt. Dieser Mann scheint ähnliche Werte zu vertreten wie du. Ihr teilt dieselben Ideologien, doch wenn ihr euch trefft, seid ihr weit davon entfernt, auf einer Wellenlänge zu schwimmen. Ein Schweigen löst das andere ab, lange Blickwechsel führen zu einem unangenehmen Gefühl und die Zeit schleicht nur so dahin. Auf intellektueller und virtueller Ebene schien die Beziehung wesentlich interessanter zu sein. Dieser Wandel ändert allerdings auch nichts daran, dass er für dich eine Schwäche hat. Dieselbe Hartnäckigkeit und Überzeugung, die für dich aus der Ferne aufregend war, ist nun plötzlich zu etwas Unschönem geworden.

Du bist in beiden Fällen das Opfer deiner Erwartungen geworden.

Erwartungen: der Beginn unserer Enttäuschungen

Wir stecken in einem ständigen Widerspruch zwischen dem, was wir von anderen denken und erwarten, dass passiert, und dem, was letztendlich im Bezug auf diese Personen geschieht. Wir erschaffen immer wieder Erwartungen, die aber und abermals erschüttert werden, was uns missfällt.

Es scheint so, als sei die Neurose eine unvermeidbare Folge bei so viel Unklarheit. Wenn einfach nichts passt, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns unsere Gedanken dazu zu machen. Wir stellen uns dann folgende Fragen: Wieso sollte jemand unsere Erwartungen erfüllen? Kann es uns unserem Glück näherbringen, wenn wir unsere Haltung im Hinblick auf andere etwas lockern? Ist die moralische Relativität der Beginn fehlender Prinzipien oder ist sie genau das Gegenteil, nämlich der erste Schritt hin zu einem angenehmeren Leben?

Fragen über Fragen, um aus der mentalen Komplexität ein einfacheres Verhalten zu machen: unseren kognitiven Frust gegen eine wahre zwischenmenschliche Verpflichtung, einen sozialen Aktionismus oder menschliche Zusammenarbeit einzutauschen. Du kannst nicht die ganze Welt kontrollieren, aber wenn du jemandem in der Not hilfst, kann das auch für dich gewinnbringend sein und du kannst ein Stückchen von der besten Seite dieses Menschen zu deinem eigenen werden lassen. Es geht doch darum, dass wir von jedem etwas lernen können und jeder seine guten Seiten hat.

Der Ursprung unserer Neurose respektiert Veränderungen und persönliche Unterschiede

Dass wir nicht darauf vorbereitet sind, Unterschiedlichkeiten zu akzeptieren, hat mit einer auf Angst beruhenden Erziehung, Zensuren und dem endlosen Regeln zu tun, um ein soziales Chaos zu vermeiden. Wir maximieren die Ressourcen der Erziehung, um Katastrophen vorzubeugen, nicht um Paradiese zu erschaffen, in denen es normal wäre, in Ruhe zu leben und in denen wir Zuflucht finden könnten, falls sich tatsächlich eine Katastrophe ereignete.

Daher vermeiden und zensieren wir das, was uns an anderen nicht passt. Auf diese Weise versuchen wir, uns zu beschützen und zu definieren. Letztendlich erreichen wir dadurch aber nur, dass wir isoliert, deprimiert und frustriert leben. Wir werden zu verbitterten Wesen und machen anderen das Leben schwer. Manchmal enden unsere großen Prinzipien mit einem Verhalten, das wir jeden Tag aufs Neue zeigen und das sehr zu wünschen übrig lässt.

Wir wollen das Gesamtpaket, aber andere zu akzeptieren ist es, was uns den Frieden bringt

Wir wollen das Gesamtpaket und möchten, dass ein Mensch perfekt ist, aber wenn wir das tatsächlich in jemandem finden, fällt uns auf, dass das nicht unsere „Probleme“ löst. Jemandem, der uns zusagt, einen Raum zu geben, ist aufregend, bereichernd und die Grundlage dessen, was die Welt ausmacht: die Unterschiedlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes.

Die Vielfältigkeit zu akzeptieren muss nicht heißen, dass wir aufhören, zu sein, wer wir sind und unsere Werte zu vertreten. Um einer Neurose zu entkommen, müssen wir uns über bestimmte Dinge klar werden:

  • An gewisse Prinzipien zu glauben, muss nicht bedeuten, andere schlecht behandeln zu müssen. Dass wir in Bezug auf einen Menschen mehrere Male unterschiedlicher Meinung sind, erlaubt uns nicht, gewisse Regeln der Grunderziehung zu missachten. Wenn uns jemand beleidigt oder verachtet, müssen wir nicht auf die gleiche Weise handeln. In diesen Fällen die Distanz zu bewahren, ist nicht nur angebracht, sondern vor allem weise.
  • Jedes Mal, wenn du dich vom Unbehagen, ausgelöst durch missbilligende Kommentare, herunterziehen lässt, nimmst du allem, wofür du eine Leidenschaft hast, und jedem Menschen, der dir in diesem Moment deines Lebens ein gutes Gefühl gibt, den Raum.
  • Entdecke neue Wege der Verständigung mit den Menschen, die zwar andere Ansichten haben, die für dich aber tragbar sind. Niemand entdeckt neue Wege, wenn er immer wieder dieselben Pfade beschreitet.

Zu guter Letzt solltest du noch darüber nachdenken, ob es angebracht ist, eine ungefähre Skala davon im Kopf zu haben, was wir auf gar keinen Fall tolerieren und was wir gerade noch so durchgehen lassen können. Wenn jemand ein Tier misshandelt, können wir ihn nicht in das gleiche Raster einordnen wie jemanden, der schlecht über uns gesprochen hat. Besser ist es also, zu verinnerlichen, dass es einen Unterschied zwischen dem gibt, was für uns untragbar ist und was uns stört. Bei Ersterem kann uns die Intoleranz helfen, bei Letzterem nicht.

Wogegen du dich sträubst, verfolgt dich, und
was du akzeptierst, verändert dich

Viele Menschen, die sich in Therapie begeben,
möchten ihrem ständigen Unwohlsein… >>> Mehr


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.