In der Liebe braucht man keine Lupe, sondern einen Spiegel
Manche Menschen verhalten sich fast wie Heckenschützen, wenn sie verliebt sind. Sie betrachten ihre Partner unter einer Lupe, um Mängel, Fehler und vermeintliche Schwachstellen zu finden. So untergraben sie die Beziehung und zerstören sie schlussendlich.
Dies ist die Weltanschauung einer feigen Person. Ein solcher Mensch versteht nicht, dass wir in der Liebe einen Spiegel brauchen und keine Lupe.
Beziehungen sind nun einmal ein heikles Themenfeld, wo niemand von uns allwissend ist. Die meisten von uns sind in der Liebe schon mehr als einmal von einer Klippe gestürzt und haben einen Schrotthaufen aus Träumen und Hoffnungen zurückgelassen.
Im Meer der unmöglichen Liebe und der hasenfüßigen Leidenschaft erlitten wir Schiffbruch – ganz gleich, ob wir nun Angst hatten oder uns einfach nicht entscheiden konnten.
“Das Betragen ist ein Spiegel, in welchem jeder sein Bild zeigt.”
Johann Wolfgang von Goethe
Es gibt eine Art von Beziehung, die für gewöhnlich für größere Zerstörung sorgt als andere Formen. Wir sprechen von einer Art, in der ein oder beide Partner als “Zerstörer der Identität” agieren.
Diese Menschen richten ihr Augenmerk auf all das, was sie nicht ausstehen können und alle die Dinge, die sie am Partner stören. Warum sie das tun? Um den Partner bloßzustellen und ihn zu kontrollieren.
Sie tun das, weil sie auf diese Weise die Zügel in die Hand nehmen möchten und für ihr verletztes Selbstwertgefühl kompensieren wollen.
Und fast ohne dass wir es merken, landen wir als Paar damit in einem Hamsterrad. Dort hält uns unsere eigene Trägheit in einer gefährlichen Dynamik gefangen und wir sind unglücklich.
Bei dieser Dynamik hält einer der beiden Partner die Lupe in der Hand. Aber dabei ist er oder sie unfähig, sich selbst den Spiegel vorzuhalten, um die eigenen blinden Flecken und die persönliche Unreife darin zu erkennen.
Liebe ist komplex: Der Partner trägt die Schuld
Dr. Howard Markman ist Professor an der Universität von Denver und gehört in den Vereinigten Staaten zu den bekanntesten Beziehungsforschern. Seine Arbeiten, die eine beträchtliche Veröffentlichungs-Reichweite erreicht haben, zeigen mit Präzision und Erfindungsreichtum die vielen Probleme auf, die häufig im Alltag eines Paares auftreten.
Dr. Markman ist der interessanten Auffassung, dass bei den meisten Paaren, die zur Paartherapie gehen, die Meinung vorherrscht, dass der Partner an ihren jeweiligen Problemen schuld ist und sie deswegen unglücklich sind.
Diese Paare hegen die unerfüllbare Hoffnung, dass der Therapeut für “Heilung” sorgen wird oder das falsche Verhalten des Partners “wegtherapieren” wird. Die Klienten erwarten und wünschen sich vom Therapeuten, dass dem Partner die Ohren langgezogen werden und er oder sie für schlechtes Verhalten bestraft wird.
Die meisten Probleme von Paaren haben allerdings keine psychische Ursache, sie entstehen aus einer problematischen Beziehungsdynamik heraus. Beide Partner haben eine Paardynamik entwickelt, welche bestimmt, wie die beiden sich zueinander verhalten.
Für Dr. Markman sind die Vorwürfe, die sich Paare in seiner Praxis an den Kopf werfen, oft mit bestimmten Defiziten verbunden, die auf die emotionale Erziehung und auf eigene psychologische Fähigkeiten zurückzuführen sind. Er schlägt daher vor, dass es schon in den unteren Schulklassen eine Art “Psycho-Erziehung” geben sollte.
Das Ziel einer “Psycho-Erziehung” läge darin, uns Strategien und Werkzeuge an die Hand zu geben, damit wir die Fähigkeit entwickeln, uns selbst zu helfen. Wir bekämen Unterricht darin, uns selbst im Spiegel zu betrachten. Damit wir unsere eigenen Unsicherheiten und Ängste erkennen und nicht zuletzt deshalb, um die starren Rollen und Normen aufzuweichen, die uns die Gesellschaft auferlegt.
Denn wenn es um die Liebe geht, lassen sich manche Menschen von Rollen und Normen leiten. Vielleicht haben sie diese von ihrer Ursprungsfamilie übernommen.
Womöglich haben sie dort gelernt, dass es besser sei, “den Mund zu halten und sich damit abzufinden”. Ein anderes Beispiel wäre: “Mein Partner liebt mich nicht, wenn er oder sie das nicht für mich tut. Also ist es legitim, mich darüber aufzuregen.”
Im Wesentlichen geht es darum, ein Fundament für die Selbsterkenntnis zu legen. Auf diese Weise können wir uns um uns selbst kümmern und die beste Version von uns in eine Beziehung einbringen.
Liebe unter der Lupe
In diesem bunten, komplexen und lebendigem Beziehungsgeflecht gibt es immer Raum für Konflikte.
Anstatt sie als etwas Negatives zu betrachten oder als Krankheit, mit der wir uns anstecken könnten, sollten wir Konflikte als eine Art Motor ansehen. Sie bringen uns dazu, uns selbst besser kennenzulernen. Konflikte können die Beziehung stärken.
“Die Liebe bringt uns dazu, Vertrauen in andere zu haben und ihnen denselben Respekt entgegenzubringen, den wir für uns selbst haben.”
Mahatma Gandhi
Konflikte bringen unseren inneren Kern in Bewegung. Leider erzeugen wir unnötige Streitereien, wenn wir zwanghaft ein Vergrößerungsglas auf die vermeintlichen Fehler des Partners richten.
Wir tun dies, ohne dass wir uns dabei unserer eigenen emotionalen Verantwortung bewusst sind. Wir erkennen nicht, dass wir uns manchmal nackt vorkommen und vor Kälte frieren. Dann wünschen wir uns nichts sehnlicher, als bei jemand anderem einen sicheren Ort zu finden, wo wir uns wärmen können.
Allerdings ist es gut zu wissen, dass diese Formel niemals funktionieren wird. Eine Person, die als “Schutzraum” oder “Arzt” fungiert, fühlt sich nur dann nützlich, wenn sie gebraucht wird. Leider definiert das eine abhängige Beziehung.
Früher oder später geht der Person in dieser Rolle die Energie aus. Ihr eigenes Leben und ihre Würde rinnt ihr davon, denn sie wird unter dem unerbittlichen Blick des Partners durch seine Lupe leben.
Lassen wir also nicht zu, dass so etwas geschieht. Stellen wir uns vor den Spiegel. Entdecken wir uns und unser Selbstwertgefühl darin neu. Lassen wir uns nicht in eine Beziehung hineinziehen, in der wir unser eigenes Glück opfern müssen, um geliebt zu werden.