Körperliche Aktivität und geistige Gesundheit: Wann ist viel Training zu viel?
Körperliche Aktivität und geistige Gesundheit sind zwei Parameter, die in direktem Zusammenhang zueinander stehen. Mehrere Studien weisen darauf hin, dass körperliche Aktivität Menschen helfen kann, Problemen mit der geistigen Gesundheit vorzubeugen, mit ihnen umzugehen und ihr Wohlbefinden zu steigern. Auf der anderen Seite bestätigt eine aktuelle Studie eine Hypothese, die als Warnung dienen sollte: Zu viel körperliche Aktivität könne die geistige Gesundheit negativ beeinflussen.
Die Studie wurde von Forschern der Yale University in New Haven, Connecticut, USA, durchgeführt, die im Detail verstehen wollten, wie sich körperliche Aktivität auf die geistige Gesundheit auswirkt. Darüber hinaus wurde auch versucht, festzustellen, welche Arten von Bewegung am besten geeignet sind, um einen emotionalen Boost zu erhalten. Die Wissenschaftler haben sich außerdem gefragt, wie viel Sport gesund ist. Man konzentrierte sich dabei nicht nur auf Sport im engeren Sinne, sondern auf alle Arten von körperlicher Aktivität, von Kinderbetreuung, Hausarbeit, Rasenmähen und Angeln über Radfahren, Gymnastik, Laufen und Ski. Insgesamt wurden 75 Bewegungsarten erfasst und in acht Kategorien eingeteilt: Aerobic und Gymnastik, Radfahren, Heim-, Mannschafts-, Freizeit-, Lauf- und Jogging, Wandern sowie Winter- und Wassersport. Die Arbeit wurde in der Fachzeitschrift The Lancet Psychiatry veröffentlicht.
Diese Studie, die bisher umfassendste ihrer Art, ergab, dass Menschen, die Sport treiben, weniger Probleme mit ihrer psychischen Gesundheit aufweisen als jene, die keinen Sport treiben. Die Untersuchung zeigt weiter, dass Teamsportarten wie Radfahren, Aerobic oder gemeinsam ins Fitnessstudio zu gehen, die in dieser Hinsicht günstigste Wirkung haben.
“Bewegung ist mit einer geringeren psychischen Belastung verbunden, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, sozioökonomischem Status und Bildungsniveau”, sagt Dr. Adam Chekroud, Hauptautor der Studie. Chekroud erklärt auch: “Die Details der Trainingsgestaltung sowie Art, Dauer und Häufigkeit spielen dabei eine wichtige Rolle. Wir verwenden diese Daten nun, um zu versuchen, Trainingsempfehlungen zu personalisieren und Menschen bestimmter Kondition ein bestimmtes Trainingsprogramm zuzuweisen, das zur Verbesserung ihrer geistigen Gesundheit beiträgt.”
Beziehung zwischen körperlicher Aktivität und geistiger Gesundheit
Für diese Untersuchung analysiserten die Autoren Daten von 1,2 Millionen Erwachsenen in den 50 US-Bundesstaaten, die in den Jahren 2011, 2013 und 2015 an der Umfrage zum Behavioral Risk Factor Surveillance System teilgenommen hatten. Dazu gehörten demografische Daten sowie Informationen über körperliche Gesundheit, geistige Gesundheit und Gesundheitsverhalten. Die Studie berücksichtigte allerdings keine psychischen Störungen außer Depressionen.
Die Teilnehmer wurden gebeten, zu schätzen, an wie vielen der letzten 30 Tage sie das Gefühl hatten, dass ihr Verstand in Bezug auf Stress, Depressionen und andere emotionale Probleme nicht gut funktionierte. Sie wurden auch gefragt, wie oft sie in den letzten 30 Tagen außerhalb ihres üblichen Jobs trainiert hatten, wie oft und wie lange sie dabei aktiv waren. Alle Angaben wurden mit Alter, Geschlecht, Herkunft, sozioökonomischem Status und Bildungsniveau, mit Body-Mass-Index, selbsterklärter körperliche Gesundheit und vorheriger Diagnose von Depressionen assoziiert.
Im Durchschnitt erlebten die Teilnehmer jeden Monat 3,4 Tage lang eine schlechte psychische Verfassung. Im Vergleich zu Personen, die keinen Sport trieben, berichteten Probanden, die regelmäßig trainierten, von 1,5 Tagen weniger bei schlechter geistiger Gesundheit, was einer Reduktion von 43,2 % entsprach. Mehr Bewegung ist dabei nicht immer besser. Die Studie ergab, dass ein 45-minütiges Training, drei- bis fünfmal die Woche durchgeführt, den größten Nutzen hatte.
Alle Arten von körperlicher Aktivität waren mit einer besseren geistigen Gesundheit verbunden, aber die deutlichste Korrelation wurde für Mannschaftssport, Radfahren und Aerobic bzw. den Besuch von Fitnessstudios festgestellt. Selbst die Erledigung der Hausarbeit war mit einer besseren psychischen Verfassung verbunden.
Die Verringerung der Anzahl der Tage mit schlechter psychischer Gesundheit war bei Menschen, bei denen zuvor eine Depression diagnostiziert worden waren, noch deutlicher, wobei körperliche Aktivität hier eine Reduktion von 34,5 % bewirken konnte: 7,1 Tage für Menschen, die trainierten, gegenüber 10,9 Tagen für Menschen, die nicht trainierten.
Während die Beobachtungen deutlich dafür sprechen, dass körperliche Aktivität die geistige Gesundheit verbessern könne, besteht eine solche Beziehung wohl in beide Richtungen. So kann beispielsweise Untätigkeit ein Symptom von und ein Beitrag zu schlechter geistigen Gesundheit sein, und Aktivität könnte als ein Zeichen für oder ein Beitrag zur Resilienz gedeutet werden. Die Autoren weisen ausdrücklich darauf hin, dass ihre Studie nicht festzustellen versucht, was Ursache und was Wirkung ist.
Die Korrelation zwischen körperlicher Aktivität und geistiger Gesundheit war deutlicher als die zwischen geistiger Gesundheit und anderen sozialen oder demografischen Faktoren.
Körperliche Aktivität und geistige Gesundheit: Wo verlaufen die Grenzen?
Wir wissen, dass körperliche Aktivität das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall, Diabetes mellitus und weiteren Leiden reduziert und damit die Sterblichkeit verringert, aber ihre Wirkung auf die geistige Gesundheit blieb lange unklar. Die hier zitierte über die Folgen von körperlicher Aktivität für das geistige Wohl kam allerdings zu weniger eindeutigen Ergebnissen, als wir bislang zugegeben haben.
Tatsächlich waren Häufigkeit und Dauer des Trainings ein wichtiger Faktor. Menschen, die drei- bis fünfmal pro Woche trainierten, gaben eine bessere psychische Gesundheit an, als Menschen, die seltener oder häufiger trainierten. Trainingseinheiten von 30-60 Minuten waren mit der deutlichsten Verringerung der Tage bei schlechter psychischer Gesundheit verbunden.
Bei Menschen, die mehr als 90 Minuten am Tag trainierten, gab es immerhin schon kleine Einschränkungen, aber ein tägliches Training von mehr als drei Stunden war mit einer schlechteren wahrgenommenen geistigen Gesundheit verbunden als gar keine Bewegung.
Die Autoren weisen darauf hin, dass Menschen, die extrem viel trainieren, zwanghaft handeln mögen, was sie einem größeren Risiko für eine schlechte psychische Gesundheit aussetzen könnte.
Schlussbemerkungen
Die Forscher vermuten, dass ihre Feststellung, Teamsportarten seien mit der geringsten Belastung für die psychische Gesundheit verbunden, darauf hindeute, dass soziale Aktivitäten die individuelle Widerstandsfähigkeit fördern und Depressionen reduzieren können, wahrscheinlich, indem sie soziale Isolation verhindern.
Die Studie verwendete die Selbsteinschätzung der Menschen über ihren Grad an psychischer Gesundheit und Bewegung, weshalb wir hier von der wahrgenommenen und nicht von der objektiven psychischen Gesundheit gesprochen haben. Darüber hinaus wurden die Teilnehmer nur nach ihrer Haupttrainingsform gefragt, was eine nicht unerhebliche Varianz erzeugen kann, wenn die Probanden mehr als einer Übung nachgehen.