"Nicht mit dir und nicht ohne dich": unsicher-ambivalente Bindung

"Nicht mit dir und nicht ohne dich": unsicher-ambivalente Bindung
Sergio De Dios González

Geprüft und freigegeben von dem Psychologen Sergio De Dios González.

Geschrieben von Raquel Lemos Rodríguez

Letzte Aktualisierung: 09. April 2023

Schon als Säuglinge beginnen wir, Bindungen zu unseren Mitmenschen aufzubauen. In der Kindheit – und die hört nicht mit dem Säuglingsalter auf – legen wir die Grundfeste für die Beziehungen, die wir als erwachsene Menschen zu anderen Personen aufbauen. Wenn das Kind in seiner Bindung zu Eltern und sonstigen Personen nicht ausreichend bestärkt wird, hat das deshalb schwerwiegende Konsequenzen für sein gesamtes Leben. Eine Vielzahl der Probleme, die wir in Bezug auf das Knüpfen und den Erhalt von zwischenmenschlichen Beziehungen sehen, hat tatsächlich ihren Ursprung in der Kindheit der Betroffenen. Sicher hast auch du in deinem Umfeld schon Probleme beim Gestalten von Beziehungen beobachtet.

Kennst du auch jemanden, der Beziehungen nach dem Motto “Nicht mit dir und nicht ohne dich” führt? Das ist typisch für einen bestimmten Typ der Bindung, der sich unsicher-ambivalente Bindung nennt. Partnerschaftliche Beziehungen, die auf unsicher-ambivalenter Bindung aufbauen, geben den Beteiligten keinen Raum, sich weiterzuentwickeln. Emotionale Abhängigkeit ist ein weiteres, häufig anzutreffendes Problem in derartigen Beziehungen. Es sind die Verhaltensweisen der Partner, die es ihnen verbieten, sich einen Rückzugsort zu schaffen, an dem sie sich wohlfühlen können.

Aber auch Freundschaften können von einer unsicher-ambivalenten Bindung geprägt sein. Ganz gleich, in welcher Beziehung wir zu dem Betroffenen stehen, ob wir es gar selbst sind: Wenn wir diesen Bindungstyp erkennen, seine Ursachen ausmachen, dann können wir auch effektive Maßnahmen ergreifen, um gegenzusteuern und unsere Beziehungen zu genießen, wie es sein soll.

Es gibt kein Gegenmittel für mein Leid, nicht mit dir und nicht ohne dich. Du bringst mich um, aber ohne dich sterbe ich.

Die Arbeit von Mary Ainsworth

Mary Ainsworth hat drei Typen der Bindung beschrieben: die sichere Bindung, die ängstlich-vermeidende Bindung und die unsicher-ambivalente Bindung. Diese Klassifizierung hat sie vorgenommen, nachdem sie eine Studie durchgeführt hatte, für die Mütter mit ihren Kindern in eine ihnen unbekannte Umgebung geführt wurden. In dieser Umgebung wurden verschiedene Untersuchungen zum Verhalten der Kleinen vorgenommen, etwa dazu, wie sie reagieren, wenn sie die Mutter in diesem merkwürdigen Raum allein zurückließ.

Mary Ainsworth hat beobachtet, dass die Kinder je nach Bindungstyp, den sie entwickelt haben, unterschiedlich reagierten. Diejenigen, die eine unsicher-ambivalente Bindung zu ihrer Mutter hatten, haben versucht, diese davon abzuhalten, zu gehen. Sie haben sich an sie festgeklammert, geweint und geschrien, damit sie nicht ginge. Konnte sich die Mutter dann doch von ihrem Kind lösen, um das Zimmer zu verlassen, wurde es wütend, hat aufgestampft und mit den Armen um sich geschlagen und dabei weiter geweint und geschrien.

Kind hängt an seiner Mutter

Und dann kam die Mutter zurück. Das betreffende Kind hat sofort den Kontakt zu ihr gesucht, aber es wurde kein inniger Kontakt hergestellt. Wenn es umarmt werden sollte, hat es oft den Rücken etwas durchgedrückt, um eine minimale Distanz zu bewahren. Kinder mit unsicher-ambivalenter Bindung zu ihrer Mutter waren also enttäuscht und misstrauisch, nachdem sie sie verlassen hatte, und daran änderte sich zunächst auch nichts, als diese zurückkehrte. Sie ließen sich kaum beruhigen. Schließlich mussten sie davon ausgehen, dass sie bald wieder verlassen werden würden. So jedenfalls interpretierte die Psychologin Ainsworth ihr Verhalten.

Die Art der Bindung, die wir als Kleinkinder zu unseren Bezugspersonen aufbauen, hat einen enormen Einfluss auf die Beziehungen, die wir als Erwachsene führen.

Die oben beschriebene und weitere Studien haben ans Licht gebracht, wie wichtig die Formation einer sicheren Bindung für die soziale Entwicklung des Menschen ist. Es geht insbesondere darum, wie sich die Bezugspersonen eines Kindes, in der Regel also seine Eltern, ihm gegenüber verhalten: Geben sie ihm Sicherheit? Lassen sie es allein? Nicht immer ist es möglich, den Bindungstyp zu “korrigieren”, indem etwa eine Bezugsperson, die daheim ausgezogen ist, nun wiederkehrt. Auch ein ständiger Wechsel aus Trennung und Versöhnung der Eltern hinterlässt Spuren beim Kind. Und das gilt natürlich auch für Scheidungen, die für alle Beteiligten mit enormem Stress, mit Anspannung und Ängsten verbunden sind. Scheidungskinder neigen eher zur unsicheren Bindung mit Verlassensangst als Kinder aus stabilen Haushalten.

Die unsicher-ambivalente Bindung und die Partnerschaft

Einige dysfunktionale Beziehungen sind das Ergebnis einer unsicheren Bindung, die vom Kind zu seinen Bezugspersonen aufgebaut wurde.

Verspürst du ständig das Bedürfnis danach, deinen Partner um dich zu haben? Wünscht du dir, dass er in der gleichen Firma wie du arbeitet oder gar von daheim aus, damit du immer bei ihm sein kannst? Bereitet es dir Schwierigkeiten, ihn zu einem Meeting gehen zu lassen? Vielleicht sagst du ihm auch Dinge wie: “Ich bin nur glücklich, wenn ich an deiner Seite sein kann. Es macht mich so traurig, dass du dich heute Abend mit deinen Freunden treffen willst, anstatt hier bei mir zu bleiben!”

Eine derartige emotionale Abhängigkeit vom Partner ist gar nicht so selten, wie wir vielleicht glauben. Und es gibt dementsprechend viele Partner, die die oben beschriebenen Situationen nur allzu gut kennen. Vorwürfe und Aussprüche, die Schuldgefühle beim anderen wecken sollen, werden in diesen Beziehungen gebraucht, ohne dass großartig darüber nachgedacht wird. Vielleicht erscheinen sie dem ein oder anderen Leser übertrieben. Demjenigen, der ein unsicher-ambivalente Bindung entwickelt hat, erscheinen sie erschreckend und beängstigend realistisch.

Jemand, der eine unsicher-ambivalente Bindung zu seinem Partner hat, wünscht sich immerzu, dass dieser bei ihm ist. Dabei schreckt er auch vor Extremen nicht zurück: Er kann nicht akzeptieren, dass der Partner einen Abend mit seinen Freunden verbringen möchte oder zum Klassentreffen allein eingeladen wurde. Falls diesem Verhalten kein Riegel vorgeschoben wird und sich der Partner darauf einlässt, dann können wir das typische Pärchen beobachten, das ausschließlich zusammen unterwegs ist. Als wären die Partner zusammengeschweißt. Aktivitäten, an denen nur einer teilnehmen kann, werden gemieden. Aber kann das gut gehen?

Nein, das kann es nicht. Früher oder später wird sich eine Situation ergeben, in der getrennt gehandelt werden muss. Stellen wir uns mal vor, dass die Person mit der unsicher-ambivalenten Bindung für diesen Samstag einen Tisch in einem schicken Restaurant reserviert hat, weil es etwas zu feiern gibt. Aber ihrem Partner wird nun ausgerechnet die Samstagabendschicht zugewiesen, weil ein Kollege ausgefallen ist. Da ist nichts zu machen. Berufsrisiko. Wie sieht aber die Reaktion auf diese Umstände aus?

Paar streitet am Strand

Wer eine unsicher-ambivalente Bindung hat, fühlt, was er auch schon in seiner Kindheit gefühlt hat, nämlich unerträgliche Verlassensangst. Misstrauen dahingehend, dass der Partner das Ganze vielleicht nur deshalb so eingefädelt hat, weil er tatsächlich gar nicht mit ihr essen gehen will. Vielleicht liebt er nicht mehr so sehr wie zu Beginn der Beziehung? Das sind alles unbegründete Vermutungen, die aus der Sicht einer gesunden Person nur Leid für beide Beteiligte bedeuten. Sie sind vollkommen irrational. Aber davon will der Betroffene nichts wissen, denn er hält sie für sehr wahrscheinlich.

Tränen, Bedauern, Beschwerden – es mag sein, dass sie den Partner dazu bringen, sich doch noch irgendwie von der Samstagabendschicht zu entschuldigen. Er will sich ja auch nicht vorwerfen lassen, seinen Partner nicht mehr zu lieben. Das Problem ist, dass er es der Person mit unsicher-ambivalenter Bindung nicht recht machen kann. Das Kind ist sozusagen schon in den Brunnen gefallen. Der andere bleibt wütend und wird mit seinem Verhalten weiterhin das Ziel verfolgen, Schuldgefühle in demjenigen hervorzurufen, der nun alles getan hat, um Samstagabend doch da zu sein. Damit wird versucht, sich abzusichern, dass so etwas nie wieder vorkommt. Dabei werden Vorwürfe mit Klammern kombiniert, bis der andere keine Luft mehr bekommt. Diese “Vorwürfe mit Klammern” sind die Quintessenz der Ambivalenz, die die Beziehungen des Betroffenen seit seiner Kindheit prägen.

Partner allein am Strand

Extreme Unsicherheit in Beziehungen, Angst vor dem Verlassenwerden und dem Alleinsein, emotionale Abhängigkeit, das Aneinanderreihen von Beziehungen und Leiden, während man liebt, sind einige der Konsequenzen, die eine unsicher-ambivalente Bindung nach sich zieht. Mitunter hat der Betroffene das Gefühl, immer wieder auf Personen zu stoßen, die ihn nicht verdienen. Dabei bemerkt er aber nicht, dass es sein eigenes Verhaltensmuster ist, was sich wiederholt und immer wieder zum gleichen Ergebnis führt. Die Beziehung scheitert. Und das Scheitern der Beziehung bestätigt nur die von Kindheitsbeinen an verspürte Angst, dass jeder Mensch ihn irgendwann verlassen wird.


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