Frances Farmer: Die Schauspielerin, die lobotomiert wurde

Frances Farmer: Die Schauspielerin, die lobotomiert wurde
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 10. April 2023

Sie war eine andere Art von Frau. Für die 40er Jahre vielleicht zu frech, als Schönheit und Gehorsam noch genügten, um eine gute Schauspielerin zu sein. Frances Farmer traute sich, stur zu sein. Man nannte sie hysterisch. Sie traute sich, ihre Stimme zu erheben und nach interessanteren Rollen zu fragen. Man bezeichnete sie als naiv. Als sie aus dieser Welt fliehen wollte, war es bereits zu spät. Zu diesem Zeitpunkt fing man an, sie als „verrückt“ zu bezeichnen.

Heute können sich wahrscheinlich nur wenige Menschen an den Namen Frances Farmer erinnern. Sie ist eine dieser Frauen, die im Nebel der Zeit verloren gingen. Hinter diesem staubigen Vorhang, wo wir die interessanten Geschichten aus einer anderen Zeit verstecken, befinden sich solche wie die ihre, die ein eingehüllter Hilferuf sind. Es sind Geschichten, denen wir noch heute lauschen sollten.

„Das einzige Gute, was ich sehe, ist, dass ich mich langsam an das Leiden gewöhne.“

Frida Kahlo

Doch in der Welt der Psychiatrie ist der Name der Schauspielerin sehr wohlbekannt. Dafür gibt es mehrere Gründe. Aber da sind vor allem die Behandlungen, der diese Frau über die Jahre unterzogen wurde. Diese spiegeln eine dunkle, schreckliche Zeit der Psychiatrie wider. Eine, in der Frauen häufig zum Opfer wurden.

Frances Farmer

Eine Frau, die dazu erzogen wurde, eine Stimme zu haben und berühmt zu sein

Es gibt viele Dokumentationen über Frances Farmers Leben. Ihr eigene Schwester veröffentlichte das Buch Look Back in Love  (zu Deutsch Schau zurück in Liebe,  nicht auf Deutsch verfügbar). Darin sprach sie über die schrecklichen Erfahrungen, die die junge Schauspielerin über die Jahre in verschiedenen psychiatrischen Anstalten machen musste. In Tochter des Zorns  gibt Frances Farmer selbst Aufschluss über ihre Persönlichkeit und ihre Familie. Hierin wird auch ein Licht darauf geworfen, ob sie wirklich an einer paranoiden Schizophrenie gelitten hat, wie man es damals behauptet hatte.

Wie dem auch sei, gibt es wie in allen solch komplexen Fällen etwas, das wir nicht außer Acht lassen können. Ihre Erziehung und der gesellschaftliche Hintergrund sind unbedingt zu betrachten. Wir erwähnten, dass Frances für ihre Zeit eine zu freche Frau war. Sie war so, weil ihre Mutter sie früh dazu erzog, ihre Stimme zu erheben. Sie brachte ihr bei, wie sie ihre Meinung vertreten und Dinge hinterfragen konnte. Als sie ein Teenager war, schaffte sie es in die lokalen Zeitungen von Seattle. Sie schaffte es, indem sie schlagkräftige Reden über Frauen hielt, die entweder an Gott glaubten oder eben nicht. Ihre Argumente basierten auf die Schriften von Nietzsche. Später meldete ihre Mutter sie mit einem ganz bestimmten Ziel für den Schauspielunterricht an: Sie sollte durch Filme berühmt werden. Frances wurde tatsächlich berühmt, während sie weiterhin dem Verfassen gesellschaftskritischer Aufsätze nachging.

Sprich nicht, argumentiere nicht, gehorche

Bis 1935 spielte Frances Farmer bereits in ein paar Filmen mit. Ebenso realisierte sie bis dahin ihr Hauptanliegen, nämlich einen Abschluss in Journalismus zu erreichen. Doch bevor sie begann, sich in diese Richtung weiterzuentwickeln, überzeugte sie ihre Mutter anderweitig. Sie sagte ihr, dass sie ihre berufliche Karriere vorübergehend auf Eis legen und sich auf die Bühnenwelt fokussieren solle. Frances stimmte ihr zu, und gleich darauf organisierte ihr Agent ein Vorstellungsgespräch bei Paramount Pictures.

Frances Farmer in einer Filmrolle

Es hätte einfacher nicht sein können. Sie sollte ein hübsches Kleid tragen, sich hinsetzen und in die Kamera schauen. Frances Farmer hatte diese klassische Schönheit, die gelegentlich eine Unverschämtheit und eine freche, verführerische Art hervorblicken ließ. Das war für die Filmindustrie mehr als genug. Sie boten ihr einen 7-Jahres-Vertrag an. Alles, was sie tun musste, war, zu gehorchen, Drehbücher auswendig zu lernen und hin und wieder auf den Partys des Vorstandes zu erscheinen. Zudem sollte sie zu allem, was bei diesen Zusammenkünften passierte, schweigen.

Frances rebellierte gegen diese Welt. Sie hasste die Rollen, die sie ihr gaben. Meistens sollte sie die Rolle der naiven Frau spielen. Sie hasste die Presse. Und vor allem hasste sie es, einem weiterem Drehbuch in ihrem Leben zu folgen. Ein Drehbuch, indem alles in Glamour und eleganten Lügen eingepackt werden musste. Doch sie gab nach. Sie gab nach, weil ihre Mutter und Agenten sie überredeten. Sie heiratete sogar einen Schauspieler, um ihre Bekanntheit als Nachwuchsstar zu steigern.

Die Sehnsucht nach Freiheit und die Zwangsjacke

Die Talfahrt von Frances Farmers Karriere begann schon früh. Sie wehrte sich, bestimmte Szenen zu spielen. Außerdem lehnte sie Drehbücher ab und hielt sich nicht an die Verträge, die sie mit ihren Agenten unterschrieb. Sie mochte es, nachts herumzufahren, um vor allem, auch vor ihr selbst, zu fliehen. Frances drückte in einer unmöglichen Flucht auf das Gaspedal, was oft schlimm endete. Sie war bei der Polizei in Santa Monica für rücksichtsloses Fahren und Fahren unter Alkoholeinfluss bekannt.

„Manchmal denke ich, dass mein Herz in Stein gemeißelt ist.“

Frances Farmer

Doch alles verkomplizierte sich, als sie einen der Hollywoodbosse schlug. Danach versuchte sie erneut, wegzurennen, jedoch schaffte sie es nicht sehr weit. Die Polizei folgte ihr. Mit Geschrei, Tritten und zwecklosen Versuchen, sich von dem Schatten der Autorität zu befreien, der sich auf sie stürzte, traf man eine Vereinbarung. Man würde sie in eine psychiatrische Klinik einweisen, um ihr rebellisches Auftreten, ihre Persönlichkeit dort zu beruhigen.

Frances Farmer

Die Ärzte diagnostizierten bei ihr eine paranoide Schizophrenie. Sie behandelten sie mit einer Elektroschocktherapie, mit einer Insulinschocktherapie oder Insulinkur. Nach ein paar Monaten wurde sie entlassen. Sie entschied daraufhin, sich komplett von ihrem Leben als Schauspielerin loszureißen. Um damit dieser erdrückenden, entwürdigenden Welt für immer zu entkommen.

Doch Lillian Farmer, Frances Mutter, hatte das Gefühl, dass ihre Tochter noch immer nicht geheilt war. Sie war davon überzeugt, dass Frances nicht „ganz bei Verstand“  gewesen wäre. Demnach hat sie es mithilfe der Hollywoodbosse geschafft, ihre Unzurechenfähigkeit zu verkünden. Dies erlaubte ihnen, sie zurück in die Psychiatrie zu schicken.

Fünf Jahre gefangen

Frances Farmer wurde in ein Krankenhaus in Steilacoom im Staat Washington eingewiesen. Die fünf Jahre, die sie dort verbracht hat, sind diejenigen, die ihre Schwester später in ihrem Buch beschrieb. Sie taten ihr noch schlimmere Dinge an als nur schreckliche “psychiatrische” Behandlungen. Sie misshandelten sie sexuell und vergewaltigten sie mehrfach. Schließlich bezeugte eine Krankenschwester aus dem Krankenhaus später, dass an Frances Farmer eine nicht genehmigte Lobotomie durchgeführt wurde. Mit welchem Ziel? Um ihre Persönlichkeit, ihren „schlechten Charakter“, ihre „hysterische Natur“ zu beruhigen …

Operation in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Nach den fünf Jahren, in denen sie eingesperrt war, nach der Misshandlung und den Traumata, war sie nicht mehr dieselbe. Sie trat gelegentlich in einem Interview, einer Aufführung oder einer Fernsehserie auf. Im Fernsehen weckte sie durch ihre bloße Anwesenheit die Neugier der Zuschauer und sorgte so für ein riesiges Publikum. Doch sie war nicht mehr da. Sie hatte ihren Willen verloren. Ihre Persönlichkeit war gedämpft. Ihre wahre Schönheit, die, die die wahre Frances Farmer ausmachte, wurde gestohlen, sie wurde operativ entfernt.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.