Nichtsuizidale Selbstverletzung: Jugendliche mit gebrochener Seele

Immer mehr Jugendliche fügen sich selbst körperliche Schmerzen zu, um ihr seelisches Leid zu ertragen. Erfahre mehr über dieses Thema.
Nichtsuizidale Selbstverletzung: Jugendliche mit gebrochener Seele
Gorka Jiménez Pajares

Geschrieben und geprüft von dem Psychologen Gorka Jiménez Pajares.

Letzte Aktualisierung: 08. April 2024

Immer mehr Jugendliche verletzen sich selbst, um mit den Widrigkeiten des Lebens fertig zu werden. Durch Schnitte, Kratzer, Verbrennungen oder andere Methoden fügen sie sich physischen Schmerz zu und versuchen so, ihren Kummer zu lindern. Experten sprechen von nichtsuizidaler Selbstverletzung (NSSV), ein komplexes Verhalten, das nicht ausreichend erforscht ist. Leere, Entfremdung oder Einsamkeit sind häufige Auslöser: Betroffene versuchen damit, ihre schmerzhaften Erfahrungen, schwierige Gefühle oder herausfordernde Situationen zu betäuben.

“Die Narben, die man nicht sehen kann, tun am meisten weh.”

Michelle Hodkin

Ein gefährliches Rettungsboot

Aufgrund der steigenden Zahl von Fällen, wird Selbstverletzung als globales Problem der öffentlichen Gesundheit betrachtet (Zaragozano, 2017). Zu den häufigsten Arten gehören Schnitte und Wunden auf der Haut, Verbrennungen, Haareausreißen, Kratzen oder die Einnahme von giftigen Substanzen.

Manchmal steht selbstverletzendes Verhalten im Zusammenhang mit klar definierten klinischen Erkrankungen wie Depression, Magersucht oder Borderline-Persönlichkeitsstörung. In anderen Fällen tritt das selbstverletzende Verhalten jedoch ohne offensichtliche klinische Ursache auf. Besonders gefährdet sind ältere Jugendliche (zwischen 17 und 19), vorwiegend Mädchen.

“Während Schnittverletzungen bei Frauen überwiegen, sind selbst zugefügte Verbrennungen bei Männern häufiger.”

J. Fleta Zaragozano

Selbstverletzung soll emotionales Leid lindern
Hautverletzungen, Kratzer und Verbrennungen gehören zu den häufigsten Selbstverletzungen.

Was sind die Beweggründe für Selbstverletzung?

Wie anfangs bereits erwähnt, machen Betroffene durch das selbstverletzende Verhalten auf ihren seelischen Schmerz aufmerksam. Selbstverletzung könnte also als “nonverbale Ausdrucksform des Leidens” bezeichnet werden (Zaragozano, 2017). Folgende Auslöser sind häufig:

  • Fehlende soziale Unterstützung durch Familie oder Freunde: “Wenn du mich verlässt, werde ich mich selbst verletzen.” Dieser Prozess ist oft unbewusst und verbirgt Vernachlässigung oder eine unsichere Bindung.
  • Selbstbestrafung: “Ich verdiene es nicht, eine so fürsorgliche Familie zu haben, ich bin eine schlechte Tochter.” Dysfunktionale Gedanken, Schuldgefühle oder Selbsthass sind häufige Auslöser.
  • Emotionales Leid, Leere und Einsamkeit: Betroffene finden keinen anderen Weg, mit ihrem Kummer, ihrer Leere oder Einsamkeit umzugehen. Deshalb fügen sie sich selbst Verletzungen zu, um “realen Schmerz” zu erleben, der das Seelenleid übertrifft. Sie füllen die Leere mit Schmerz.
  • Kindheitstraumata: Vielfach verstecken sich hinter dem selbstverletzenden Verhalten traumatische Erfahrungen wie Missbrauch oder Gewalt.

Die meisten Menschen, die sich selbst verletzen, denken nicht an Suizid. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass Suizidgedanken und -versuche bei selbstverletzenden Jugendlichen häufiger sind als in der Vergleichsgruppe. 

Selbstverletzendes Verhalten stellt ein Ventil dar, um belastende Situationen besser zu ertragen. Manche greifen zu Alkohol oder Drogen, andere entwickeln Essstörungen oder eine Videospielsucht. Viele junge Menschen sehen in der Selbstverletzung einen Ausweg, um ihre Probleme zu bewältigen.

Jede Selbstverletzung ist aus klinischer Sicht von Bedeutung. In diesem Sinne sollten selbstverletzende Verhaltensweisen sehr ruhig und überlegt betrachtet werden, unabhängig von der Motivation, die dahintersteckt. Die Grenze zwischen parasuizidalem Verhalten und Suizidgedanken ist schmal und kann in einer Tragödie enden.

“Es fühlt sich an, als hätte ich über nichts Kontrolle, aber ich habe die Kontrolle über meinen Körper.”

Karen Carpenter

Familientherapie bei Selbstverletzung
Die Unterstützung der Familie ist grundlegend, um Konflikte zu lösen und selbstverletzenden Menschen zu helfen.

Selbstverletzung: Behandlungsmöglichkeiten

Eine frühe Behandlung ist entscheidend, um ernste Konsequenzen zu verhindern und Betroffenen zu helfen. Folgende Therapieformen kommen häufig zum Einsatz (Zaragozano, 2017):

  • Problembasierte Interventionen helfen Betroffenen, Konflikte zu lösen. Sie werden geschult, um Probleme zu erkennen, zu beschreiben, Lösungen zu entwickeln, diese umzusetzen und ihre Auswirkungen zu bewerten.
  • Die kognitive Verhaltenstherapie hilft Betroffenen, ihre Wahrnehmung zu verändern und gesündere Verhaltensmuster zu entwickeln, die zu ihrem Wohlbefinden beitragen.
  • Das Training sozialer Kompetenzen zielt darauf ab, die Art und Weise zu verändern, mit der Jugendliche mit ihrer Umwelt in Beziehung treten. Das Ziel ist, effektiv und selbstbewusst zu kommunizieren, anstatt sich selbst zu verletzen.
  • Eine Familientherapie kann ebenfalls sehr vorteilhaft sein. Damit können innerfamiliäre Konflikte gelöst und die Kommunikation verbessert werden.

Selbstverletzung: Hilfe ohne Aufdringlichkeit

Solltest du Selbstverletzungen bei einem Familienmitglied oder in deiner Freundschaft beobachten, ist es wichtig, taktvoll zu sein und deine Hilfe anzubieten. Die Person sollte wissen, dass du ihr zur Verfügung stehst, wenn sie dich braucht. Du solltest jedoch nicht zu aufdringlich sein, um den Leidensdruck der betroffenen Person nicht zu erhöhen. Du solltest der Person empfehlen, fachärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, um eine Lösung zu finden.

“Hilfe, ich habe es schon wieder getan. Ich war schon viele Male hier. Heute habe ich mich wieder selbst verletzt. Und das Schlimmste ist, dass ich niemanden habe, dem ich die Schuld geben kann.”

Sía Furler


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